Monica Bonvicini

"Wir müssen reflektieren, was uns umgibt"

Die Berliner Künstlerin Monica Bonvicini schafft eindrückliche Werke aus vieldeutigen Objekten und Buchstaben. Für ihre scharfen Analysen bekommt sie auf der Kunstmesse Art Karlsruhe den Hans Platschek Preis 2019 für Kunst und Sprache

Wenn irgendwo auf der Welt mal wieder ein Preis auf einen talentierten Menschen niederregnet, klingt das oft wie ein Natur­ereignis, das einfach so passiert. Dass in den Jurys, Komitees und Gremien immer Menschen sitzen, die individuelle Ansichten und Vorlieben haben, kann man bei allen hochoffiziellen Verkündungen dann schon mal verdrängen.

Beim Hans Platschek Preis für Kunst und Schrift, der mit 5000 Euro dotiert ist und 2019 zum zwölften Mal verliehen wird, ist das anders. Da kürt jedes Jahr eine einzelne Persönlichkeit aus der Kunstwelt einen Preisträger oder eine Preisträgerin, die sie für besonders bedeutend und dem Erbe des Künstlers und Publizisten Hans Platschek verbunden hält. In diesem Jahr hat Bettina Steinbrügge, Direktorin des Hamburger Kunstvereins, die Wahlberlinerin Monica Bonvicini ausgewählt.

Die Jurorin nennt Bonvicini (geboren 1965) eine der einflussreichsten Künstlerinnen ihrer Generation und beschreibt sie – ganz im Sinne des Preispatrons Platschek – als Anhängerin des deutlichen Ausdrucks und der klaren Analyse.

Auf den ersten Blick sind die Botschaften der gebürtigen Venezianerin tatsächlich unmissverständlich. "Same old shit" schreibt sie in spiegelnden Buchstaben an eine Galeriewand. Aus Glühbirnen geformt, leuchten die Worte "Not for you", und in der König Galerie in Berlin liegt das Wort "Guilt" an einer Kette auf dem Fußboden. Aber bei näherem Hinsehen werfen die zackigen Nachrichten Fragen auf.

Wer spricht? Zu wem? Ist die Schuld nun tonnenschwerer Klotz am Bein oder überdimensioniertes Fashion-Accessoire? Als Künstlerin spielt Bonvicini mit den Insignien der Macht und benutzt Objekte, die sowohl Waffen als auch ein ironisches Schmuckstück sein könnten. Mit ihren Skulpturen aus Kettensägen, Gürteln oder Handschellen thematisiert sie Architektur als Disziplinierungswerkzeug und baut an einer Mischung aus Folterkammer und gut gelaunter Fetisch-Landschaft. Es gibt also viel zu besprechen.

Frau Bonvicini, wie definieren Sie für sich Erfolg?
Erfolg sind für mich oft die kleinen Momente. Wenn eine Ausstellung gut gelungen ist oder eine Installation im Raum funktioniert, an der man zuvor nur auf dem Papier gearbeitet hat. Als ich „She Lies“ dann endlich auf dem Fjord in Oslo treiben gesehen habe, war das ein sehr bewegender Moment.

Sie meinen Ihre Eisbergskulptur vor dem Opernhaus in Oslo.
Ja. Für mich ist Erfolg aber auch, wenn Menschen erzählen, dass sie durch meine Arbeit zu neuen Gedanken und Ideen inspiriert worden sind oder die Welt nun ein klein wenig anders sehen.

Welche Rolle spielen Preise dabei?
Preise sind immer eine Gelegenheit, kurz innezuhalten und darüber nachzudenken, was alles so passiert. Und natürlich ist es immer eine große Ehre, wenn man für das ausgezeichnet wird, was man macht und wofür man steht.

In der Begründung für die Preisvergabe steht, dass Sie "das Verhältnis von Architektur, Geschlechterrollen, Kontrolle und Macht“ untersuchen. Finden Sie sich darin wieder?
Das sind alles Themenfelder, die mich seit Jahren begleiten, mit denen ich mich viel beschäftigt habe. Sie finden sich in unterschiedlicher Ausprägung in meinen Arbeiten, und noch habe ich nicht das Gefühl, dass dazu alles gesagt worden ist. Insofern finde ich mich natürlich darin wieder.

Hat Sie die #Metoo-Debatte interessiert?
Die #Metoo-Debatte war wichtig. Es war wichtig, dass es einen Raum gab, wo all die Dinge geäußert werden konnten und Betroffene mit einem Mal das Gefühl hatten, nicht mehr allein dazustehen. Sicher hat es zu einem sensibleren Umgang mit der Thematik von sexuellen Übergriffen geführt. Ob sich dadurch aber langfristig etwas ändert, muss sich erst noch erweisen.

In Ihrer Arbeit erforschen Sie auch männlich konnotierte Räume und Architekturen. Wird darüber zu wenig gesprochen?
Natürlich, so ist es oft bei Dingen, die einfach als gegeben und selbstverständlich genommen werden. Dabei ist ein Reflektieren darüber, was uns umgibt und woher es kommt, wichtig, um die Umgebung wirklich frei gestalten zu können.

