Gruppenschau "museum global"

Die verschlungenen Wege der Moderne

Im Düsseldorfer K20 reist das "museum global" einmal um die Welt

Der Prolog zu dieser richtungsweisenden Ausstellung gehört Paul Klee, dem Diffamierten, dem Exilierten, der nach dem Krieg zur Symbolfigur einer Versöhnung mit der Moderne wurde, von der sich Deutschland im Nationalsozialismus so brutal abgeschnitten hatte. 1960 erwarb die Düsseldorfer Landesregierung ein großes Konvolut an Werken des vertriebenen Düsseldorfer Kunstprofessors aus einer amerikanischen Sammlung als Grundstock für ein einzurichtendes Museum der Moderne. Und solange dieses Museum noch nicht stand – der Neubau der Kunstsammlung NRW wurde erst 1986 eröffnet –, reisten die Klee-Werke als Botschafter eines neuen, demokratischen Deutschlands durch die Welt, von Israel über Prag bis Rio de Janeiro.

In Singapur war der WDR dabei, und so kann man sich in der Ausstellung in Düsseldorf nun den Fernsehbeitrag aus den 60er-Jahren anschauen – und sich verblüfft die Augen reiben. Denn die Deutschen geben sich darin zwar demokratisch und hochmodern, aber dass sie hier ahnungslose "Primitive" mit ihrer Hochkultur beglücken, schwingt in jedem Satz des Fernsehkommentators mit. Hoffentlich, so das Fazit des Berichts, werden die Menschen in Singapur auch mal in der Lage sein, so komplexe und tolle Werke zu verstehen oder gar selbst hervorzubringen, wie Klee sie schuf.

Dass es gleichzeitig an vielen Ecken der Welt längst ganz viele Künstler und auch Künstlerinnen gab, die sehr eigenständige Versionen der Moderne entwickelten und praktizierten, zeigt "museum global", Teil der gleichnamigen Bundeskulturstiftungsinitiative, zu der auch Ausstellungen wie "Hello World" im Hamburger Bahnhof in Berlin und "A Tale of Two Worlds" im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main gehörten.

Die Düsseldorfer Schau, die über mehrere Jahre von einem großen Kuratorenteam vorbereitet worden ist, maßt sich keinen allumfassenden Blick auf die globale Moderne an. Stattdessen geht sie das Thema anhand exemplarischer "Mikrogeschichten" an, denen jeweils ein Ausstellungskapitel gewidmet ist. Es beginnt in Tokio, wo der Maler Yorozu Tetsugorō 1912 als Abschlussbild seines Studiums an der Kunstakademie in Tokio eine im Gras liegende "Nackte Schönheit" (1912) malt, die aussieht, als sei sie von Ernst Ludwig Kirchner – dessen orientalisierendes "Mädchen unter Japanschirm" (1909)
aus der Kunstsammlung NRW sich vis-à-vis wiederfindet.

Das Ausstellungskapitel macht plausibel, dass man hier nicht von Kopien sprechen kann, sondern von wechselseitigen Einflüssen: Menschen, Zeitschriften und Bilder reisten damals zwischen Europa und Japan hin und her und ver­änderten die Kunstsprachen an beiden Orten.

In São Paulo fand man derweil eine neue Begrifflichkeit für das Verhältnis von Alter und Neuer Welt, das von Ausbeutung und Kolonialismus geprägt war: Anthropophagie. Wie bei den Menschenfressern sollte Brasilien sich nach Meinung des Schriftstellers Oswald de Andrade die verschiedensten kulturellen Einflüsse einverleiben und daraus eine moderne brasilianische Identität formen. Mit dem surrealen Gemälde "Antropophagie" von de Andrades Lebensgefährtin Tarsila do Amaral kann die Ausstellung eines der faszinierendsten Werke der Moderne zeigen: Vor üppiger Dschungelfauna verschmelzen dort zwei abstrahierte Körper, eine riesige weibliche Brust springt dem Betrachter ins Gesicht.

Die Ausstellung stellt noch einige Persönlichkeiten vor, von Lasar Segall, dem aus Vilnius stammenden jüdischen Chronisten der Flüchtlingswellen des Zweiten Weltkriegs, bis zu der blendend schönen Inderin Amrita Sher-Gil, die sich während ihres kurzen Lebens von der Pariser Akademiemalerin und Bohemienne zur Wegbereiterin einer eigenständigen indischen Moderne entwickelte. Deren Werke werden jeweils angedockt an Arbeiten aus der Sammlung, formale oder auch biografische Parallelen werden sichtbar: So führt ein Porträt Amedeo Modiglianis von Diego Rivera, das sich überraschenderweise in der Sammlung befindet, in die mexikanische Avantgarde der 30er-Jahre ein.

Der Epilog ist wieder dem Kanon vorbehalten, wie der Gründungsdirektor der Kunstsammlung Werner Schmalenbach ihn sah. Und plötzlich sieht man seine nordamerikanisch und männlich dominierte Moderne nicht mehr universell, sondern als eine Erzählung unter vielen.