Architektur in Wolfsburg

Nah am Menschen gebaut

Demokratisch, praktisch, elegant: Internationale Spitzenarchitekten gaben Wolfsburg ein Gesicht – und eine Identität. Ein Spaziergang entlang der schönsten Bauten der Stadt

Von Osten her scheint es, als erhebe sich ein dunkler Wall aus dem Erdboden. Von der Röntgenstraße im Norden aus ähnelt der Bau einer sanft gebogenen Hand. Die weiß geschlammte, fensterlose Südwand ist durch reliefartige Rundungen strukturiert, hingegen öffnet sich die Westfassade als verglaste Fensterwand. Woher man auch kommt, die Heilig-Geist-Kirche in Wolfsburg überrascht aus jedem Winkel mit neuen Stimmungen und Kontrasten. Weshalb sie weniger wie ein Gebäude, eher wie eine von einer höheren Macht gestaltete Großskulptur wirkt.

Bei dieser Macht handelt es sich um den Architekten Alvar Aalto, der der Welt einige der markantesten Bauten der Nachkriegsmoderne schenkte und in Wolfsburg gleich drei Projekte realisierte. Wobei die 1962 fertiggestellte Heilig-Geist-Kirche vielleicht der freieste Entwurf des Finnen ist, der ja tatsächlich auch als Bildhauer tätig war. In einem Radiointerview zur Eröffnung sagte Aalto lakonisch: „Ich hoffe, der Bau sieht doch aus wie eine Kirche.“

Funktional, aber nicht kühl

Das tut er – wenn auch im Inneren alles anders ist. Statt des traditionellen Mittelgangs: zwei schräge Gänge. Statt der Hell-dunkel-Dramatik der gotischen Lichtführung: dezente Pavillon-Helligkeit. Taufbecken, Altar und Kanzel stehen gleichberechtigt nebeneinander, so wie dieser Raum insgesamt frei von Hierarchien scheint. Dekor braucht es nicht – dafür kommt eine ungemeine Dynamik vom gebogenen Lauf der Decke, die hinter dem Altar aufsteigt und in fünf holzvertäfelten Strahlen auf den Kirchgänger zuströmt. Diese Welle erfasst durchaus auch Agnostiker.

Der Grundriss von Aaltos Kirche formt ein verjüngtes Trapez – und das ist vielleicht etwas, das die Architekturperlen der Stadt gemeinsam haben: Es findet sich in ihnen kaum je ein rechter Winkel. In der Nachkriegszeit suchte die 1938 gegründete Stadt des KdF-Wagens eine neue Identität jenseits der Stechschrittarchitektur der Nazis und ihrer pathetischen Repräsentationsbauten – und orientierte sich mithilfe einiger der weltbesten Architekten an einer neuen, organischen Architektur: funktional, aber nicht so kühl wie der international style; verspielt, aber niemals albern. Die Wolfsburger Architekturperlen schreien nicht danach, angeschaut zu werden. Aber sie sind auch beim wiederholten Hinsehen noch attraktiv.