New Yorker Kunstgeschichte

Wie sich die AbEx-Malerinnen gegen ihre Kollegen behaupteten

Ein neues Buch erzählt die Geschichte des abstrakten Expressionismus aus der Perspektive der Malerinnen Lee Krasner, Elaine de Kooning, Grace Hartigan, Joan Mitchell und Helen Frankenthaler

Als der Kunstkritiker Irving Sandler von Grace Hartigan wissen will, ob ein männlicher Künstler ihr einmal gesagt habe, dass sie so gut wie ein Mann malen könne, antwortet sie: "Nicht zweimal." Joan Mitchell hätte dem Fragenden vermutlich gleich einen Fausthieb verpasst. Elaine de Kooning stellte fest: "Jede Kategorisierung, die nicht vom eigenen Werk herrührt, bedeutet eine Fälschung." Und auch Lee Krasner und Helen Frankenthaler hätten für die Bemerkung kaum mehr als ein spöttisches Lächeln übrig gehabt.

Keine dieser fünf Frauen hätte sich je als "weibliche Malerin" bezeichnet, sie sahen sich schlichtweg als Maler. Ihr Kampf gegen Sexismus war eine Begleiterscheinung ihres Kampfes um das perfekte Bild; in der Abstraktion fanden sie eine Sprache, die Geschlechterkategorien transzendiert und auch alles andere. "Sie rebellierten nicht gegen die Regeln einer Gesellschaft, die sie marginalisierte. Sie erkannten sie schlicht nicht an", schreibt Mary Gabriel. Und so lässt die Autorin in ihrem Buch "Ninth Street Women" das Narrativ der "vergessenen Hälfte" hinter sich: Gabriel erzählt die Geschichte des abstrakten Expressionismus, der ohne diese Protagonistinnen schlicht nicht existiert hätte.

Ihr 900-Seiten-Werk setzt in den 30er-Jahren an, als Kunst in der amerikanischen Gesellschaft noch als Angelegenheit einiger Europäer galt. Lange bevor ihr späterer Mann Jackson Pollock auf der Bildfläche erschien, etablierte sich Lee Krasner in jener Zeit als Wortführerin der aufkeimenden Szene in Downtown New York. Die Sprecherin der Artists Union sorgte nicht zuletzt für Gehör auf staatlicher Seite: 1935 führte Präsident Franklin D. Roosevelt das Federal Art Project ein, das öffentliche Aufträge an Künstler vergab. Frauen erhielten dabei die gleiche Bezahlung wie Männer.

Gabriels Buch entfaltet den Zauber des Künstlerdaseins ebenso, wie es tief in die Zeitgeschichte eintaucht. Denn das Ringen um Stil ist in diesen turbulenten Jahren immer auch ein Ringen um Haltung. Kann man nach der Machtergreifung der Nazis noch abstrakt malen, oder macht man sich damit der Dekoration schuldig? Muss man nach Guernica, nachdem Picasso persönlich einen Hilferuf an seine amerikanischen Kollegen aussendet, nicht offensiv in den Kampf gegen den Faschismus ziehen? Es geht hoch her in den Ateliers und Kneipen rund um den New Yorker Union Square, der damals als "Red Square" kursiert.

Krasner und Elaine de Kooning agieren dabei auch als geschickte Netzwerkerinnen: Sie stellen dem aus Deutschland emigrierten Maler Hans Hofmann, der in New York seine einflussreiche Kunstschule gegründet hat, die jungen Kritiker Clement Greenberg und Harold Rosenberg vor; sie führen ihre Männer in die Bohemekreise ein (und sorgen nebenbei für Wohnung, Essen und Einkommen). Gerade Elaine de Kooning etabliert sich mit ihren Texten für das junge Magazin "ArtNews" auch als einflussreiche Kritikerin.

Wie jede Revolution ist auch diese hochromantisch

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Revolution in vollem Gang – New York löst Paris als Hauptstadt der Kunst ab. Am 21. Mai 1951 findet in einem abbruchreifen Geschäftsgebäude in der 9th Street jene Gruppenausstellung statt, nach der Gabriel ihr Buch betitelt hat. Neben den fünf Malerinnen werden Werke von Pollock, Willem de Kooning, Robert Motherwell, Philip Guston und Franz Kline gezeigt. Verkauft wird nichts, und doch schreibt die Schau als Coming-out-Party des abstrakten Expressionismus Kunstgeschichte.

