Menetekel der Bilder

Mit dem Rücken zur Kunst

Foto: dpa
Foto: dpa
Der damalige US-Präsident Barack Obama (rechts) empfängt am 10.11.2016 im Oval Office im Weißen Haus in Washington den designierten US-Präsidenten Donald Trump

Donald Trump bezieht diese Woche das Oval Office. Er wird vermutlich ummöblieren und eine eigene Hegemonialordnung der Kunstwerke aufbauen. Das hat zuvor auch Obama getan, ohne zu ahnen, dass er vor seinem bildpolitischen Ensemble eines Tages Trump als Nachfolger empfangen würde

Bilder machen Geschichte, so heißt es bisweilen. Dass jedoch Bilder Geschichte auch zu kommentieren vermögen, erwies sich eindrücklich im vergangenen November, als uns die Fotos vom Besuch des designierten Präsidenten Trump beim amtierenden Präsidenten Obama erreichten. In jenem Moment, in dem Donald J. Trump im linken der beiden Lehnstühle im Oval Office vor dem – kalten – Kamin Platz nahm, wird ihm kaum bewusst gewesen sein, wie sehr er sich damit einem Menetekel der Bilder unterwarf.

Agentur-Fotografen fingen die Szene in ihrer buchstäblich epischen Breite fotografisch ein. Die Fotos zeigen Trump und Obama eingezwängt in das Regime einer absurden Spiegelsymmetrie. Einzig ihre Gesten, ihre Gesichter und ihre parteipolitisch korrekten Krawattenfarben arbeiten einer Klappbildhaftigkeit entgegen, ebenso wie ein bunter Blumenstrauß, der tapfer gegen die Betrübtheit mancher Wähler anstrahlt. Vor allem aber sind es die Bildwerke im Hintergrund, die dem starren Achsenraster eine Unruhe entgegensetzen, einen Widerstand fast, der sich auch als bildpolitische Opposition gegen den zukünftigen Hausherrn lesen lässt.

Das Gemälde links stammt vom Maler und Illustrator Norman Rockwell und gehört dem kollektiven Bildgedächtnis der USA an. Es zeigt einfache Arbeiter bei der flickschusternden Ausbesserung der Freiheitsstatue. Das Bild war Anfang Juli 1946, 60 Jahre nach Einweihung der Statue of Liberty, als Titelblattillustration der "Saturday Evening Post" erschienen. Anlässlich des Unabhängigkeitstags sollte es ironisch auf die Notwendigkeit einer Pflege des amerikanischen Freiheitsversprechens hinweisen. Als Bild im Bild nun gemahnen die mühseligen Renovierungsarbeiten an der Fackel – mithin an jenem Gegenstand, der eine Erhellung und Aufklärung der Welt überhaupt erst gestattet – die USA an ihre auch zukünftig globale Verantwortung. Insofern Miss Liberty dem President-elect über die Schulter leuchtet, zeigt sich überdeutlich, wie weit Trumps marktschreierische Doktrin "America First" entfernt ist vom libertären Ethos des "Enlightening the World".

Das zentrale Bild über dem Kaminsims wiederum stellt George Washington dar, den ersten Präsidenten der USA, ein nachgerade mythischer Gründervater der amerikanischen Nation. Auf dem Gemälde des Porträtmalers Rembrandt Peale präfiguriert Washington mit Würde und Weitblick eine Rolle, die Trump als zukünftiger Präsident bestenfalls noch wird finden müssen. Hinweg über die Köpfe seiner beiden Nachfolger, die allein den Blick der Kameras suchen, scheint Washington zurück- und zugleich in eine unsichere Zukunft zu blicken.

Hingegen könnte Trump sich zunächst vom dritten Bild bestärkt fühlen, einer Landschaft mit der imposanten Gebirgsformation der Three Tetons in den Rocky Mountains, gemalt 1895 von Thomas Moran. Die Erhabenheit einer nordamerikanischen Landschaft hat Moran überzeugend ins Bild gesetzt, und umstandslos ließe sich hier von der Weite der Landschaft auf die Größe des Landes schließen; die Gleichsetzung von "great" und "great" ließe sich für Trumps Slogan reklamieren: "Great Again!" Eine solche Inanspruchnahme des Gemäldes würde aber diesem nicht gerecht. Denn sein Maler gehörte der sogenannten Hudson River School an, einer Gruppe amerikanischer Landschaftsmaler, die ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu der angeblich göttlichen Bestimmung pflegten, die dem amerikanischen Volk gebot, den Kontinent um jeden Preis zu besiedeln. Heute lässt das Gemälde eher fragen, was denn aus den USA wohl werden wird, mit einem Präsidenten, der den Klimawandel für eine Lüge hält.

Schließlich – und entscheidend – rechts und links auf der Höhe der Mittelhorizontalen die beiden Bronzebüsten. Es sind dies Porträts von Abraham Lincoln und Martin Luther King, geschaffen 1887 von Augustus Saint-Gaudens beziehungsweise 1970 vom afroamerikanischen Bildhauer Charles Alston. Kaum mehr aus präsidialer Demut scheint der 16. Präsident der USA das Haupt zu senken, eher aus Resignation über die Zeitläufte. Wie anders denn als populistischen Backlash könnte Lincoln das Wiedererstarken rassistischer Ressentiments empfinden? Auf der anderen Seite heftet Martin Luther King, bis heute die Identifikationsfigur der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, erhobenen Hauptes seinen Blick fest auf den zukünftigen Präsidenten. King sitzt Trump buchstäblich im Nacken. Die unerwartete Begegnung des Bürgerrechtlers mit dem Demagogen gerinnt zur Chiffre für jene historische Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die von Trump im Wahlkampf dermaßen eskaliert wurde, dass ihre Überwindung auf Jahre unmöglich scheint.

Donald J. Trump, der 45. Präsident der USA, bezieht im Januar das Oval Office. Er wird vermutlich ummöblieren, wie dies vor ihm in den vergangenen Jahrzehnten noch jeder Präsident getan hat, und eine eigene Hegemonialordnung der Bilder aufbauen. Wie zuvor auch Obama, ohne zu ahnen, dass er vor seinem bildpolitischen Ensemble eines Tages Trump als Nachfolger empfangen würde. Gewiss wird Martin Luther King aus dem präsidialen Arbeitszimmer verschwinden. Ob Washington und auch Lincoln bleiben dürfen, die bislang als bildliche Konstanten im Oval Office immerhin vier Präsidenten haben kommen und gehen sehen, kann keinesfalls als sicher gelten. Im Moment der historischen Zäsur jedenfalls, auf diesem Foto vom 10. November 2016, schweben amerikanische Geschichtsbilder als Menetekel über einem Präsidenten, der zweifelsohne Geschichte schreiben wird, auch Bildgeschichte.