Künstlerin für deutschen Pavillon

Überraschungscoup

Die Künstlerin des deutschen Pavillons auf der Venedig Biennale 2019 heißt Natascha Süder Happelmann. Oder auch nicht. Ein Kommentar

Die Wetten liefen ja schon seit Monaten: Wer wird Deutschland bei der Biennale von Venedig 2019 vertreten? Die Aufgabe ist ungefähr wie so schwierig wie die, nach Lena Meyer Landruts Sieg zum European Song Contest aufzubrechen. Was soll kommen nach Anne Imhofs Triumph 2017?

Die Berufung der Kuratorin Franciska Zólyom war die erste Überraschung, denn die Leiterin der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig ist zwar für ihre sorgfältige Arbeit und ihr großes Engagement bekannt, aber keine derjenigen, die sich im Betrieb in den Vordergrund drängen. Bestimmt würde die in Ungarn geborene Zòlyom auf die politischen Verwerfungen in Ostdeutschland reagieren, bestimmt würde sie ein Zeichen setzen und einen Künstler oder eine Künstlerin mit migrantischem Hintergrund wählen, vermuteten viele – und schon bevor es passiert war, fand man es zu plakativ.

Natürlich hat Zólyom – während sie nach ihrer Ernennung höflich auf die immer gleichen Fragen antwortete, warum sie eigentlich so gut deutsch kann und was sie von der politischen Situation in Ungarn so hält – über genau diese Erwartungen und Projektionen nachgedacht. Und kommt jetzt gemeinsam mit der von ihr ausgewählten Künstlerin mit einem großartigen Coup um die Ecke: Natascha Süder Happelmann.

Laut der Pressemitteilung des deutschen Pavillons hat die Künstlerin ihren Namen der besonderen Aufgabe angepasst: "Nach sorgfältiger Prüfung der verfügbaren Varianten, die durch Autokorrektur und Fehlschreibung seitens öffentlicher Stellen zustande kamen, wählte sie mithilfe algorithmischer Parameter und gesellschaftlicher Protokolle den geeigneten Namen aus: eine optimale Form der Integration", heißt es dort.  Damit haben Zólyom und ihre Künstlerin das leidige Identitätsding elegant volley genommen und zurückgeschlagen. Das war noch nicht der Matchball. Aber der erste Satz geht definitiv an sie.

Was Natascha Süder Happelmann genau im deutschen Pavillon plant, wissen wir noch nicht. Aber die bisherige Arbeit von Natascha Sadr Haghighian kann vielleicht ein paar Hinweise geben. Die Weigerung, auf biografische Marker reduziert und in identitätspolitische Schubladen gesteckt zu werden, zieht sich auf angenehm spielerische Weise durch ihr Werk. Seit 2004 betreibt sie die Webseite bioswop.net, auf der Künstler und Künstlerinnen ihre Biografien und Lebensläufe, wie sie stereotyp in Katalogen und Ausstellungsankündigungen auftauchen, untereinander austauschen können. Das soll die Aufmerksamkeit von der Biografie zurück auf das Werk holen - oder wenigstens die Lektüre dieser Biografien unterhaltsamer machen.

Auch wenn sie politisch wird, ist Sadr Haghighian nicht gern allzu eindeutig. In mehreren Arbeiten hat sich Sadr Haghighian mit offenen Geheimnissen beschäftigt, Tabus der zeitgenössischen Gesellschaft, wie dem Waffenexport. Dass Deutschland der drittgrößte Waffenproduzent der Welt ist, wird hierzulande selten thematisiert. Sadr Haghighian baute 2013 einen Panzer des Typs Leopard 2A7+, der damals in großer Zahl nach Saudi-Arabien verkauft wurde, in rudimentärer Form nach, mit einem Tarnmuster aus Legoplatten verkleidet. In der Mitte der Installation "pssst Leopard 2A7+", die 2013 in der Berliner König Galerie ausgestellt und seitdem in unterschiedlichen Kontexten gezeigt worden ist, kann man über Kopfhörer verschiedene Soundarbeiten hören: Texte über Rüstungsexporte, über den Arabischen Frühling, aber auch eine Art Selbstvergewisserung des Leopard-Panzers als fiktives Ich.

Auch Sadr Haghighians Arbeit "Trail" für die Documenta 13 (2012) beschäftigt sich mit Waffen und Krieg, und mit Migration. Sie installierte einen Tampelpfad an einem Hang nahe der Karlsaue. Dort konnte man über den Kriegsschutt kraxeln, der hier nach 1945 aufgeschüttet wurde, unter anderem aus der zerbombten Villa der Rüstungsfabrikanten Henschel, und einer Audioinstallation zuhören, in der zahlreiche Bewohner und Bewohnerinnen Kassels Tierlaute in ihrer jeweiligen Muttersprache nachahmen – ironischerweise arbeiten viele von ihnen  in der Rüstungsindustrie, die auch heute noch die Kasseler Wirtschaft antreibt, und stellen dort Waffen und Panzer her, die gern nach Tieren benannt werden. Auf einer mit Pola Sieverding gemeinsam erstellten Webseite www.d13pfad.de kann man viele Geschichten von Kassel und dem Trümmerberg nachlesen und hören.

Ihr Beitrag für die Documenta 14 leistete sie als Teil des Kollektivs "Society of friends of Halit", das gemeinsam mit der Gruppe Forensic Architecture den Mord des Kasselers Halit Yogzat durch die NSU neu untersuchte.

Sadr Haghighian ist eine Geschichtenerzählerin, die immer viele Versionen der Story offen hält, eine poetische Installationskünstlerin, die sich dem Betrieb auch durch Kollaborationen mit anderen, Namenswechsel und Pseudonyme entzieht. Sie ist keine besonders repräsentative Künstlerin:  international bekannt, aber kein Museum in Deutschland hat ihr bislang die große Einzelausstellung ausgerichtet. Als Künstlerin des deutschen Pavillons 2019 ist sie eine ebenso überraschende wie plausible Wahl. Natascha Süder Happelmann, übernehmen Sie!