Mondrian in der Fondation Beyeler

Die Wurzeln der Abstraktion

Ein Werk, das sich mit jedem Strich weiterentwickelt: Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zeigt Piet Mondrians künstlerische Evolution zur Ikone der Moderne

Schwarzes Raster, blaue, rote und gelbe Rechtecke – schon weiß jeder, wer gemeint ist. Wenige Künstler des 20. Jahrhunderts werden so mit einer Phase ihres Œuvres identifiziert wie der Niederländer Piet Mondrian, der vor 150 Jahren in Amersfoort in den Niederlanden geboren wurde. Mondrian hat mit seiner neoplastischen Malerei unabsichtlich ein Meme der Moderne geschaffen. Seine abstrakte Malerei war kein genialer Einfall, sie entspringt vielmehr einem inneren Antrieb, der sich durch sein gesamtes Schaffen zieht und der sich evolutionär entwickelt hat. Das ist die These von "Mondrian Evolution", einer Retrospektive, die die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel ausrichtet. Es ist die erste monografische Schau des Museums zu Mondrian, von dem es sieben Gemälde besitzt, vor allem aus der späten Zeit.

Mit der 89 Werke umfassenden Ausstellung legt man den Schwerpunkt nun auf das frühe Werk, das das spätere in mancher Hinsicht vorwegnimmt. Mondrian habe sich schon lange für solche Bildstrukturen interessiert, erklärt Senior Curator Ulf Küster im Gespräch mit Monopol: "Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass ein Bild wie "Frau mit Spindel" [um 1893–1896] aus lauter Rastern besteht, lauter rechten Winkeln. Und wenn man daneben ein neoplastisches Bild aus den 1930er-Jahren hängt, dann sind zwar ganz viele Schritte dazwischen – aber wenn man genau hinsieht, dann bemerkt man, dass die Bildessenz des rechten Winkels schon in dem frühen Bild enthalten ist."

Auch Mondrian selbst macht durchaus eine Entwicklung durch: Der romantisch dreinschauende Künstler im repräsentativen Atelier des Jahres 1908 weicht in der Pariser und New Yorker Zeit dem asketisch wirkenden Herrn in kahlen, weißen Räumen mit selbst entworfenen Möbeln. Die Krawatte legt der stets korrekt gekleidete Jazzfan auch beim Malen nicht ab – er zieht einen Kittel über. Nach Stationen in Amsterdam, Paris und London wird 1940 New York Mondrians letzte Adresse.

"Gelber Himmel mit Löchern wie ein Schweizerkäse"

Ihre Mondrian-Gemälde hat die Fondation Beyeler in Vorbereitung auf die Ausstellung ab 2019 wissenschaftlich untersucht. Dabei machte das "Piet Mondrian Conservation Project" mit der Unterstützung von La Prairie einige Entdeckungen. So hat Mondrian in seinen berühmtesten Werken anders als vermutet kein Lineal benutzt, sondern seine geraden Linien mit raffinierten Techniken konstruiert. Was auf den ersten Blick vollkommen exakt wirkt, erweist sich unter dem Mikroskop als prozesshaft ausgearbeitet, in einer geradezu tastenden Malweise.

Das verweist auf die Anfänge des Holländers. Der Pionier der Abstraktion begann noch vor der Jahrhundertwende als Porträt- und Landschaftsmaler, der in der realistischen Tradition der niederländischen Malerei wurzelte. Um 1908 werden Mondrians Bilder intensiv farbig, aber auch diffuser und mit stark verdünnter Farbe aufgetragen, wie "Bosch (Wald bei Oele)" oder der "Leuchtturm bei Westkapelle mit Wolken". Die Kritik war dafür nicht bereit. Angesichts seiner "Mühle bei Sonnenschein" ist bei den zeitgenössischen Kommentatoren von einer "blutüberströmten Mühle [...] vor einem gelben Himmel mit Löchern wie ein Schweizerkäse" die Rede.