Wie jede Revolution ist auch diese hochromantisch: Das Geld reicht nicht für Miete oder warmes Wasser, aber für Farben und Fusel. Gabriels Buch nimmt uns mit in die Künstlerkneipe Cedar Tavern, auf Sommerfeste in den Hamptons und in die Jazzkeller Manhattans – Billie Holiday, der vom Arzt gerade das Singen verboten wurde, gibt hier in einer Sommernacht ein sagenumwobenes Konzert, bei dem sie nur vom Klavier begleitet Song für Song flüstert, bis der Morgen anbricht. "Sie ist besser als Picasso", bemerkt der Dichter Frank O'Hara.

Helen Frankenthaler, Joan Mitchell und Grace Hartigan gehören der zweiten Generation des abstrakten Expressionismus an. Sie sind geprägt vom Atomzeitalter und einem gesellschaftlichen Klima, das in den 50ern noch spießiger wird. Senator John McCarthy geht auf Kommunistenjagd, der Kalten-Kriegs-Paranoia  gilt alles Nicht-Konforme als suspekt, gerade die Frauen sollen nach Mittelmäßigkeit streben: Ein Artikel im "Life"-Magazin warnt die gute Ehefrau davor, "zu gut" zu sein – sie könnte Aufmerksamkeit und damit den Neid ihres Gatten auf sich ziehen.

Noch ist die New Yorker Künstlerszene klein genug, um nach ihren eigenen Regeln zu spielen. Erstaunlich, dass alle fünf Künstlerinnen auch gut verkauften – oder jedenfalls nicht schlechter als die Männer. Grace Hartigan ist die Erste des Kreises, deren Arbeiten sowohl das Museum of Modern Art als auch das Whitney Museum erwirbt. Joan Mitchell wird schon für ihre erste Galerieausstellung gefeiert. Aus reichem Hause stammend, hat sie ohnehin weniger Geld- als Alkoholprobleme – sie pendelt bald zwischen New York und Paris, wo sie eine enge Freundschaft zu Samuel Beckett entwickelt.

Goldgräberstimmung am Kunstmarkt

Mitte der 50er-Jahre sieht Gabriel einen Wendepunkt erreicht. In Zeitschriften erscheinen Künstlerporträts, die "New York School" wird zum Label. Die Zahl der Galerien steigt rapide an, die explodierende Konsumkultur sorgt für Goldgräberstimmung am Kunstmarkt, die durch den plötzlichen Tod Jackson Pollocks zusätzlich angeheizt wird. "Die abstrakte Bewegung machte keinen Unterschied zwischen Frauen und Männer, solange sie von der bourgeoisen Gesellschaft ignoriert wurde", so die Autorin May Rosenberg. "Aber sobald sie Anerkennung fand, begannen alle sexuellen Vorurteile der Bourgeoisie die Kunstwelt aufzuspalten."

Hat erst der zunehmende Erfolg für Diskriminierung gesorgt? Stellenweise wirkt Gabriels Buch verklärend, wenn sie den Idealismus der Szene vor dem Boom beschreibt. Doch sie schildert auch die Opfer, die gerade die Frauen erbringen mussten. Der Kampf gegen die eigenen Dämonen. Die Untreue und Saufexzesse ihrer Männer (was für selbstmitleidige Nervenbündel die "Helden" des AbEx doch waren!). Die Abtreibungen. Die auch in der Kunstwelt grassierenden sexistischen Vorurteile.

Am deutlichsten wird dies im Fall von Helen Frankenthaler. Sie ist gerade einmal 23 Jahre alt, als sie ihre "Stain Painting"-Technik entwickelt, bei der die Farmformationen "fleckig" in die unbehandelte Leinwand einsickern, statt sie zuzudecken. Clement Greenberg, der einflussreichste, aber zutiefst misogyne Kritiker jener Ära, erfasst die Revolution. Doch statt Frankenthaler zu würdigen, führt er ohne ihr Wissen zwei seiner früheren Studenten in ihr Atelier: Die jungen Washingtoner Maler Kenneth Noland und Morris Louis. Sie sind es, die für ihre fleckigen Leinwände bald darauf als Pioniere einer neuen Kunstbewegung namens Colour Field Painting gefeiert werden. In seinen unzähligen Kritiken und Essays erwähnt Greenberg den Namen Helen Frankenthaler bis ins Jahr 1960 kein einziges Mal.