Michael Wolfs Großstadtbilder

Alles so eng hier

Der deutsche Fotograf Michael Wolf zeigt beklemmende Aufnahmen vom Leben in Großstädten. Seine Bilder kommen aus einer Gegenwart, in der das Alleinsein so gut wie unmöglich ist

Nach einer Prognose der Vereinten Nationen werden im Jahr 2050 gut zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Es ist das Paradoxon der Zukunft: Durch die Landflucht werden immer größere Teile der Erde menschenleer sein, während dort, wo alle hin wollen oder müssen, Platz zum größten Luxus und den Reichsten vorbehalten sein wird. Mit diesem Phänomen beschäftigt sich auch die Ausstellung "Life in Cities" im Berliner Kulturhaus Urania. Der deutsche Fotograf Michael Wolf, der im April diesen Jahres gestorben ist, hat sich in seinen Serien mit der Enge und dem Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Privatheit in asiatischen Megametropolen auseinandergesetzt. Mal geht seine Kamera ganz nah an die Menschen heran, zeigt den Einzelnen in der Masse hinter beschlagenen U-Bahn-Scheiben und schafft fast andächtige Momente der Ruhe in der niemals stillstehenden Stadtmaschinerie.

In anderen Bildern geht er dagegen auf Distanz und zeigt die riesigen Wohnblöcke in Tokio oder Hongkong nur noch als abstrakte Muster. Jedes Fenster nichts als ein winziges Viereck im Bildraster, dahinter noch winziger die verblasste Idee von Menschen. In der Serie "Transparent City" von 2006 stellt er die urbanen Glastürme in den Mittelpunkt, die von den enormen Privilegien ihrer Bewohner erzählen, aber gleichzeitig auch von der obsoleten Idee der Privatsphäre. Alles ist einsehbar - in der Architektur verfestigt sich das, was man die nahezu totale Transparenz des Menschen in der Gegenwart nennen kann. 

Ist das überhaupt Fotografie?

Als der gebürtige Münchner Michael Wolf vor gut zehn Jahren begann, in seinem Werk auch Screenshots aus Google Street View zu benutzen, war das in der Fotoszene noch ein kleiner Skandal. 2011 wurde er für seine Serie "Street View" mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet, was Protest bei einigen Kollegen hervorrief. Ist das überhaupt noch Fotografie? 

Inzwischen hat sich die Ästhetik der Überwachung ganz selbstverständlich in die Kunst und unsere Bildkultur eingeschrieben. Michael Wolf richtet den Blick auf die teils absurden Momente, wenn die Technik auf den menschlichen Alltag trifft. Und auf Orte, an denen es fast unmöglich geworden ist, allein zu sein.