Namenswahl mit Geschichte

Warum der neue Papst mit "Leo" ein riskantes Signal setzt

Der neu gewählte Papst Leo XIV., der US-Amerikaner Robert Prevost, am Donnerstag nach dem Konklave auf dem Balkon des Petersdoms im Vatikan
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Der neu gewählte Papst Leo XIV., der US-Amerikaner Robert Prevost, am Donnerstag nach dem Konklave auf dem Balkon des Petersdoms im Vatikan
 

Ein neuer Papst – ein alter Name: Leo. Doch der Griff zu diesem traditionsreichen Titel ist heikel. Denn wer sich Leo nennt, stellt sich unweigerlich in eine Reihe mit Päpsten, deren Vermächtnis nicht nur glanzvoll war – und teils sogar verheerend

Nur Ältere können sich daran erinnern – es ist ja auch schon 47 Jahre her –, dass ein Papst kurz nach seiner Inthronisierung starb. Johannes Paul I. blieb gerade mal einen guten Monat lang auf dem Papstthron – nach nur 33 Tagen verschied er. Der Schock in der Amtskirche war so groß, dass sich sein Nachfolger denselben Namen zulegte, nunmehr als Nummer 2. Der neue Papst, Leo XIV., hat unter seinen Namensvettern der Vergangenheit gleichfalls einen unerwarteten Trauerfall: Im Jahr 1605 amtierte Leo XI. nur 26 Tage lang. Doch nur 15 Jahre zuvor brachte es Urban VII. lediglich auf zwölf Tage, als ihn die Malaria dahinraffte; insofern ist mit dem Namen Leo kein Rekord verbunden. Auch nicht in die andere Richtung, wenngleich Leo XIII. – also der unmittelbare Namensvorgänger des neuen Mannes – mit gut 25 Jahren Amtsdauer das drittlängste Pontifikat der Geschichte erreichte und überdies mit 93 Jahren das höchste Alter im Amt – Benedikt XVI., unser deutscher Pontifex, wurde zwar 95, aber erst nach seinem Amtsverzicht.

Ein Papst sollte sich die früheren Träger des von ihm gewählten Namens genauer anzusehen. Und da fragt man sich schon, ob Robert Prevost gut beraten war, sich Leo zu nennen. Noch dazu, wo er noch vor jeder eigenen Positionsbestimmung zu einer Art Speerspitze gegen das ideologische Wüten von Trump stilisiert wird, was womöglich den einen oder anderen US-amerikanischen Kardinalsbruder zur Wahl des Erzbischofs bewogen haben mag.

Denn unter den Leos der Kirchengeschichte gibt es mindestens einen, mit dem der neue Leo gewiss nicht in einem Atemzug genannt werden will: Leo X. aus dem Hause Medici. Diese Familienherkunft sagt alles. Die Medici waren Bankiers, Händler, Politiker, und vor allem eines: Machtmenschen. Sie rafften, was nur zu raffen ging, Reichtum, Frauen, die gesamte Republik Florenz, aus der spätere Nachfahren ein erbliches Herzogtum formten, und stets auf der Suche nach Verbündeten, die ihnen nützlich sein konnten.

Medici-Spross Leo X.

Den Papstthron hatten sie strategisch im Auge, genauer: Familienoberhaupt Lorenzo genannt der Prächtige. 1475 kam als sechster Nachwuchs Giovanni di Medici in die Familie, und als zweitgeborener Sohn war er von Beginn an für eine kirchliche Laufbahn bestimmt. Nein, damit war keine kärgliche Pfarrerstelle irgendwo in der Provinz gemeint, sondern ein strahlendes Bischofs-, Erzbischofs- und schließlich Kardinalsdasein, materiell überreich gesegnet mit sogenannten Pfründen, also Einkommen aus kirchlichen Besitztümern, die jedem neuen Purpurträger vom jeweiligen Papst zugesprochen wurden.

So wurde der kleine Giovanni bereits im zarten Alter von sieben (!) Jahren auf einen ersten Posten gesetzt, und gleich sollte er auch noch Erzbischof werden – doch dummerweise lebte der betreffende Amtsinhaber noch. Stattdessen wurde er Domherr im heimischen Florenz, nomineller Abt mehrerer Klöster und und und. All das zahlte sich in steten Geldzuflüssen aus. Mit 14 Kardinal, nahm Giovanni mit 17 erstmals an einem Konklave teil – und konnte sich in der Praxis anschauen, wie man Papst wird; in diesem Fall des Jahres 1492 ein Abkömmling des nicht minder machthungrigen – und bis heute verrufenen – Hauses Borgia.

