KW Institute for Contemporary Art

Muzeum! Warschaus MoMA in Berlin

Das kleine Mädchen sucht Schutz hinter der Rückwand einer Bushaltestelle. Es ist verängstigt, verstört, weint. Ringsherum herrscht Chaos, eine aufgebracht schreiende Meute. Eine Wand schwarz-uniformierter Männer, gut abgeschirmt durch Schutzschilder, die den Schriftzug „Policja“ tragen, nähert sich. Steine, Wasserwerfer, Tränengas.

 

Diese bürgerkriegsähnliche Bilder stammen nicht aus den Abendnachrichten, sondern aus dem dokumentarischen Film „Die Vertreibung der Händler aus dem KDT, Warschau, Defilad Platz, 21. Juli 2009“, Teil des „Demokratien“-Zyklus des polnischen Künstlers Artur Żmijewski, der zurzeit auf der Ausstellung „Early Years“ im KW Berlin zu sehen ist. Das 2005 ins Leben gerufene Museum für Moderne Kunst in Warschau – das zurzeit noch provisorisch in einem ehemaligen Möbelgeschäft untergebracht ist – hat diese Ausstellung konzipiert. Der Titel nimmt auf die noch nicht lange zurückliegende Gründung des Museums im Jahr 2005 ebenso Bezug wie auf die noch recht junge Geschichte freier polnischer Kunst.

 

Frei ist die Kunst hier wirklich, so frei, dass sie sich nicht scheut, in die Hand zu beißen, die sie füttert. Denn die Auseinandersetzungen, die Żmijewskis Film zeigt, stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem umstrittenen Bau des Museums für Moderne Kunst, das 2014 an eben jenem Defilad Platz fertiggestellt werden soll. Ohne die Vertreibung der Händler – meist arme Leute, die in den Hallen selbstgemachte Marmelade oder handgepflückte Pilze verkauften – wäre eine Umsetzung des Bauvorhabens nicht möglich. Touristenfreundlich gelegen in unmittelbarer Nachbarschaft des „Kulturpalasts“ soll das Museum nach einem Entwurf des Schweizer Architekten Christian Kerez zum neuen Prestige-Objekt einer modernen, europäischen Metropole werden – da passten solch ein Markt einfach nicht mehr ins Stadtbild.


Zwischen Selbstreflexion und Selbstkritik
Überhaupt bietet „Early Years“ den ausstellenden Künstlern viel Raum für Selbstreflexion und Selbstkritik. Oft stehen Themen wie Frauendiskriminierung und Fremdenfeindlichkeit im Zentrum der Werke, deren Schöpfer zumeist in den letzten Wehen einer kommunistischen Diktatur geboren wurden und deren Adoleszenz synchron verlief zu der der jungen polnischen Demokratie.

 

Diese neue Gesellschaftsform kränkelt besonders an ihrem mal mehr, mal weniger latenten Antisemitismus. Beim Durchschreiten der Ausstellungsräume schneidet immer wieder dieses eine, scharfe Wort die Luft: Żyd. Jude.
Es schießt verächtlich aus den Mündern der aufgebrachten Händler in der Arbeit Żmijewskis, es zieht sich als roter Faden durch Yael Bartanas aufeinander aufbauenden Filme „Mary Koszmary“ („Albträume“) und „Muri i wieża“ („Mauer und Turm“). Die 1970 in Israel geborene Künstlerin entwirft darin ein befremdlich vertrautes Zukunftsszenario: Der erste Teil zeigt die fiktive Rede eines blonden, bebrillten Redners, der - wider Erwarten des Zuschauers – in einer Arena für die Rückkehr der vertriebenen polnischen Juden appelliert; ein Demagoge aus devoter Untersicht.


Im zweiten Teil wird deutlich, wie sich diese Rückkehr gestalten könnte: Auf dem Platz vor dem „Denkmal der Helden des Ghettos“ in Warschau errichten jüdische Siedler Mauer und Turm: das erste Kibbuz in Europa. Bartana bedient sich nicht nur agitatorischer Analogien zu den Propagandareden der NS-Zeit, auch die Bildästhetik orientiert sich an den Filmen Leni Riefenstahls.

 

Stadt, Land, Flucht

Die Künstler nehmen nicht nur Bezug auf die polnische Geschichte im Allgemeinen, sondern auch auf die Geschichte der Museumsgründung im Speziellen; etwa in Paulina Ołowskas Installation „Muzeum“, die im Dachgeschoss des KW angebracht ist. Die vertikal angeordnete, schlichte Leuchtreklame, die durch einfache Glühbirnen gegen das Schwarz der sie tragenden Wand anstrahlt, wird unterstützt durch Anna Zarandys Soundkollage „eM U Zet E U eM“. Eine Frauenstimme buchstabiert das Wort, dehnt die einzelnen Buchstaben, kostet ihren Klang aus und lässt den Begriff als Sinnkonstrukt in bedeutungsleere Einzelteile zerfallen.

 

Den meisten Arbeiten haben einen stark dokumentarischen Charakter, sie bewegen sich zwischen utopischem und dystopischen Blick auf ein Land, das, ähnlich wie die Gastgeberstadt Berlin, in den letzten 20 Jahren großen Veränderungen ausgesetzt war und den einem Neuanfang innewohnenden Chance, auch auf das Scheitern.
Sie buhlen nicht um die Gunst des Betrachterauges, sondern zielen auf Denkanstöße.

 

„Early Years“ ist die erste Veranstaltung im Rahmen des Projekts „The Promised City“, einer Kooperation des Polnischen Instituts Berlin und des Warschauer Goethe-Instituts. Interdisziplinär untersuchen Künstler, Schriftsteller und Kulturschaffende aus Warschau, Berlin, Bukarest und Mumbai die gelobte Stadt, mit ihren kollektiven Verheißungen und Versprechen, als Alternative zum gelobten Land und zollen damit einer weltweiten Verstädterung Tribut.

 

Bis 2. Mai. Informationen unter www.promised-city.org