In Neapel lässt ein neues Museum Hermann Nitsch allzu andächtig Penisse verstümmeln

Es muss für Künstler eine schöne Zeit gewesen sein, als der Staat ihnen noch zutraute, die öffentliche Ordnung zu gefährden. 1973 stellte der Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch erstmals in der neapolitanischen Galerie Guiseppe Morra aus – und wurde prompt des Landes verwiesen. Seine Kunst aus Fleisch und die mit Blut gemalten Bilder erregten das Publikum bis zum Skandal. Die kunstgeschichtliche Einsortierung solcher Derbheiten stand damals noch aus. Heute ist alles anders: Noch bevor der treue Freund Morra im September sein privat finanziertes Nitsch-Museum der Öffentlichkeit präsentierte, hatte die Stadtverwaltung von Neapel den Anfahrtsweg bereits vorbildlich ausgeschildert.


Die filmischen und akustischen Dokumente, die Schüttbilder und Installationen, die in dem ehemaligen Elektrizitätswerk ausgestellt werden, sind überwiegend „Relikte“ früherer Aktionen, insbesondere aus den zahlreichen Vorstellungen des „Orgien Mysterien Theaters“, wie Nitsch jenen opernhaften, pseudokultischen Zinnober nennt, den er seit nunmehr einem halben Jahrhundert regelmäßig zur Aufführung bringt. Dennoch wirken die gestapelten Tempos, die Farbtafeln und Brotlaibe, die Nierenschalen und liturgischen Gewänder nicht wie übrig gebliebene Requisiten, sondern werden in stimmungsvollen Arrangements wie Reliquien präsentiert. Als könnte die Messe auf der Stelle gesungen werden.


So ist die Einrichtung durchaus gelungen. Aber in ihrer auf Sinnlichkeit und Welthaltigkeit getrimmten Präsenz wirken die Objekte ebenso wie das ganze Unternehmen ungemein bieder. Dabei bedürfte es nur kleiner Verschiebungen, diesen rückwärtsgewandten Arbeiten Gegenwart zu geben: Wie gleichen doch die Regale mit Reagenzgläsern den Apotheken Damien Hirsts, die Pimmelverstümmelungsangstbilder den Unverschämtheiten des Wiener-Aktionismus-Fans Paul McCarthy. Nur schmiert Nitsch auch in diesem neuen Haus noch jeden aufkeimenden Gedanken über heutige Körperbilder, über Sexualität und Krieg im 21. Jahrhundert durch weihevolle Banalitäten zu.