Kunst und Liebe

Nur Mut!

Kunst und Liebe waren Zwillinge - bis die Künstler seltsam bindungsscheu wurden. Doch vielleicht ist es Zeit für eine neue Liebesoffensive, nicht nur am Valentinstag

Auf die Liebe angesprochen, verhält sich die zeitgenössische Kunst wie ein Teenager: Sie läuft rot an, druckst herum, wechselt lieber schnell das Thema und spricht über Politik und Algorithmen, Geld und Globalisierung und auch über Identitätsfragen. Was den Einzelnen ausmacht und von anderen unterscheidet, das treibt die Künste zurzeit mehr denn je um - aber was ist mit dem Stoff, der uns zu anderen hinzieht, uns miteinander verbindet? Ist das Thema Liebe zu banal, wird es zu massiv von Boulevardmedien und Ratgeberliteratur beherrscht? Fürchten die Künstler Kitsch, die Reduzierung des Werks aufs Private? Love actually, verspricht Hollywood - in der Kunst aber steht sie unter Generalverdacht.

Dabei sollen sich beide, Liebe wie Kunst, doch so überaus ähnlich sein. Sie treffen uns wie ein Schlag. Lassen uns anders auf die Welt blicken, ja die Außenwelt nichtig erscheinen. Sie enden nicht. Sind weder kontrollierbar noch in Worte zu fassen. Und sie sind, zumindest in unserem heutigen Verständnis, auch gleich alt, denn die romantische Liebe wie die moderne Kunst kommen als Kinder des späten 18. Jahrhunderts zur Welt. Als in jener Zeit Romantiker wie Schlegel, Schleiermacher und Novalis einen neuen Liebesdiskurs einleiten, eröffnet mit dem Louvre auch das erste Kunstmuseum im modernen Sinn. Die Liebe wird aus ihrer Gebundenheit an ökonomische Erwägungen, religiöse oder verwandtschaftliche Zugehörigkeit befreit, die Kunst aus den Händen des Adels und der Kirche. Beide, so das Ideal, folgen fortan ihren eigenen Regeln. 

Die Soziologie bringt als Erklärung die mit der Moderne einsetzende Ausdifferenzierung der Gesellschaft an. Während sich eigene Sphären der geldbasierten Wirtschaft, der Wissenschaft und Politik herausbilden, entsteht auch ein von der Öffentlichkeit abgegrenzter Bereich für Privatheit und Intimität. Als Nachfolger des Heiligen verkörpern die Liebe und die Kunst das Außeralltägliche in einer säkularisierten Welt, allzu stürmisch soll es dabei allerdings nicht zugehen. Gefühle sind gut, blinde Leidenschaft aber ist gefährlich.

Den Surrealisten ist diese Idee zu spießig. Ihre Amour fou ist nicht zart-romantisch, sondern impulsiv und wahnhaft. Befeuert von den psychoanalytischen Schriften Sigmund Freuds, rückt die Gruppe um André Breton die Liebe ins Zentrum der Kunstproduktion wie der ästhetischen Erfahrung: Ihre Kunst zielt nicht auf die Erbauung des bürgerlichen Individuums beim sonntäglichen Museumsbesuch, sondern auf eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft, deren Kontrollmechanismen mit den Mitteln des Unbewussten, des Traums und der Liebe überwunden werden sollen. "Die Poesie wird im Bett gemacht wie die Liebe / Dessen zerwühlte Laken sind die Morgenröte der Dinge", heißt es in einem Gedicht Bretons.

Romantische Liebe in einer durchkommerzialisierten Welt

Liebe und Kunst ähneln sich aber auch darin, dass ihre vermeintliche Autonomie und Eigengesetzlichkeit lange schon infrage gestellt werden, und das nicht zuletzt von den Künsten selbst. Andy Warhol, der sich gegenüber seinem Biografen noch als 52-Jähriger als Jungfrau ausgab, analysierte wohl so trocken wie kein Zweiter, was unsere Gesellschaft am Laufen hält. Während sich die Hippies draußen im "Summer of Love" sonnten, stellte Warhol in seiner Factory Malerei im Siebdruckverfahren her und filmte Stricher beim Blowjob: warenförmige Kunst, käufliche Liebe. 

