DC Open

Nach dem Kunstmarathon

Der Saisonauftakt in den rheinländischen Kunstzentren ist ein Marathon. Wer alles sehen will, muss viel Ausdauer haben. Ein Bericht vom Eröffnungswochenende

Im Rheinland heißt der Saisonstart DC Open und findet in diesem Jahr in Düsseldorf und Köln zum zehnten Mal statt. Wenn man in Düsseldorf seinen Rundgang beginnen will, kann man das zum Beispiel im Stadtteil Flingern tun, allein schon weil hier Wichtiges in der rheinischen Kunstwelt begann. Hier lag einer der ersten Brückenköpfe der amerikanischen Nachkriegsavantgarde in Westdeutschland. 1967 zeigte die gerade gegründete Galerie Konrad Fischer (damals eigentlich noch keine Galerie — heute würde man Off-Space dazu sagen) die erste Schau von Carl Andre in der Bundesrepublik. Am Galerienwochenende im Rheinland eröffnet hier gleich zwei Ausstellungen, eine mit den großformatigen Arbeiten von Paul Czerlitzki. Seine Leinwände mit winzig kleinen abstrakten Strukturen passen ausgezeichnet in die minimalistische Tradition der Galerie. Vorbei an den champagnertrinkenden Gästen geht es ein paar Treppen hinauf ins Hinterhaus. Dort hängen Fenster von den Decken und den Wänden, aus Gregor Schneiders Beitrag zum deutschen Pavillon in der Venedig-Biennale von 2001. Ganz oben dann noch neuere Videoarbeiten von Schneider — aber der Grusel vom Haus des Künstlers hängt einem nach. (bis 3. November)

"Gentrifizierung dauert in Düsseldorf ewig", sagt der junge Galerist Lucas Hirsch, und: "Flingern ist OK". Der Stadtteil ist ein kleines Geviert aus Straßen. Das Schnellrestaurant Olymp ist gegenüber von einem schicken Café, der Charme der alten Bundesrepublik ist neben zeitgenössischer Kunst konserviert. Strenggenommen ist die Galerie Lucas Hirsch gar nicht Teil der DC Open, sondern von Okey-Dokey, einer Ausstellung in Projekträumen und Galerien, übergreifend gastkuratiert von Jamie Stevens aus New York. Das ist schade, denn eigentlich wüsste man viel lieber, welche Künstler die kleinen und die jungen Galerien im Programm haben, das ist aber auch schön, weil es eine Art von Austauschprogramm ist, bei dem Räume und Galerien aus anderen Städten in Düsseldorf gastieren. Hirsch zeigt Zeichnungen und Keramiken von Manuela Gernedel, die sie gemacht hat, als sie mit einem Säugling zu Hause bleiben musste, Titel: "Snakes again". So zeigen die nervösen Zeichnungen meist den Herd und die Spüle, die Keramiken sind verdrehte, zu groß geratene albtraumhafte Föten: das wahre kitchen sink drama, in klassischen Medien. (bis 30. September)

Einmal quer durch Flingern führt die Birkenstraße. Vor den Kunsträumen stehen die Menschengruppen, an Kleidung und Habitus lässt sich erkennen, was die jungen und was die etablierten Galerien sind. Ein Galerie fällt auf, denn bei Bespoke sind die Gemälde des kürzlich aus der Haft entlassenen ehemaligen Kunstberaters Helge Achenbach zu sehen — hat zwar nichts mit der DC Open zu tun, aber die Vernissage ist am gleichen Abend — "aus naheliegenden Gründen", erklärt mir der Galerist, als ich am Nachmittag vorbeischaue.

Wer mal zur Art Basel in Miami war, kennt vielleicht Alexandra Meffert, Mitbetreiberin von Wild Palms. Die ist nämlich nicht nur Galeristin, sondern auch Yogalehrerin und ihre Kurse hat sie in Miami Beach angeboten. Nun betreibt sie gemeinsam mit Jorge Sanguino die Galerie, in einem großzügigen ehemaligen Fotostudio. "Wir haben alles selbst renoviert", erklärt Meffert, "deswegen ist das hier so günstig." Und: "Kunst ist komplex. Warum sollte eine Galerie ein einfacher Verkaufsraum sein?", fragt Jorge Sanguino. Die Antwort erübrigt sich, Wild Palms wollen es anders machen und die Produktion begleiten: Die Galerie ist eine Schnittstelle zwischen Produzieren und Ausstellen. Nachhaltig, verantwortungsvoll soll es sein, gerade jetzt, wo man häufiger hört, dass große Galerien ihre Künstler schnell fallen lassen. Zuvor war Wild Palms übrigens in Berlin, allerdings ohne festen Raum. Vielleicht ist das nun symptomatisch für eine Bewegung fort von der Hauptstadt. In Düsseldorf sind gerade Jason Duvals Gemälde "Interiors" zu sehen, bunt groß und expressiv. (bis 21. Oktober)

Unterdessen in Köln: Die Galerie Falko Alexander setzt auf eine digitale Ästhetik, von Net-Art-Retro von Arno Beck, über postdigitale Malerei von Dominik Halmer bis zu einer ganz zeitgenössischen VR-Arbeit von Banz und Bowinkel. Schönes Detail: Das Künstlerduo hat den Rechner, auf dem die VR-Programm über Kryptowährungen und Künstliche Intelligenz läuft, gebrandet, als wäre es ein Stück von Dolce & Gabbana, natürlich ironisch. (bis 20. Oktober)

Fragt man Leute beim Abendessen oder auf der Straße, sprechen viele von einer Wieder- und Neuentdeckung: Lutz Bacher. Dafür sorgte nicht nur die Schau der amerikanischen Künstlerin im K21, sondern auch die viel kleinere Ausstellung "Opening the Kimono" bei Buchholz in der Kölner Innenstadt. In den Räumen hinter dem Antiquariat Buchholz gibt es Zeichnungen von betörender Einfachheit zu sehen, außerdem die Serie "Swingers". Dafür fotografierte die Künstlerin in den 80ern Kleinanzeigen aus Erotikmagazinen ab: Das ist unheimlich, denn die Menschen reduzieren sich selbst auf eine Reihe körperlicher Merkmale (Größe, Gewicht, Körperbau), aber zugleich haben die kurzen Texte eine ganz eigene Poesie. (bis 20. Oktober)

Noch einmal kitchen sink drama bei Nagel Draxler in der Innenstadt, mit Gunter Reskis Schau "Organwanderung jetzt". Wer ein wenig Zeit mitbringt, den Text zu lesen wird belohnt. Die Wandinstallation erzählt mit wechselnder Typographie und durchsetzt mit gegenständlicher Malerei und kleinen Videos die Geschichte eines Ichs, das fortan eine Zeitung schreibt, die sich nur von den Vorgängen im eigenen Haushalt berichtet: ein Abgleiten in den literarischen Wahn wie man es von Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann oder Rainald Goetz kennt. (bis 20. Oktober)

Etwas weiter draußen, in Ehrenfeld, liegt die Galerie Ruttkowski;68. In einem ausgebauten Getränkelager gibt es Arbeiten von Philip Emde zu sehen: Plüschaffen und Pinguine, die Gemälde und Zeichnungen betrachten. Dazu gibt es Aufkleber, auf denen in bunter Haribo-Schrift der Titel der Ausstellung steht: "Emdiland..".  Das nimmt den Arbeiten die Schwere, und kurz fühlt man sich als Betrachter nach dem Kunstmarathon ertappt: Ist man den Plüschäffchen nicht sehr ähnlich? (bis 7. Oktober)