Was interessiert Sie an der Brutalität von Objekten? Ich denke da zum Beispiel an die Kreissägen auf der Venedig-Biennale oder Ihre Ausstellung 2017/2018 in der Berlinischen Galerie, wo die schwingende Peitsche den Betrachtern unbehaglich nahe kam und die Vorstellung von Schmerz mitschwang.
Es ist interessant, dass "Breathing", so hieß die Arbeit in der Berlinischen Galerie, von vielen Besuchern als bedrohlich empfunden wurde. Für mich war es nie eine Peitsche, sondern immer eine Art Besen, der durch die Berlinische Galerie fegte. Die langsamen, schwingenden Bewegungen hatten für mich etwas sehr Meditatives und Schönes. Aber das interessiert mich auch an diesen Objekten: dass sie für Menschen unterschiedlich besetzt sind. Auch eine Kettensäge löst bei mir kein Gefühl von Schmerz aus.

Der kristallene Eisberg "She Lies", den Sie in den Oslofjord gesetzt haben, wirkt dagegen ganz zart. Kam da Ihre romantische Ader durch?
Bei einer Größe von 17 x 16 x 12 Metern kann man vielleicht nicht von ganz zart sprechen. Die Reflexion des Lichtes auf den unterschiedlich geneigten Glasplatten und die Tatsache, dass die Arbeit auf dem Fjord schwimmt, geben ihr aber tatsächlich eine Leichtigkeit, die in starkem Kontrast zu ihrem Materialgewicht steht. Referenzquelle dieser Arbeit ist „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich, einem Meister der deutschen Romantik. Die verschachtelte Formation der Eisschollen hat mich am Ende mehr interessiert als die romantische Vorstellung, die der Malerei zugrunde lag.

Der Hans Platschek Preis würdigt erklärtermaßen auch den Umgang von Künst­lern mit Sprache. Welche Rolle spielt die in Ihrer Arbeit?
Sprache ist ein zentraler Bezugspunkt in meinen Arbeiten. Ich arbeite immer mal wieder mit Zitaten, aber auch die Auseinandersetzung mit der plakativen Werbesprache hat einige meiner Arbeiten, wie "SATISFY ME" oder "Desire", hervorgebracht. Grundsätzlich ist Sprache ein wichtiges Medium und etwas, mit dem man sehr vorsichtig umgehen muss. Gerade in heutigen Zeiten, wo alles schnell in einen Topf geworfen wird. Präzision in der Sprache und die Beschäftigung damit ist daher ein hohes Gut.

Hat Schuld etwas mit Ihrer Kunst zu tun?
In meiner Ausstellung in der König Galerie 2018 habe ich eine Installation gebaut, in der die Buchstaben G-U-I-L-T wie ein Emblem einer goldenen Hip-Hopper-Kette auf dem Boden lagen. Die Erkenntnis, dass sich heute einfach entschuldigt wird, es aber keinerlei Konsequenzen hat, war ein großer Antrieb, diese Ausstellung zu machen. Es zeugt davon, dass die Bereitschaft, etwas zu ändern, oft geringer ist, als behauptet wird. Nehmen wir den Klimawandel: Alle sagen, dass es existenziell wichtig ist, etwas zu ändern, die Folgen davon sind bereits zu sehen, aber die Staaten können sich auf Klimakonferenzen nur auf minimale Ziele einigen. Meine Serie über die Zerstörungen nach Hurrikans und Wildfires greifen diese Thematik ebenfalls auf.

Was denken Sie, wenn Sie in Berlin junge, hippe Menschen mit Ihren "Guilt"-Kappen herumlaufen sehen, die Sie für die Souvenirlinie der König Galerie designt haben?
Natürlich freue ich mich, dass die Kappe so gut ankommt. Ich hoffe aber, dass die Träger auch darüber nachdenken, was sie auf dem Kopf tragen und worum es dabei geht.

Sie haben mal gesagt, dass Sie Club- und Fetischkultur inspirierend finden. Ist die heute noch so aufregend wie in den 90ern?
Da müsste ich heute tatsächlich erst einmal nachschauen gehen …

Sie nutzen auch oft Modeartikel wie Gürtel oder Ketten. Hat Mode etwas Sadistisches an sich? Wir zwängen uns schließlich ständig in Sachen, die unsere Körper quälen.
Mode ist ein Ausdrucksmittel. Ich arbeite gerade an dem Kostüm- und Bühnenbild für die Oper "Turandot", die im Mai 2019 in La Fenice in Venedig Premiere haben wird. Hier merke ich wieder, wie sehr man mit Mode auch gestalten, ganze Figuren aufbauen kann. Mode kann etwas Sadistisches haben, wenn wir uns ihr unterwerfen. Aber am Ende hat immer noch jeder selbst die Wahl, was er anzieht.

Sie unterrichten auch in Wien und an der UdK in Berlin. Können Sie Ihren Studenten mit gutem Gewissen raten, in den Kunstbetrieb einzusteigen?
Es ist nicht einfach, wenn man gerade in die Kunstwelt startet. Man braucht Durchhaltevermögen und die Bereitschaft, viel auf sich zu nehmen. Das bedeutet viel Arbeit und Leidenschaft. Ein bisschen Glück gehört auch dazu. Aber natürlich ist es als Professorin meine Aufgabe, den Studenten und Studentinnen Mut zu machen und ihnen das beste Handwerkszeug mitzugeben, damit sie ihren Weg gehen können.