1503 gab's einen weiteren neuen Papst, Julius II. aus römischem Adel, und mit ihm erreichte die Renaissance in Rom ihren Höhepunkt. Julius nämlich fasste den Entschluss zum Bau eines neuen Petersdoms und legte sogar den Grundstein, freilich ohne zu wissen, wie der Neubau aussehen sollte. Als der Medici-Spross nach dem baldigen Ableben von Julius 1513 endlich selbst Papst wurde, ging der Neubau nach den anfänglichen Abrissarbeiten am alten Dom unter wechselnden Chefarchitekten jahrelang nicht recht voran. Und der neue, erst 37-jährige Papst nannte sich: Leo X.

Wie er aussah, das hat Raffael überliefert. Sein Porträt zeigt einen bereits fülligen, eher weichen Typen, anders als die finsteren "Nepoten", die Papst-Neffen, die bei ihm stehen. Ein Renaissance-Papst – und ebenso -Kardinal oder -Bischof – lebte alles andere als zölibatär, das war nur für die einfachen Priester gedacht. Apropos Priester: Nicht einmal das war der neue Papst, er musste erst noch schleunigst dazu geweiht werden und zum Bischof gleich danach, damit er anschließend mit der Tiara zum Papst gekrönt werden konnte.

Raffaels Porträt des Papstes Leo X. mit seinen Vettern, den Kardinälen de' Medici und de' Rossi
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Raffaels Porträt des Papstes Leo X. mit seinen Vettern, den Kardinälen de' Medici und de' Rossi, 1518

Sein Pontifikat verbrachte Leo X. mit Machtpolitik. Italien, in konkurrierende Herrschaften aufgeteilt, war von endlosen Konflikten durchzogen, von wechselnden Koalitionen, in die vor allem der deutsche Kaiser – nominell Oberhaupt des nördlichen Italien – und der auf territorialen Gewinn erpichte französische König hineinspielten. Aus dem politischen Flickenteppich des deutschen Reiches kam ein Großteil der Finanzen, die Leo X. für seinen neuen Petersdom benötigte, eingetrieben vor allem durch Ablasshandel, also Befreiung von befürchteter Höllenpein gegen Zahlung von Geld.

Dagegen erhob sich ein gewisser Martin Luther, ein "Mönchlein", wie er abfällig bezeichnet wurde, tatsächlich ein gebildeter und promovierter Theologe. Seine 95 Thesen von 1517 sollten die katholische Kirche in ihren Grundfesten erschüttern. Nur Leo nahm davon kaum Notiz; dass er Luther 1521 exkommunizierte – die schlimmste Strafe unter Gläubigen –, war denn schon (fast) alles. Dass der Kampf gegen den Ablasshandel sich aber zu einer Grundsatzkritik am lästerlichen Lebenswandel der römischen Kirchenspitze, an Bordellen, Mätressen und unehelichen Nachkommen ausweitete, von Protz und Prunk ganz abgesehen, hat Leo wohl nicht wirklich erfassen können.

Ihn beschäftigte vielmehr der Konflikt zwischen dem deutschen Kaiser – ab 1519 der junge Habsburger Karl V. – und König Franz I. von Frankreich. Leo, der schon seinen Vorgänger auf Kriegszügen begleitet hatte und nun als Herrscher des Kirchenstaates selbst Krieg führte, erkrankte jedoch Ende 1521 schwer und verstarb nach kürzester Zeit. Er hinterließ einen Haufen Schulden, die nun nicht mehr durch germanische Geldzuflüsse abgetragen wurden, und dementsprechend geriet der Bau des Petersdoms ins Stocken. Mit der sich rapide ausbreitenden Reformation, die selbst in Oberitalien zeitweilig Fuß fasste, ging der universale Machtanspruch des römischen Papstes zu Ende.

Immerhin ein halbes Jahrtausend war beim Amtsantritt von Leo X. vergangen, seit letztmals ein Leo auf dem Papstthron saß. Und dieser ältere Leo IX., ein Adliger aus Schwaben, spielte ebenfalls eine ungute und womöglich noch fatalere Rolle. Auf ihn geht nämlich das sogenannte Morgenländische Schisma von 1054 zurück, die Trennung der organisierten Christenheit in eine West- und eine Ostkirche. Dieser Riss konnte bis heute nicht mehr gekittet werden. Und auch wenn man dem Katholizismus fern steht, darf man mit Interesse verfolgen, ob der neue Leo das Missgeschick des alten Leo zu beheben versucht. Wenn er schon den Löwen im Namen trägt!