Zum Tod von Syd Mead

Der Mann, der die Zukunft sah

Im Alter von 86 Jahren ist der Filmgestalter gestorben, der dem "Blade Runner" das Fliegen beibrachte. Ein Nachruf auf den bedeutenden Produktionsdesigner Syd Mead

Am 1. November 2019 haben Fans noch den "Blade Runner Day" gefeiert, denn Ridley Scotts futuristischer Film noir von 1982 spielt im November 2019 – in einem dystopischen Los Angeles. Und jetzt, ausgerechnet in den letzten Stunden des Symboljahrs, ist der Tod von Syd Mead zu betrauern, der die Verfilmung eines Romans von Philip K. Dick als "Visual Futurist" entscheidend mitgestaltete.

Bis zum 16. Januar zeigt die Berliner Architektengalerie O&O Depot noch 33 originale Zeichnungen und Gouachen des Produktionsdesigners in der Ausstellung "Syd Mead – Future Cities". Die deutschlandweit erste Soloschau von Mead umfasst nicht nur seine Entwürfe zum Kultfilm "Blade Runner", sondern auch weitere urbane Visionen des Gestalters. Wer war dieser in den USA hochverehrte Mann, den in Europa nur die eingefleischten Fantasy-Nerds kennen?

Von George Lucas beklaut

1933 in Minnesota geboren, hatte Mead zwar als 19-Jähriger kurz in einem Zeichentrickstudio gearbeitet, war dann aber für über zwei Jahrzehnte als Industriedesigner tätig, bis Hollywood auf ihn aufmerksam wurde. In einer experimentellen Abteilung der Ford Motor Company entwarf er ab 1959 Fahrzeuge und Autozubehör. Doch seine Arbeiten gingen kaum in Serie, ernüchtert verließ er Ford und war in Folge für verschiedene andere Firmen tätig.

Mead entwarf Flugzeuge und Yachten und designte 1973 sogar ein Kreuzfahrtschiff. Für den Konzern U.S. Steel hatte der Designer fünf Jahre zuvor ein Transportgerät für unwegsames Terrain entwickelt, das anstelle von Rädern mit Beinen und Füßen ausgestattet war. 1980 staunte Mead nicht schlecht, als er im Kino sah, dass George Lucas’ Team seine Idee für die Eiswüstenschlacht in "Das Imperium schlägt zurück" geklaut hatte: Vierbeinige AT-AT-Kampfroboter, die Meads altem Entwurf verdächtig ähnlich sahen, stapften auf der Leinwand durch den Schnee.

Einstand mit "Star Trek"

Damals, 1980, hatte Mead sein Hollywood-Debüt allerdings schon hinter sich. Er konnte seinen Einstand mit "Star Trek: Der Film" feiern, weil Regisseur Robert Wise unzufrieden mit dem ersten Konzept für das rätselhafte V’ger-Raumschiff gewesen war und Mead engagiert hatte. Der Designer durfte dann neben dem Ufo noch die mysteriöse Wolkenstruktur entwerfen, die von der Enterprise durchflogen wird.

Danach ging die Kinokarriere in mittlerer Warpgeschwindigkeit weiter. 1980 war Mead schon in zwei Großprojekten zugleich beschäftigt, "Blade Runner" und "Tron“. Sein Produktionsdesign für Disneys Pionierwerk, das zum überwiegenden Teil aus rechnergenerierten Bildern besteht, halten viele für seine beste Kino-Arbeit. Neben dem "Tron"-Logo des Filmplakats entwarf Mead die "Lightcycles"-Motorräder, Autos und Panzer, die "Recognizer"-Droiden und, gemeinsam mit dem berühmten Comiczeichner Moebius, den kompletten Hintergrund der virtuellen Welt.

Reisen in die Zukunftsstadt

Weitere Filme, an denen Mead mitarbeitete, waren "2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen", "Nummer 5 lebt!", James Camerons "Alien"-Sequel "Aliens", Kathryn Bigelows "Strange Days", Brian De Palmas "Mission to Mars" und "Elysium". Und auch ins futuristisch-heruntergekommene Los Angeles kehrte der Designer zurück: Für Dennis Villeneuves Fortsetzung "Blade Runner 2049" scrollte sich Mead durch "Google Street View"-Ansichten der kalifornischen Metropole und zeichnete auf dieser Grundlage realer Aufnahmen die Zukunftsstadt neu.

Am Autodesign des "Blade Runner"-Sequels war Mead kaum beteiligt, obwohl seine alten Fahr- und Flugzeuge natürlich prägend für die Fortsetzung waren. Vor vier Jahrzehnten waren die fliegenden Autos so ziemlich das erste, was der Designer für Ridley Scotts Kultfilm entwarf.

Plausibilität mit "Retrodeco"-Touch

Als Industriedesigner und Fahrzeugexperte brachte Mead einen ausgeprägten Sinn für Funktionalität mit, was im Science-Fiction-Genre für hohe Plausibilität bürgte. "Ich erfand das Schlagwort 'Retrodeco'", erklärte Syd Mead 1982 im Interview mit dem "Fantastic Films Magazine". Für den 'Retrodeco'-Touch, so der Gestalter weiter, "nahmen wir existierende Maschinenteile, alles mögliche, und ergänzten damit unsere Kreationen. Das sah dann stimmiger aus und prägte mit der Zeit den Look des Films."

"Blade Runner 2049" (2017) blieb seine letzte Filmarbeit. Im vergangenen September verabschiedete sich der an Lymphknotenkrebs leidende Designer in den Ruhestand. Am 30. Dezember, gerade noch im "Blade Runner"-Jahr, ist Mead 86-jährig gestorben. Der nach einem legendären Kollegen benannte William-Cameron-Menzies-Award der US-Gewerkschaft Art Directors Guild muss am 1. Februar posthum an Syd Mead verliehen werden.