Michael Morgner wird 80

"Ich war kein DDR-Künstler, ich war Künstler in der DDR"

Michael Morgner zählt zu jenen, die sich der Staatskunst der DDR verweigerten und für gestalterische Freiheit stritten. Bis heute ist er produktiv und plant unter anderem ein Einheitsdenkmal. Nun wird er 80 Jahre alt

Michael Morgner hat nach langer Pause das Zeichnen für sich wiederentdeckt. Der Künstler kramt in seinem Wohnhaus im Chemnitzer Ortsteil Einsiedel einen Stapel hervor - "Querdenker" hat er die Arbeiten genannt. Anlass sind Proteste gegen Corona-Maßnahmen, die auch in seinem Wohnort montags Menschen auf die Straße locken. "Zu DDR-Zeiten haben viele von ihnen kein Wort gesagt, aber jetzt 'Freiheit, Freiheit' rufen", schimpft er. Entstanden sind düstere Tusche-Zeichnungen in der Tradition von Francisco de Goyas "Pinturas negras". Einst massiv von der Stasi überwacht, weil er die offizielle DDR-Kunst ablehnte und für künstlerische Freiheit stritt, ist Morgner ein kritischer Beobachter geblieben. Am Mittwoch, 6. April, wird er 80.

Er sei kein DDR-Künstler, sondern Künstler in der DDR gewesen, betont der Sachse, der aus seiner tiefen Abneigung gegen den sozialistischen Realismus und Künstler wie Willi Sitte, Werner Tübke und Bernhard Heisig keinen Hehl macht. Morgner steht für die oppositionelle Kunst jener Zeit, so wie etwa Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus und Max Uhlig. Seine Arbeiten sind international anerkannt und nicht nur im Meißner Dom sowie den Kunstsammlungen in Chemnitz und Dresden zu finden, sondern auch in der Eremitage, dem Getty-Museum in Los Angeles und dem Museum of Modern Art in New York.

Geboren am 6. April 1942 studiert Morgner in den 1960er-Jahren an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig; danach arbeitet er freischaffend. Fern der Kunsthochschulen verweigert er sich den Konventionen der DDR-Kunst und gründet mit Künstler-Kollegen die Gruppe "Clara Mosch" (1977-1982). Die von ihnen geführte Galerie in Chemnitz gilt als erste unabhängige Produzentengalerie in der DDR. Und bei Plenairs thematisieren sie Tabu-Themen wie Umweltschutz und fehlende Freiheit. Dazu zählen Aktionen wie "M. überschreitet den See bei Gallenthin", "Ein Kreuz legen" und "Wir weben unser Leichentuch".

Auch bei der Maltechnik geht Morgner eigene Wege, entwickelt die "Lavage". Dabei lässt er einen Teil der Tusche auf dem Papier antrocknen, andere Partien spült er mit Wasser ab, so dass Silbergrau entsteht. Morgner führt in sein Atelier, wo seine jüngsten, drei mal fünf Meter großen Arbeiten stehen. Sie sind in einem aufwendigen Prozess der Collage und Decollage entstanden. Dazu prägt er zunächst Figuren von einer Radierplatte in Büttenpapier, das er an bestimmten Stellen mit Benzin tränkt, mit Asphaltlack bearbeitet, auf die Leinwand aufbringt und mit Tusche-Zeichnungen versieht. Dann häutet er das Papier mehrfach und bearbeitet es neu. "Ich gehe wie ein Bildhauer vor, der sich in sein Material hineinarbeitet", erklärt er.

"Immer ein unabhängiger Künstler"

Morgner zähle zweifelsohne zu den wichtigen deutschen Künstlern der Nachkriegszeit, erklärte der Kunsthistoriker und Generaldirektor der Kunstsammlungen Chemnitz, Frédéric Bußmann. Er setze sich in seinen Werken mit existenziellen Lebensfragen des Menschen wie Angst, Tod, Krieg und Frieden auseinander und bediene sich dabei sehr unterschiedlicher Techniken. Die Kunstsammlungen Chemnitz selbst verfügen laut Bußmann über 272 Kunstwerke Morgners – Malerei, Zeichnungen und Druckgrafik ebenso wie Plastiken. Bußmann: "Morgner war immer ein unabhängiger Künstler, der sich nicht angedient hat."

Einen wichtigen Teil seines Schaffens nehmen Skulpturen ein, die sich auch im öffentlichen Raum finden. Sie erheben sich scheinbar aus einer Metallplatte, die wie ein Schatten zu ihren Füßen liegt; ihr Inneres gleicht einer Landschaft aus Morgners Erzgebirgsregion. "Die wichtigste Figur meines Lebens ist 'Der Schreitende'", sagt er. Entstanden ist sie, nachdem er in Folge eines schweren Skiunfalls monatelang selbst liegen musste. Für Morgner ist sie zu einem Sinnbild des aufrechten Ganges geworden, zu dem weite Teile der Bevölkerung zur Friedlichen Revolution 1989 gefunden haben.

Im Süden (München), Norden (Ahrenshoop) und Osten (Reinsdorf bei Zwickau) steht bereits jeweils ein Exemplar. "Mein Wunsch ist, dass in allen vier Himmelsrichtungen eine solche Skulptur steht, die symbolisch aufeinander zulaufen" erklärt Morgner seine Idee eines Einheitsdenkmals. Gekrönt werden könnte dies durch eine weitere, etwa zehn Meter hohe Skulptur in Leipzig. "Das ist mein Lebenswunsch."