Ausstellung im PalaisPopulaire

Eine Frage der Zeit - und der Materie

Wie viel Geschichte passt in ein Gebäude? Die Ausstellung "It's Just a Matter of Time" im Berliner PalaisPopulaire erzählt von den historischen Schichten ihres Ortes - und von einer Stadt in ständigem Wandel

"It’s Just a Matter of Time" – der Titel der aktuellen Ausstellung der Sammlung Deutsche Bank im Berliner PalaisPopulaire lässt sich unterschiedlich lesen: mit Fokus auf die Zeit oder auf die Materie. Denn das englische matter bedeutet nicht nur Angelegenheit, sondern auch Stoff, Substanz, Gegenstand. Die Schau geht dieser Doppeldeutigkeit nach: Wie lässt sich Zeit in Dingen fassen, in Räumen, Körpern, Archiven? 

Der Ort selbst wird Teil dieser Erzählung. Das PalaisPopulaire bündelt Geschichte, die 1730 ihren Anfang nimmt. Als Wohnsitz der Töchter des preußischen Königs wird es bald nur noch Prinzessinnenpalais genannt – ein Name, der sich durch die Jahrhunderte hält: durch Monarchie und Weimarer Republik, als Reichspostamt der Nationalsozialisten, nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau als Operncafé im geteilten Berlin. 

Heute steht es im historischen und neohistorisch nachgebildeten Zentrum der Stadt – umgeben von Schichten politischer und kultureller Brüche. Die Ausstellung nutzt diese Topografie als Resonanzraum für Werke, die 100 Jahre reflektieren und zugleich gegenwärtige Fragen verhandeln.

Fliegendes Geld und stumme Bücher 

Julian Irlingers Papierdrachen zum Beispiel schweben über der Wendeltreppe, die zur Ausstellung führt – leicht und poetisch. Erst bei genauerem Hinsehen offenbart sich ihr Material: entwertete Banknoten. Die Arbeit basiert auf einem Foto von 1920, das Kinder zeigt, die mit Inflationsgeld spielen. Die Weimarer Republik, ein Moment zwischen Aufbruch und Abgrund, bekommt hier eine physische Form – fragil, spielerisch, doch historisch aufgeladen. 

Am Bebelplatz, nur wenige Schritte entfernt, verbrannten die Nationalsozialisten 1933 rund 20.000 Bücher. Worte, die geschrieben, gedruckt – und ausgelöscht wurden. Shilpa Guptas Installation "For, In Your Tongue, I Cannot Fit" erinnert an diese Gewalt. In vier Vitrinen liegen 100 Bücher als bronzene Abgüsse. Ihre Seiten tragen eingravierte Zitate, leuchten im warmen Licht, laden zum Stöbern ein – und bleiben dennoch stumm. Die Texte sind sichtbar, aber nicht mehr lesbar. Geschichte als Mahnmal, Echo und Lücke.

In den 1980er-Jahren war das PalaisPopulaire ein Club: Im "Operncafé" tanzte man zu Hip-Hop, Soul und Funk. Klingt vielleicht erstmal nach Westberlin, lag aber in der DDR. Manfred Paul hat das Geschehen fotografisch festgehalten. Sein Porträt zeigt "Danny" – auftoupiertes Haar, fordernder Blick – eine Figur der damaligen Subkultur, selbstbewusst, unangepasst. 

Zwischen Reflexion und Repräsentation

Auch Cornelia Schleime blickt auf ihr Leben in Ostberlin zurück – mit Selbstporträts, die auf über sie angelegten Stasi-Akten basieren. Ein Spiel mit Kontrolle, Identität und Rückaneignung. Subkulturen findet man allerdings heute eher in anderen Vierteln der Stadt. Das PalaisPopulaire liegt inmitten von institutioneller Repräsentation: Nebenan die Staatsoper, gegenüber der Bebelplatz, ein paar Straßenzüge weiter das wiedererrichtete Humboldt Forum. Der öffentliche Raum ist aufgeladen – mit Symbolen und neuen Fassaden, die Altes oft schöner aussehen lassen sollen, als es war.

Auch die Deutsche Bank, die in diesem Umfeld nun ihre Sammlung zeigt, ist keine unbeteiligte Beobachterin der Geschichte. Während der Zeit des Nationalsozialismus war sie nicht nur wirtschaftlich aktiv, sondern direkt in "Arisierungen" und die Finanzierung des Regimes involviert. Diese Verstrickungen hat der Konzern von Historikern aufarbeiten lassen. Sie werden in der Schau nicht explizit erwähnt, können aber einen Subtext zur Erfahrung eines Ausstellungsbesuchs bilden. Genau hier liegt die Spannung, die die gezeigten Werke verkörpern: zwischen Reflexion und Repräsentation.

"It’s Just a Matter of Time" erzählt von Macht, Unsichtbarkeit, von Körpern, Räumen und Städten im Wandel. Die von Liberty Adrien und Carina Bukuts kuratierte Schau ist ein Streifzug durch das urbane Gedächtnis – und eine Einladung, Geschichte nicht linear, sondern räumlich zu denken.