Stadtgespräch

Superblond

Man muss nicht in Berlin sein: Die Schriftstellerin Paula Irmschler ("Superbusen") und die Musikerin Nina Kummer ("Blond") über ihre Heimatstadt Chemnitz

Paula, in deinem Roman "Superbusen" beklagt deine Protagonistin Gisela, dass Chemnitz von der Deutschen Bahn abgehängt wurde. Ich habe noch mal nachgeschaut: Es hat auch heute kein IC oder ICE in Chemnitz gehalten.

PAULA IRMSCHLER: Es soll jetzt ja doch eine IC-Verbindung zwischen Berlin und Chemnitz geben. Aber nur ein halbes Jahr. Wird wahrscheinlich als Testlauf geplant.

In Interviews mit euch ist mir aufgefallen, dass ihr rechtfertigen müsst, warum ihr in Chemnitz lebt oder gelebt habt. Das geht Gisela im Roman auch so.

PAULA IRMSCHLER: Als ich hergezogen bin, war das ja ein bisschen alternativlos. Das war nicht das, wovon man träumt. Ich wollt’ eigentlich nach Hamburg. Es gab nie den Moment, an dem ich dachte: Ich bin gerne in Chemnitz. Eher: Ich bin gerne bei den Leuten, die es hier gibt. Aber dann bin ich 2016 weggezogen.

NINA KUMMER: Bei uns als Band wird oft gefragt: Warum seid ihr nicht in Berlin? Das liegt wahrscheinlich daran, dass es natürlich praktisch ist, wenn man dort lebt. Es gibt aber Vorzüge von Chemnitz. Wir haben ein cooles Netzwerk, einen Proberaum – ich muss keine halbe Stunde zu meinem Proberaum fahren. Andere Bands proben im Keller ihrer Eltern, als Erwachsene! Du hast immer eine Chance, etwas Neues auszuprobieren, wenn du eine Band hast – es gibt halt Räume für alles Mögliche, das ist schon ziemlich geil. Ich verstehe, wenn Leute, die nicht unbedingt etwas produzieren, sondern nur konsumieren wollen, wegziehen, weil es bestimmte Dinge nicht gibt. Für uns war es eigentlich immer ein Vorteil, wenn man etwas Kreatives machen will. Aber wir kriegen immer gesagt: "Ich hätte gedacht, ihr seid ’ne Berliner Band. Ihr wirkt so Berlin-mäßig." Ich bin immer irritiert über dieses Kompliment.

Meinst du, das ist eine rein musikalische Wahrnehmung, oder bezieht sich das auch auf einen vermeintlich sächsischen Habitus?

NK: Ja, wahrscheinlich meint es so dieses trottelige Ding – "Du wirkst gar nicht wie jemand, der dumm ist!" (lacht). Viele waren ja auch noch nie hier in Chemnitz, und für die ist Chemnitz vielleicht dieses Fascho-Nest oder etwas Provinzielles. Solche Assoziationen habe ich selbst mit anderen sächsischen Städten.

Es ist seltsam, dass man als Sachse bestimmte Klischees über Sachsen zurückweisen will, sie insgeheim aber auch teilt ...

NK: Ich mache ja auch meine Kommentare zu Leuten im Erzgebirge – "die lassen sich dort nicht impfen" usw.

Apropos Impfen: Corona-Leugner und Rechtsradikalismus, das ist ja auch so ein Bild von der sächsischen "Provinz".

NK: In den letzten zwei Jahren, in denen man wegen Corona so viel hier war, war es wirklich anstrengend. Du hast eben – was ein echtes Problem ist – diese rechten Strukturen, und du kannst dich nicht einfach in dein Szeneviertel zurückziehen. Das ist so anstrengend, dass man sich irgendwann wünscht, wieder in der eigenen Bubble abzuhängen. Und man muss dazu sagen, dass ich blond und weiß bin. Wenn du in Chemnitz demonstrieren gehst, hast du immer so ein bisschen Schiss: Was passiert, wenn du nach Hause gehst mit deinen Freunden, wenn die Demo aufgelöst ist? Hier laufen halt Fascho-Gruppen herum und hauen Leuten, die alternativ aussehen, auf die Fresse. 

Der Fotograf kommt dazu, und wir unterhalten uns über mögliche Fotolocations.

PI: Neulich habe ich mit einer Fotografin in Chemnitz fotografiert, wir sind stundenlang durch die Stadt gelaufen. Sie wollte mich vor einer Platte fotografieren, da habe ich gesagt: Nein, das mache ich nicht. Ich bin hier nicht in der Platte aufgewachsen. Hätte es da den Darm schon gegeben ...

Den Darm?

PI: Den Darm von Karl Marx.

NK: Aus der Gegenwarten-Ausstellung. Ein Darm im Maßstab zur Karl-Marx-Büste – als wären in der ganzen Stadt die Innereien von Marx verteilt.

PI: Das ist so diese typische Chemnitz-Ironie. Ich konnt’s auch nicht 
glauben.

Gab es da auch Proteste?

NK: Ja, genauso bei dem Auto. Der Konzeptkünstler Roman Signer hat ein Auto im Schlossteich versenkt, so einen Skoda. Nachts leuchtete das Auto, es sah aus, als ob gerade jemand hineingefahren wäre. Da sind Leute hin und haben die Scheiben eingeschmissen. Die ganze Stadt war in Aufruhr. Aber das ist ja das Gute, wenn es wenigstens juckt – wenn auch negativ. Weil die Leute das so gehasst haben, hat es mir gleich noch viel mehr gefallen.

Damit kommen wir auf das Thema Kulturhauptstadt. Idealerweise ist das etwas, das die Stadtgesellschaft bewegt. Ist das auch so in Chemnitz?

NK: Dieser ganze Prozess hat nicht nur die Leute, die sich sowieso mit Kunst auseinandersetzen, bewegt: Du konntest den Leuten auch gut verklickern, dass Brauereikultur auch Kultur ist. Oder erzgebirgische Schwibbogen. Das war alles so niederschwellig. Gar nicht Hochkultur. Man konnte sich anmelden und sagen: Ich hätte gerne auf dem Adelsberg eine Tischtennisplatte auf der Rasenfläche, und dann hat man Geld gekriegt. Dann steht da "Chemnitz 2025" drauf, und die Leute haben eine Tischtennisplatte. Viele Leute sagen: Ich verstehe Kunst nicht, Kunst ist nichts für mich. Genau das war das Ding: Ich gehe zum Fleischer und sehe auf dem Weg dahin Kunst. Ich muss nicht in ein Museum hinein. Ich hoffe auch, dass es genauso beibehalten wird, denn es gibt auch Städte, die haben den Kulturhauptstadttitel gekriegt und dann ein Opernhaus gebaut. Kann man auch machen.

PI: Ja, nee.

NK: Aber das ist nicht das, was Chemnitz braucht.