Martin Parr in Berlin

"Mein Job besteht darin, zu unterhalten"

Der britische Fotograf Martin Parr war anlässlich des European Month of Photography für einen Artist Talk in Berlin. Auf der Bühne sprach er über Fotografie in Zeiten sozialer Medien, über digitalen Durchfall und darüber, warum viele schlechte Fotobücher und viel schlechte Fotografie nicht schaden

In letzter Zeit hatte man ja eher den Eindruck, dass die alten weißen Männer, die großen Namen in der Branche, kein gutes Wort über Fotografie in Zeiten sozialer Medien verlieren. Peter Lindbergh sagte: "Ich finde, Selfies sind eigentlich so ziemlich das Blödeste, was es überhaupt gibt." Wim Wenders sagte: "Ist diese ganze Sache, diese Selfie-Kultur, nicht im Grunde genommen die komplette Umkehrung der Idee von Fotografie?" Und über die digitale Fotografie sagte er: "Ich weiß nicht, warum wir das noch Fotografie nennen. Es sollte ein anderes Wort dafür geben. Aber niemand hat sich darum gekümmert, einen neuen Begriff zu finden." Und Juergen Teller, der inzwischen selbst mit dem iPhone fotografiert, wird für immer der Satz nachhängen: "Ich geb zu, dieser ganze digitale Scheiß verunsichert mich schon ein bisschen." 2013 war das. Damals beschwerte er sich auch darüber, dass seine Kunden aus Marketinggründen "bescheuertes Behind-the-Scenes-Material haben" wollen. "Modelle, Hairstylisten oder Stylisten posten gleich vom Set weg was weiß ich für ein blödes Foto vom Shoot." Er selbst macht das immer noch nicht.

Martin Parr ist da anders. Der britische Fotograf war gerade anlässlich des European Month of Photography in Berlin, bei C/O Berlin fand ein Artist Talk statt, Parr war in Plauderlaune. Mode interessiere ihn nicht, erzählte er, seine Frau kaufe für ihn ein, er ziehe an, was oben in der Schublade liegt. Wer ihm auf Instagram folgt, der weiß, dass er seit einiger Zeit für Gucci fotografiert. Warum Menschen so viel Geld für Kleidung ausgeben, das verstehe er nicht, aber da sie es tun und Gucci viel Geld damit verdient, könne er mitverdienen. Logisch. Gucci ist jetzt auf jeden Fall sein Hauptauftraggeber.

Beim Thema digitale Fotografie und soziale Medien ist er maximal entspannt. Mit Facebook kann er persönlich irgendwie nichts anfangen, zwei Freunde habe er auf Facebook, erzählte er. Aber: "Wir leben nicht in der Vergangenheit", so Parr, gemeint war er selbst. Sein Studio bespielt natürlich die sozialen Medien für ihn, in Abstimmung mit ihm. Sechs Posts auf Instagram gibt es beispielsweise pro Woche, die Themen werden gemeinsam festgelegt. 363.000 Follower hat das @martinparrstudio auf Instagram inzwischen, letzte Woche ging es um sein Projekt "Small World" aus dem Jahr 1996 und damit um das Phänomen Tourismus. Auf Instagram konnte man erfahren, dass es eine Neuauflage des Fotobuchs geben wird inklusive neuem Bildmaterial.

An Instagram stört er sich nicht weiter, vom Gejammer über Bilderfluten will er überhaupt nichts wissen. Klar könne bei so vielen Fotos auf der Plattform nicht alles gut sein, aber: Nur her damit, denn je mehr Schlechtes man sehe, desto mehr Gutes würde man finden. Digitalen Durchfall findet er auch super. So eine Speicherkarte könne man vollfotografieren, wenn einem danach ist. Und wenn doch alles wieder weg soll, weil scheiße, einfach löschen.

Parallel zum Talk von Martin Parr ging es unter dem programmatischen Titel "Photobook: Reset" hinter geschlossenen Türen mit geladenen Fotoexperten aus der ganzen Welt um Gegenwart und Zukunft des Fotobuchs. Das, so die Experten um den Organisator des Workshops Bruno Ceschel von Self Publish, Be Happy, befindet sich in einer "existentiellen Krise". "Unzählige Titel kleiner und großer Verlage, Eigenpublikationen und Print-On-Demand-Produkte präsentieren sich auf immer mehr und dabei immer weniger voneinander unterscheidbaren Foto- und Buchmessen. Ein unübersehbares Meer an Publikationen hat den Büchermarkt längst übersättigt", steht auf einer Tafel zur Veranstaltung im Eingangsbereich von C/O Berlin geschrieben. C/O Berlin hatte denn auch konsequent den Fotobuchmessenpart beim European Month of Photography, kurz EMOP, gestrichen. Am Ende des ersten Workshoptags verlasen die 30 Experten öffentlich auf der Bühne der Reihe nach Statements.

Simon Karlstetter vom "Der Greif"-Magazin sagte beispielsweise nur einen Satz: "Denken Sie an all die Bäume!" Soll heißen: Gibt es eigentlich nichts Wichtigeres, über das man sich Gedanken machen könnte? Lesley Martin von "Aperture" fragte sich, wie all die schlechten Fotobücher überhaupt in die Regale kommen und wer das ganze Zeug kauft. Der Fotografiekritiker Jörg Colberg fand klare Worte: "Überhaupt sind Fotobücher gar nicht von Fotografen für andere Fotografen gemacht. Sie werden gemacht von Fotografen in einer Clique für andere Fotografen in derselben Clique. Oder für die Szene. Aber sie werden nicht gemacht für andere Cliquen oder Szenen. Und ganz sicher nicht für den unglückseligen Dummkopf, der zufällig vorbeikommt." Er endete mit Fragen: "Warum machen wir Fotobücher, die zu teuer für normale Leute sind und vielleicht zu anspruchsvoll? Warum sind wir überrascht, wenn sich Fotobücher nicht verkaufen, wenn doch so viele Probleme offenkundig sind?"

Derweil fragte sich wahrscheinlich der unvoreingenommene Besucher des EMOP, der vielleicht nur einmal kurz schauen wollte, was so geht in Sachen Fotografie und ein bisschen in Fotobüchern blättern wollte, wo er da nun hineingestolpert ist.

Martin Parr zeigte sich wenig beunruhigt auf die Frage nach Fotobüchern. Zuerst einmal gab er zu, dass von seinen über 100 Fotobüchern selbstverständlich nicht alle gut seien – damit hatte er die Lacher auf seiner Seite –, dann sagte er wieder: Nur her mit all den schlechten Fotobüchern, damit die guten Fotobücher noch mehr punkten können.

"Mein Job besteht darin, zu unterhalten", so beschrieb er zu Beginn des Artist Talks seine fotografische Tätigkeit. Dem Drang unterhalten zu wollen, folgte er auch in den 60 Minuten auf der Bühne. Jetzt kann man seine Antwort für oberflächlich befinden, denn damit ist den Fotobuchverlagen, die tatsächlich finanziell in der Krise stecken und ums Überleben kämpfen, nicht geholfen. Womit er aber recht hat: Nur weil mehr Fotos als jemals zuvor in der Welt sind und weil Menschen Selfies machen, steckt die Fotografie nicht in einer Krise.