Obama vor Obama

Macht und Liebe in der Malerei

Die ehemalige First Lady Michelle Obama hat sich vor dem Präsidentenporträt ihres Ehemanns fotografieren lassen – und drehte so das von einer Zweijährigen gestartete Spiel mit den offiziellen Obama-Porträts weiter

Die 55-Jährige war am Sonntagabend in der National Portrait Gallery in Washington auf einer Spendengala, um dem Komponisten und Schauspieler Lin-Manuel Miranda den "Portrait of a Nation Prize" zu überreichen. Auf Instagram postete sie dann ein Foto, wie sie mit gefalteten Händen auf das Präsidenten-Gemälde von Kehinde Wiley schaut, darunter setzte sie ein Herz-Emoji. 

Dieses andächtige Arrangement aus Macht und Liebe passt zum Konzept von Obamas Porträtmaler. Kehinde Wiley inszeniert in großformatigen, barockartigen Porträts vor allem afroamerikanische Rap- und Sport-Stars wie Heilige und weltliche Herrscher, selbstbewusst und mit Attributen der Macht.

Tatsächliche Macht, die reflektiert wird

Wiley-Bilder beziehen ihre Kraft auch daraus, dass Nachfahren von Sklaven wie deren damalige Herren dargestellt sind. Anderseits spielt der 1977 in Los Angeles geborene Maler ironisch mit der in der Hip-Hop-Kultur verbreiteten Sehnsucht nach Erlöserfiguren und Märtyrer. Indem er ihn sein Bildnis malen ließ, hat sich der PR-Profi Barack Obama eine Darstellung seiner tatsächlichen Macht gesichert, die trotzdem seine afroamerikanische Herkunft reflektiert. Ein bisschen street credibility gibt es bei Kehinde Wiley dazu.

Mit ihrem Instagram-Foto schuf Michelle Obama eine Art Neuauflage des berühmt gewordenen Fotos, auf dem die zweijährige Parker Curry mit offenem Mund ehrfürchtig in der National Portrait Gallery steht – vor Amy Sheralds offiziellem Porträt von Michelle Obama. Auch wenn die einstige First Lady nicht staunend vor dem Bild ihres Mannes steht, sondern zufrieden und voller Zärtlichkeit auf das Wiley-Gemälde schaut, spricht auch ihr Foto genauso wie das von Parker Curry von der Repräsentation von Macht und Liebe in der Malerei. 

Foto: Facebook/Ben Hines
Foto: Facebook/Ben Hines
Parker Curry in der National Portrait Gallery in Washington


In ihrer Autobiografie "Becoming" hat sich Michelle Obama über das Leben im Rampenlicht und ihre vom Publikum idealisierte Ehe geöffnet. In der "Tonight Show" enthüllte sie, dass sie in der Eheberatung war, um ihren Mann zu "reparieren". "Weil wir Vorbilder sind, ist es wichtig, dass wir ehrlich zugeben: Wenn du verheiratet bist und es Zeiten gibt, in denen du gehen willst, ist das normal. Solche Gefühle kenne ich jedenfalls."

Das Foto in der National Portrait Gallery ist ein erneuter Beleg dafür, dass die Obamas das Wechselspiel zwischen Macht- und Privatmenschen perfekt beherrschen. Was für eine Nation ein Porträt ihres Ex-Herrschers ist, ist für Michelle Obama ein gestohlener Moment mit ihrem Liebsten. Das ist kunstgeschichtlich betrachtet schon wieder klassisch höfisch.