Dass die romantische Liebe kein Refugium in einer durchkommerzialisierten Welt darstellt, hat auch die Soziologin Eva Illouz in ihren Schriften immer wieder betont. Im Gegenteil: "Die kollektive Utopie der Liebe, einst als Transzendierung des Marktes idealisiert, ist im Prozess ihrer Verwirklichung zum bevorzugten Ort des kapitalistischen Konsums geworden", wie es in ihrem 2003 auf Deutsch erschienenen Buch "Der Konsum der Romantik" heißt.

Dabei ergeht sich Illouz nicht im Klagegesang, sondern untersucht, welche Freiräume sich durch die Überwindung des romantischen Liebesideals ergeben. Wer das Konzept der Einzigartigkeit der Liebe und der Monogamie erst hinter sich gelassen hat, dem steht ein Überangebot aus amourösen Wahlmöglichkeiten offen, der kann sich das Maß an Nähe und Sex so zusammenstellen, wie es passend erscheint. Warum sollten wir auf den oder die Richtige warten? Gibt es so etwas überhaupt? 

Schon die vielen Mitglieder von Warhols Factory hatten ja den lebenden Beweis geliefert, dass man auch anders lieben kann, ja selbst auf Knien mehr Selbstbestimmung und Befriedigung erfahren kann als in der allsonntäglichen Missionarsstellung ("But she never lost her head/even when she was giving head", sang Lou Reed über den Warhol-Superstar Candy Darling). Und eine der schönsten Romanzen der jüngeren Kulturgeschichte ist jene von Patti Smith, die Robert Mapplethorpe liebte, der Männer liebte.

So scheint die zeitgenössische Kunst ihre wichtigsten Impulse aus Liebeskonzepten jenseits heterosexueller Normen zu ziehen: Aktionismus und Performancekunst der 60er- und 70er-Jahre brechen Geschlechterhierarchien auf, Gay- und Queer-Culture erkämpfen sich Sichtbarkeit, Young British Artists wie Tracey Emin und Sarah Lucas formulieren in den 90er-Jahren einen neuen Feminismus, der sich für nichts schämt oder rechtfertigt.


Demgegenüber scheinen männliche, heterosexuelle Künstler eine besondere Distanz zur Liebe zu halten, wie Barbara Scheuermann 2014 im Katalog zur Ausstellung "Liebe" im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum schrieb. Dass es zwischen beiden Sphären zurzeit generell nicht eben funkt, erklärte Scheuermann mit einem markanten Unterschied: "Während die Liebe Einigung sucht, strebt die Kunst nach Differenz. Liebe stiftet Identität, Kunst stellt sie infrage." 

Vielleicht muss man diesen Satz heute auf den Kopf stellen. Denn es ist zurzeit ja gerade die Kunst (wie unsere Gesellschaft insgesamt), in der identitäre Fragen eine Hochkonjunktur erfahren, man sich wieder verstärkt auf Herkunft, Geschlecht oder Religion beruft, sich immer weiter voneinander abzugrenzen droht. Gerade deshalb würde die Liebe gebraucht: als Mittel, wie wir die Festungen um unsere Subjektivität durchbrechen können. Egal wen oder was oder wie, Hauptsache, wir lieben mehr als uns selbst. Adorno spricht, Hegel zitierend, in seiner "Ästhetischen Theorie" von der "Freiheit zum Objekt", in der der Kunstbetrachter "in geistiger Erfahrung Subjekt wird durch seine Entäußerung, dem Gegenteil des spießbürgerlichen Verlangens, dass das Kunstwerk ihm etwas gebe". So könnten sie funktionieren, die Liebe der Kunst und die Kunst der Liebe.