Mire Lee in Frankfurt

Härter als Beton

Mire Lee ist eine der extremsten Künstlerinnen unserer Zeit. Jetzt sind Werke der Ponto-Preisträgerin im Frankfurter Museum für Moderne Kunst zu sehen

In einem kleinen dunklen Raum im MMK Zollamt, der mit der Kennzeichnung "Ab 18" versehen ist, läuft auf einem Bildschirm ein Interview mit der österreichischen Pornodarstellerin Veronica Moser. Sie war eine Expertin für Skatophilie, und man muss ein bisschen durchhalten, bis man versteht, was das mit Kunst zu tun haben könnte. Der Ponto-Preis, der jetzt diese Ausstellung der 1988 geborenen südkoreanische Künstlerin Mire Lee im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt ermöglicht, fördert seit 1977 Nachwuchskünstlerinnen und -künstler. Eine Bewerberin – oder war es ein Bewerber? – berichtete vor vielen Jahren einmal, sie sei von der Jury gefragt worden, was man denn vorhabe mit dem ganzen schönen Preisgeld, sollte man es gewinnen. Die sich bewerbende, durchaus aussichtsreiche Person antwortete damals etwas konsterniert, sie wolle mit Elefantenpolo beginnen. Der Preis ging dann an jemand anderen. Scheiße fressen hat also durchaus mit Kunst zu tun.

Seit 2007 beinhaltet die von der Jürgen Ponto-Stiftung vergebene Auszeichnung, einer der wichtigsten Kunstpreise in Deutschland, eine Einzelausstellung im Zollamt mit Publikation und eine zusätzliche Dotierung von 10.000 Euro. Die Jury bestand diesmal aus Daniel Birnbaum, Ulrike Groos und Susanne Pfeffer, der Direktorin des MMK, zu dem auch das Zollamt schräg gegenüber gehört.

Es ist ein immer wieder erstaunlich wandelbarer Raum. Mehrere Betonmischer sind an den Rändern der Ausstellungsfläche platziert, in deren Zentrum ein raumgreifendes, aber fragil und instabil wirkendes Gerüst steht. Alle Elemente wirken stark benutzt und verschlammt von Baustellenschmutz. An der dunkel gestrichenen Stirnwand sind ausgehärtete Betonfladen mit elliptischen Löchern senkrecht angebracht, umrahmt werden sie von handgeschriebenen Texten auf Koreanisch, Deutsch und Englisch. Poetisch-düstere Sentenzen, die  von Stoffwechsel und Lust, Tod und Gebären handeln. Dazu rotieren scheppernd die Mischmaschinen. Mit ihren runden Öffnungen, in denen schwarze Flüssigkeit zirkuliert oder knochenhafte Gebilde, werden sie vor dieser wortgewaltigen Fassade selbst zu Leben gebärenden oder Leben zermalmenden Wesen.

Die Texte stammen von der südkoreanischen Künstlerin Kim Eon Hee. "Sie erschafft zahlreiche Bilder von Exkrementen und Körpern, und sie hat auch eine Reihe von Gedichten über Mutterschaft verfasst", sagt Mire Lee. "Ihr Werk stellt für mich bereits seit langer Zeit eine große Inspirationsquelle dar." Die Dichterin hatte ihre eigene Mutter lange gepflegt, und auch Mire Lee zeigt ihre schlafende Mutter in einem kurzen Filmloop am Anfang der Ausstellung. "Menschen verwandeln sich beim Einschlafen quasi sofort in ein bloßes Stück Fleisch," sagt die Künstlerin. Und auch wenn es viele verstörende Elemente in der Ausstellung gibt, fühlt sich diese Materialwerdung der Mutter am seltsamsten an. "Schau, ich bin ein Drecksbrunnen im Liebesrausch" lautet eine der Gedicht-Zeilen, die der Ausstellung auch den Titel gab.

Transgression als Ausweg

Man könnte sich am Ende noch mal zu den Ausführungen von Veronica Moser begeben, die über ihre besonderen, wirklich abstoßenden Qualifikationen und angeblichen oder auch tatsächlichen Begierden ausführlich und sehr sympathisch Auskunft gibt. Verachtung, Erniedrigung und Selbsterniedrigung sickern in dieser Ausstellung unaufhaltsam in alle Ritzen, wie der schmutzige Brei aus den Betonmischern. Transgression als Ausweg. Gewalt, auch gegen sich selbst, als Selbstermächtigung.

Es ist natürlich viel zu einfach und zu dumm, diese existenziellen Spannungen als typisch weiblich oder typisch koreanisch zu bezeichnen. Aber Mire Lee kennt sie aus der patriarchalen koreanischen Gesellschaft ausgesprochen gut. Die Demütigung ist das kollektive Gefühl aller weiblichen Wesen, von denen sehr viele sehr erfolgreich und sehr leistungsstark sind und denen trotzdem nicht der Platz in der Gesellschaft einzunehmen erlaubt ist. "Demütigung ist ein starkes Wort", sagt Mire Lee in einem Gespräch mit Susanne Pfeffer. "Aber trifft es auf den Punkt, denn es ist etwas, das sich tief in deinen Körper einschreibt. Und selbst wenn du emanzipiert und aufgeklärt bist, hilft dir das nur wenig, weil diese Demütigung bereits längst stattgefunden hat und irreversibel ist."

Und was interessiert Mire Lee an der Pornodarstellerin Veronica Moser, die Exkremente isst? Mire Lee redet respektvoll von ihr, als sie am Eröffnungsabend mit einem Blumenstrauß in der Tasche auf den Stufen des MMK sitzt und eigentlich gar nicht mehr interviewt werden sollte. Moser sage an einer Stelle etwas, sagt Lee, das auch auf ihre Kunst zutreffe. Also doch nochmal zurück in die Kabine für Volljährige, um der Kette rauchenden Frau bei ihren lächelnd vorgetragenen Ausführungen zuhören. "Mir geht’s darum, dass ich die Scheiße schlucke. Das ist einfach das, was mir gefällt. Und bei dem hab ich’s dann auch belassen. Weil ich halt auch nicht weiß, was man da noch Ärgeres bringen kann."