Eigentlich wollte er seinem Vorbild Arnold Schönberg nacheifern und Komponist oder klassischer Pianist werden. Wegen des Korea-Kriegs flüchtete Nam June Paik aber erstmal nach Japan, wo er in Tokio Kunst- und Musikwissenschaften studierte. 1956 kam er nach München, arbeitete in Köln mit Karlheinz Stockhausen, schloss sich der Fluxus-Bewegung an - und warf im Atelier von Mary Bauermeister Klaviere um, statt sie zu spielen.
Als Nächstes waren zweckentfremdete TV-Apparate dran, etwa 1963 in seiner ersten Einzelausstellung "Exposition of Music – Electronic Television" in der legendären Galerie Parnass in Wuppertal. Dazu gesellten sich präparierte Tasteninstrumente, mechanische Klangobjekte, Schallplatten- und Tonbandinstallationen und ein frisch geschlachteter Ochsenkopf. "Viel Klamauk, wenig Einfälle", urteilte ein Kritiker so trocken wie verständnislos.
In den USA kam Paiks Angriff auf den Status quo zunächst auch nicht sonderlich gut an. Als die Cellistin Charlotte Moorman 1967 in New York sein Stück "Opéra Sextronique" oben ohne aufführte, wurde sie wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" verhaftet. Das skandalöse Treiben des Bürgerschrecks, der mit seiner Kunst sein Visum gefährdete, wurde sogar in Südkorea zu einem Thema, weswegen sich die reichen Eltern für ihren Sohn schämten und den Kontakt abbrachen. Weil es für Medienkunst keinen Markt gab, geriet Paik in Geldnot. In seinem Studio regnete es rein, er musste um Stipendien betteln.
Buddha meditiert vor dem TV
Die neuen Video-Kameras halfen ihm wieder aus der Misere heraus. Die Quintessenz seines Ansatzes verdichtete sich in einer kleinen Skulptur von 1974: Eine Buddha-Statue sitzt vor einem Fernseher, auf dessen Bildschirm das von einer Kamera aufgenommene Live-Abbild des Meditierenden flimmert.
Zeitgleich entwickelte Paik mit dem japanischen Ingenieur Shuya Abe einen visuellen Synthesizer, der Signale von Kameras verfremden und einfärben konnte. Ausgestattet mit dieser neuen Technologie, verwandelte er den Fernsehbildschirm in eine Leinwand.
Ohne Unterlass bastelte er an summenden und pulsierenden Bildwelten herum, umgeben von einer psychedelischen Aura, und beeinflusste damit die kommende MTV-Ästhetik. Die Clips zu "Ashes to Ashes" von David Bowie, "Once in a Lifetime" von den Talking Heads und "Blue Monday" von New Order bedienten sich in den 1980ern schamlos bei Paiks Bildwelten. Da war dieser jedoch konzeptuell schon längst weiter und ordnete flimmernde Monitore zu Skulpturen an.
20 Sprachen, alle außerordentlich schlecht
Die koreanisch-amerikanische Regisseurin Amanda Kim verwendet für ihre chronologische, temporeich geschnittene Werkschau "Nam June Paik: Moon is The Oldest TV" Zeitzeugen-Interviews, Tagebuchtexte, Archivaufnahmen oder Fernseh-Clips der Performances. Untermalt ist dieser überbordende Erzählfluss mit elektronischer Musik. Kim schwelgt in monumentalen Installationen, etwa einer riesigen Neonkarte der Vereinigten Staaten, die auf Dutzenden von Bildschirmen einen steten Fluss der Geschichte abbildet. Die Filmemacherin zeichnet Nam June Paik als visionären Erfinder und verspielten Anarcho, der eine Geige an einer Saite durch die Straßen zog, sich auf der Bühne mit Mehl überschüttete und schon mal ins Publikum springen konnte, um den Schlips seines Mentors John Cage abzuschneiden und ihm die Haare zu shampoonieren.
Der Befürworter der Partizipation nutzte Technologien, um mit Menschen zu interagieren, nicht, um sie zu manipulieren. Es war Paik, der erstmals die Idee einer elektronischen Datenautobahn ansprach - lange, bevor sich das Konzept des Internets durchgesetzt hatte.
Dass Kommunikation sein Hauptthema war, lag wohl schlicht daran, dass sie für ihn ein täglicher Kampf war. Wie sich ein Interviewpartner erinnert, sprach er "20 Sprachen, alle außerordentlich schlecht". 1996 bremste ein Schlaganfall seine Vitalität aus, was ihn trotz der halbseitigen Lähmung nicht daran hinderte, mit dem Malen anzufangen. Die letzten Jahre seines Lebens wurde Paik mit Ehrungen und einer großen Retrospektive im Guggenheim-Museum in New York überschüttet. Das Highlight der Schau war ein funkelnder Zick-Zack-Laser vom Boden bis zur Spitze des Atriums, der wie eine virtuelle Treppe zum Himmel wirkte. Ob er von dort aus auf unser digitales Treiben herabschaut?