„Der Westen leuchtet“

Morgenröte oder Apokalypse? Selbstvergewisserungen in Bonn

Ob da jemand die Vorgaben der Kuratoren sabotieren wollte? Die zu Skulpturen aufgeschichteten Trümmerhaufen von Christian Keinstar sind ein Schock. Unversehens wähnt man sich im Innern eines postnuklearen Albtraums – oder doch nur inmitten des eingestürzten Kölner Stadtarchivs? Es riecht eigenartig, eher nach Apokalypse als Morgenröte. Selbst der tageslichtlose White Cube scheint in Deckung zu gehen, in Ehrfurcht vor den grillrostrot herausragenden Rohheizkörpern, die der Szenerie den Nimbus unfreiwilliger Energiegewinnung verleihen. Auch eine Art, neue Kräfte zu sammeln.

Der Titel sagt es schon: Der Westen möchte wieder leuchten. Der Bedeutungsverlust der Region im Zuge des Berlin-Hypes sitzt zwar tief, aber so schnell gibt sich das Rheinland nicht geschlagen, zumal die Lust an froher Selbstdarstellung konstant bleibt. Bevor im Herbst das Museum Morsbroich in Leverkusen unter dem Titel „Neues Rheinland. Die postironische Generation“ seine Barock-Pforten für die aufstrebenden 70er-Jahrgänge öffnet, opfert das Kunstmuseum Bonn seine gesamte Ausstellungsfläche von 3500 Quadratmetern, um Bilanz zu ziehen und dem Nachwuchs den Weg zu weisen. 33 Künstlerpositionen, großzügig in Einzelräume verteilt, gibt das von langer Hand geplante Schaulaufen her.

Ein Anfall von Selbsthass?

Was man zu sehen bekommt, ist freilich das Resultat eines zweifelhaften Generationenexperiments. Dass die Kuratoren des Hauses die Auswahl der Jüngeren in einem Patenprinzip den Älteren überließen, könnte noch als ein erfrischender Anfall von Selbsthass durchgehen. Dass die etablierten Künstler, von Becher über Klauke bis Ulrichs, die seltene Gelegenheit überwiegend dazu genutzt haben, um ihren eigenen Schülern, Assistenten oder mitunter gleichaltrigen Kollegen eine Bühne zu liefern, führt das Konzept einer Standortbestimmung ad absurdum. Der Qualität tut es natürlich keinen Abbruch, wenn auch die dem Zufall geschuldete Dominanz der Skulptur in dem sonst malerei-affinen Haus befremdet.

Es geht los mit einem „historischen Kern“ um die Klassiker Beuys, Palermo, Richter, Polke, Knoebel und Rückriem. Was erstaunt, ist die Beiläufigkeit, mit der diese Heroen des „leuchtenden Westens“ präsentiert werden. Traditionspflege sieht anders aus. Andreas Gursky und Katharina Sieverding zeigen im Obergeschoss dann doch kosmische Größe. Während der Foto-Star mit der neuesten Serie „Ocean“ sein ökologisches Gewissen entdeckt, die Kontinente an den Bildrand verdrängt und dazwischen sämtlichen Ozeanen aus der „Google Earth“-Perspektive huldigt, dringt die Beuys-Schülerin mit ihrer Videoprojektion aus dem Zyklus „Die Sonne um Mitternacht schauen“ einen Schritt weiter in den Weltraum hinein. Ihre glühende, aus den Archiven der NASA stammende Sonne, zieht den Betrachter magisch an, Schönheit und Gefahr lauern in ihren Tiefen und lassen die Anwesenheit der kriselnden Erde für den Moment einer kurzen Eruption vergessen.

Wucherungen aller Art gibt es nebenan auch bei dem „wilden Maler“ Albert Oehlen. Seine „postungegenständlichen“ Gemälde vertragen immer noch erstaunlich gut die malerische Geste, den schnell aufgetragenen Pinselschlag. Im gelungenen Kontrast zur unermüdlichen Bildstörung steht das Werk seines Patenkindes Thomas Arnolds. Die strengen, in Primärfarben getauchten Küchenbilder des Jungkünstlers überlassen nichts dem Zufall und reduzieren das formale Inventar auf eine Ästhetik des Setzkastens. Wiederkehrende Motive wie Knochen, russische Schachtelpuppen oder Türklinken mutieren in dieser Spielzeugwelt zu Ornamenten mit magisch aufgeladenen Details.

Eine zuverlässig schimmernde Zukunft
Ganz in der Nähe geht es häuslich weiter. Thomas Schütte nimmt seinen Raum mit bunten Tapeten und mahagonifarbenen Möbeln in Beschlag. Der mehrfache Documenta-Teilnehmer und Meister des Spartenwechsels entwirft mit seiner Installation „Möbel, 2005“ ein begehbares One Man House, das in seiner künstlichen Eckigkeit wie ein hoch gezoomtes architektonisches Modell wirkt, in dem man nur ungern Platz nehmen möchte. Ohnehin sollte man die Ausstellung als ein Sammelsurium disparater Trumpfkarten betrachten, das sein Versprechen des Aufbruchs schuldig bleibt, aber als hochdotierte Flaniermeile bestens funktioniert. Der Besucher kann sich entspannen. Ja, er kann sich verzaubern lassen.

Beim Stöbern stößt er dann im hinteren Bereich auf den von Rosemarie Trockel vorgeschlagenen Kölner Bildhauer Michail Pirgelis. Da ist sie dann wieder, die Einbauküche, wenn auch in Teile zerlegt. Die stammen von Flugzeugfriedhöfen und haben für die Installation „The Rest is History“ den umgekehrten Weg von den Weiten des Himmels runter auf die Erde genommen. Ihr Innenleben verwandelt Pirgelis mit der Akribie eines Chirurgen in vertikale Objekte, die im Silberdunst des Aluminiums blinzeln. In eine wenn nicht glänzende, dann doch zuverlässig schimmernde Zukunft hinaus, denn als Geschichte, das steht am Ende des Parcours fest, lässt sich die rheinische Kunstszene lange noch nicht ad acta legen.

Kunstmuseum Bonn, bis 24. Oktober.