Ryan Trecartin in Berlin

OMG!

Worum geht’s hier eigentlich? Das ist die falsche Frage in einer Ryan-Trecartin-Installation. Es sei denn, man stellt sie mit weit aufgerissenen Augen und dieser speziellen Frage-Betonung, wie sie die Teenies in amerikanischen Soaps haben. Man muss allerdings noch „Oh my God!“ dazu sagen und am besten ein Mann in Jersey-Kleid und schief sitzender Langhaarperücke sein.

In der neuen Filminstallation „Site Visit“ von Ryan Trecartin (in Kooperation mit Lizzie Fitch), die seit Samstag in den KunstWerke Berlin zu sehen ist, ist es unter anderem der Künstler selbst, der solch eine schiefe Blondperücke trägt und eine Gruppe von weiteren in alle Richtungen queer verkleideten Menschen durch ein leeres Gebäude – ein Studio? Eine Art Schule? – führt. Es scheint, als wäre man auf der Suche nach einer Toilette, eine überaus aufregende Expedition, die Akteure stehen herum und diskutieren (immer schön die Intonation hochziehen am Ende des Satzes!), kreischen, entscheiden sich, loszugehen oder auch nicht, und irgendwann schlägt jemand die Spiegel über den Handwaschbecken kaputt. Klingt wenig beeindruckend? Ist es aber.

Das liegt unter anderem an dem perfekten Raum, den Trecartin bei seiner ersten Einzelausstellung in Deutschland in die große Halle der KunstWerke gebaut hat. Oben auf der Empore befindet sich eine Art Klangerfahrungsstation: Hier stehen zahlreiche Massagesessel, in die man sich hineinfläzen kann und schon mal Audiofetzen der Installation konsumieren, während das Hinterteil im Rhythmus der Maschine vibriert. Die perfekte Vorbereitung für die Sinnesmassage, die einen unten in der großen Halle erwartet. Der mit Campingmöbeln bestückte Fußboden wurde wie im Kino angeschrägt, alles ist dunkel samtig ausgeschlagen, und dann gilt es, den Kopf gelenkig zu drehen, denn es gibt zwei Leinwände vorn, zwei Leinwände hinter einem und eine über dem Kopf, auf der beruhigenderweise meist ein Kronleuchter zu sehen ist – hier muss man also nicht allzu häufig hingucken.

Die anderen Leinwände zeigen mal ähnliche, mal verschiedene Szenen, die Ereignisse rund um die Protagonisten auf ihrer Reise durch das Haus, aus sehr unterschiedlichen Perspektiven gefilmt, wechseln sich ab mit animierten Bildern wie aus einem Computerspiel, in dem bizarre Tiere, Dschungelpflanzen oder auch Zelte vorkommen. Der Rhythmus der Bildwechsel, den man mit seinen eigenen Blickwechseln notwendigerweise noch komplexer macht, wirkt so virtuos wie der Soundtrack, in dem laute Musik mit den hysterischen, manchmal Minnie-Maus-artig schneller gestellten Stimmen der Protagonisten abwechselt.

Collage, Schnitt, copy and paste – das Prinzip begleitet die Kulturgeschichte jetzt seit über 100  Jahren, und doch kommt immer mal wieder einer, der es auf eine neue Stufe hebt. Zur Zeit ist das eben Ryan Trecartin. Er hat eine Agenda: nicht nur Gender, sondern auch die Marker von ethnischer und sozialer Zugehörigkeit zu denaturalisieren. Und von Großinstallation zu Großinstallation verfeinert er die ästhetischen Mittel, um dem eine Form zu geben – mit solch einem Perfektionismus, dass er auch nach Eröffnung der Schau in den KunstWerken noch am Film herumfeilte.

Trecartin verspricht dem gestressten Medienkonsumenten der Gegenwart keine heilende Kontemplation, sondern erhöht im Gegenteil die Frequenz der Bedröhnung noch. Und der Betrachter, der sich mit leichtem Schwindel am Massagestuhl festhält, lernt: Trash, bis zur absoluten Desintegration gesteigert, ergibt eine neue Art von Perfektion.

"Ryan Trecartin: Site Visit", KW Institute for Contemporary Art, Berlin, bis 11. Januar 2015