Mondrian interessiert sich jetzt zunehmend für die spirituellen Aspekte der bildenden Kunst, hört Vorträge von Rudolf Steiner im theosophischen Verein Amsterdams, reist nach Paris und rezipiert das Werk von Braque und Picasso. "Als er den Kubismus entdeckt, öffnet sich ihm eine Bildsprache, die sehr viel mehr in der Lage ist, das von ihm angestrebte Essenzielle in der Kunst fühlbar zu machen, aber auch zu zeigen", erklärt Ulf Küster. "Ich konstruiere", schreibt der damals 42-jährige Mondrian im Januar 1914 seinem Förderer H. P. Bremmer, "auf einer planen Fläche Linien und Farbkombinationen zu dem Zweck, die allgemeine Schönheit so bewusst wie möglich darzustellen." Die Natur inspiriere ihn, aber er wolle "der Wahrheit so nahe wie möglich kommen und darum alles abstrahieren, bis ich ans Fundament (immer noch ein äußeres Fundament!) der Dinge gelange".

Vom Naturalismus zur Abstraktion

Es ist dieser Weg vom Naturalismus zur Abstraktion, den "Mondrian Evolution" nachvollziehen möchte. Dabei spielt auch der elf Jahre ältere Rudolf Steiner mit seiner anthroposophischen Lehre eine Rolle. "Mondrian", sagt Ulf Küster, "faszinierte die Idee, dass es eine geistige Dimension gibt, die durch Kunst sichtbar wird, und das ist eigentlich auch das Ziel, das er in seinen späteren Bildern verfolgt. Sie sind flach, ohne die Illusion von Tiefe, aber sie sollen einen geistigen Raum zwischen dem Betrachter und dem Bild erzeugen. Und sie sollen den Weg in eine spirituelle Dimension öffnen."

Allerdings hatten Mondrian und Steiner unterschiedliche Vorstellungen davon, welcher Weg die Kunst zur spirituellen Erleuchtung führt. Steiner hat sich, als Mondrian schon Rasterbilder malte, bereits gänzlich vom rechten Winkel abgewandt – ein Brief Mondrians an Steiner von 1921 blieb ohne Antwort. Mondrians neoplastische Bilder ab 1920 wirken klar und ordnend – so wie die Räume, in denen er arbeitete. "Willem de Kooning hat von Mondrians New Yorker Atelier einmal gesagt, es sei, wie in ein Bild von ihm hineinzulaufen. Diese Ateliers brauchte Mondrian, um die Wirkung seiner Bilder zu testen. Er hat da weniger gemalt, als sich die Bilder stunden-, ja tagelang angesehen. Um ihre Wirkung zu studieren und auch die Veränderungen, denn sie sind ja über einen langen Zeitraum hinweg entstanden. Er hat eine Leinwand in Paris begonnen, dann nach London mitgenommen und schließlich in New York vollendet. Mondrian musste sich vor dem Weitermalen regelrecht in das Bild einsehen, denn das Licht änderte sich mit dem Ort und mit der Zeit."

Am Ende seines Lebens wird er sogar die Farbtuben verwerfen. Die späteste Arbeit in der Riehener Schau ist eine Streifenkonfiguration aus farbigen Tapes mit dem Titel "New York City 1" aus dem Jahr 1941. Vom Landschaftsbild des 19. Jahrhunderts zum Raster der modernen amerikanischen Großstadt. Beides verweist mehr aufeinander, als man denkt. Die Moderne hat sich selbst gern als Umsturz begriffen. Bei Mondrian fällt die Revolution des Bildes aus, sein Werk entwickelt sich mit jedem Strich, so wie das Leben sich mit jeder Zellteilung entwickelt – evolutionär eben.

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Foto: dpa
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Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel

Fondation Beyeler

Die Fondation Beyeler ist ein echter Publikumsliebling. Vor 25 Jahren eröffnete der spektakuläre Museumsbau des Architekten Renzo Piano in Riehen bei Basel. Neben regelmäßigen Wechselausstellungen werden dort Werke aus der hochkarätigen Sammlung der Stifter und Museumsgründer Hildy und Ernst Beyeler gezeigt. Das Galeristenpaar hat sich auf die Klassische Moderne und die Kunst des 20. Jahrhunderts konzentriert. In ihren Neuankäufen und Ausstellungen greift die Fondation Beyeler aber auch in die Gegenwart aus. Anlässlich ihres 25-Jahr-Jubiläums präsentiert das Museum im Herbst  seine bisher größte Sammlungsausstellung (ab 30. Oktober) sowie "Palimpsest", ein Ausstellungsprojekt der kolumbianischen Künstlerin Doris Salcedo (ab 9. Oktober).