Mutmaßliche Hochstaplerin Anna Sorokin

Ein Leben aus Lügen?

Mit einer Kombination aus selbstsicherem Auftreten, dreisten Lügen und gefälschten Dokumenten soll eine Deutsche sich in New York ein luxuriöses Leben ermogelt haben. Kunst war in dieser Scheinwelt ein Ausweis von Zugehörigkeit. Jetzt steht Anna Sorokin vor Gericht. Ihr droht lange Haft - und die Abschiebung nach Deutschland

Abendessen für Tausende Dollar. Privatjets. Urlaub in einer Villa in Marokko für 7000 Dollar pro Nacht. Glaubt man Berichten über den Lebensstil von Anna Sorokin, könnte man sie - wie sie selbst wohl behauptete - für eine schwerreiche Erbin mit Treuhandfonds im Rücken halten. Aber die Lebensgeschichte der Deutschen steckte Ermittlern zufolge voller Lügen, mit denen sie das Vertrauen der New Yorker High Society gewann und ihre Opfer um mehr als eine Viertelmillion Dollar (etwa 240 000 Euro) betrogen haben soll. Ab dem heutigen Mittwoch steht die mutmaßliche Hochstaplerin vor Gericht.

Die Geschichte der 28-jährigen Anna Sorokin, die das "New York Magazine" im Mai 2018 aufdeckte, liest sich wie das Abschlusskapitel im Meisterkurs für Trickbetrüger. Mit einer Kombination aus Lügen, selbstsicherem Auftreten, gefälschten Dokumenten und Ausreden soll sie Bekannte, Hotels, Restaurants und Banken reihenweise hinters Licht geführt haben. Sorokin wurde in Russland geboren, zog im Alter von 16 Jahren mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder nach Deutschland und ging in Eschweiler in der Nähe von Köln zur Schule, in London studierte sie kurz Kunst. Dann ging sie nach New York.

"Sie hatte ein engelhaftes Gesicht mit blauen Augen und Schmollmund", schreibt Fotoredakteurin Rachel Deloache Williams vom Magazin "Vanity Fair", die Sorokin um 62 000 Dollar (55 000 Euro) betrogen haben soll. Ihr Kleidungsstil war ein zusammengewürfelter Mix aus Designerstücken, die Sorokin teilweise trug wie Billigware. Gerade dieses "schlampige" Aussehen habe die junge Frau wirken lassen, als sei sie wirklich reich, urteilte die Website "Vice News". Sorokin trat unter dem Pseudonym Anna Delvey auf.

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Niemand wusste offenbar, woher diese rothaarige Anna kam oder woher sie all das Bargeld hatte, mit dem sie neue Bekannte zu teuren Esssen einlud. Sie schien geschickt darin, sich mit den richtigen Leuten an den richtigen Orten zu umgeben. "Treuhandfonds-Kids rennen überall herum. Jeder ist dein bester Freund und du weißt über niemanden etwas wirklich", sagte Marketing-Experte Tommy Saleh, der Sorokin 2013 in Paris während der Modewoche kennenlernte. Auf Kunstmessen und in Galerien mischte sie sich unters Volk und postete Fotos von Kunstwerken und Museumsbesuchen auf ihrem Instagram-Account (darunter auch Bilder aus Berliner Galerien). "Nachmittags-Bellini", schrieb sie etwa von der Biennale in Venedig 2015, wo sie von dem Sammler Michael Xufu Huang begleitet wurde, der nach eigenen Angaben hohe Kosten für Flüge und Hotel übernahm.

Der Haken war nur: Anna Delvey gab es nicht, und Anna Sorokin zahlte ihre Rechnungen nicht. Laut Staatsanwaltschaft fälschte sie Schecks, beglich Schulden nicht und legte bei Banken gefälschte Unterlagen vor, um etwa einen Kredit über 22 Millionen Dollar (20 Mio Euro) zu sichern. Darin gab sie demnach an, im Ausland über mindestens 60 Millionen Euro zu verfügen. Sie sprach davon, einen privaten Club mit Filialen in Los Angeles, London, Hongkong und Dubai öffnen zu wollen, dessen Herzstück ein Kunstzentrum sein sollte, für das die Künstler Urs Fischer, Damien Hirst und andere Werke beisteuern sollten. Die New Yorker Filiale sollte nach Wunsch von Delvey von Christo eingepackt werden. Zur Höchstform ihrer Trickserei lief Sorokin laut Ermittlern zwischen November 2016 und August 2017 auf.

Beim Prozessauftakt am Mittwoch wirkt Sorokin gefasst, tupft sich aber Tränen aus den Augen, währen Verteidiger Todd Spodek ihr Mut zu machen scheint. Im schwarzen Kleid und Absatzschuhen ist sie in den Gerichtssaal gekommen, ein Polizist entfernt zur Sitzung ihre Handschellen. Im Fall einer Verurteilung droht ihr eine jahrelange Haftstrafe. Unabhängig vom Urteil könnte sie nach Deutschland abgeschoben werden, da sie ihr 90 Tage gültiges Visum für die USA nach Angaben der Polizeibehörde ICE bereits überzogen hat.

Von einem «kalkulierten System, um ihren Opfern ein Gefühl von Sicherheit zu geben», spricht Staatsanwältin Kaegan Mays-Williams. Mal habe Sorokin Freunden gesagt, ihre Kreditkarte vergessen zu haben, mal habe sie deutsche Feiertage oder die Zeitverschiebung für eine ausbleibende Überweisung verantwortlich gemacht. "Die Angeklagte gab allen und allem die Schuld außer sich selbst", sagt Mays-Williams.

Verteidiger Spodek hält dagegen. "Anna hat für ihren Weg gezahlt - und wenn sie das nicht konnte, tat es jemand anders." Die Welt stecke voller Heuchler, sagt Spodek. Sorokin sei im Alter von 25 Jahren "quietschfidel" nach New York gekommen und habe sich nach diesem Grundsatz einfach neu erfunden, als sie "mit all den richtigen Leuten an all den richtigen Orten" zusammenkam. Eine Straftat habe sie nie begangen. Auch Frank Sinatras Hymne auf die Weltstadt zitiert Spodek: "Wenn ich es dort schaffen kann, schaffe ich es überall."

Ob Sorokin Reue spürt? Sicher habe sie einige Dinge falsch gemacht, sagte sie dem "New York Magazine" - "das mindert aber nicht die hundert Dinge, die ich richtig gemacht habe". Der spektakuläre Fall hat längst das Interesse Hollywoods geweckt: TV-Produzentin Shonda Rhimes ("Grey's Anatomy") will die Geschichte für Netflix in eine Serie verwandeln, parallel ist ein Titel mit Jennifer Lawrence oder Margot Robbie als Sorokin in der Hauptrolle im Gespräch. Glaubt man Medienberichten, hat Sorokin auch dort bereits die Finger im Spiel.