Peter Eisenman wird 90

Ein Philosoph, der baut

Häuser sind zum Wohnen da – oder nicht? Für Peter Eisenman steht Funktionalität oft an zweiter Stelle. Seine Gebäude sind Beton gewordene Gedankenkonstrukte. Heute wird der Architekt und Urheber des Holocaust-Mahnmals in Berlin 90 Jahre alt

Im November 1982 fand an der Graduate School of Design ein legendärer Schlagabtausch zwischen zwei renommierten Architekten statt. Peter Eisenman machte sich für Gebäude stark, die Menschen zum Denken und nicht zum Fühlen brächten. Sein Kollege Christopher Alexander (der am 17. März 85-jährig gestorben ist) plädierte für eine Architektur, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Als Eisenman erklärte, "es muss auch Menschen wie mich geben, die das Bedürfnis nach Unstimmigkeiten, Disharmonie und so weiter haben", platzte Alexander der Kragen: "people who believe as you do are really fucking up the whole profession of architecture", rief er erbost – "Leute, die so denken wie Sie, treiben den gesamten Berufsstand der Architekten in den Ruin."

Fairerweise muss man betonen, dass Eisenman zum Zeitpunkt der Debatte noch nicht sehr viel gebaut hatte und seine erfolgreichen Architekturen – weltberühmt wurde er mit dem Wexner Center for the Visual Arts an der Ohio State University in Columbus (1983-89) – noch in der Zukunft lagen. Für seinen schlechten Ruf bei Pragmatikern waren unter anderem seine experimentellen Häuser I-X (1968-1975) verantwortlich, mit denen er sich auf Forschungen des Linguisten Noam Chomsky bezog.

Obwohl es sich um Wohnhäuser handelte, waren Harmonie und Funktionalität für Eisenman dabei nachrangig. In ihrem Buch "House VI: The Client's Response" berichtete die Autorin Suzanne Frank unter anderem, wie ein das Schlafzimmer ihres Hauses in Connecticut durchtrennender Glasstreifen die Aufstellung eines Doppelbetts verhinderte. Das für Bloomfield Hills in Michigan geplante "Haus X" wurde nach einem Zerwürfnis mit dem Bauherrn aufgegeben. Eisenman selbst nannte die Wohnhausprojekte "Papparchitektur". Er bevorzuge Zeichnungen und Modelle, in denen Funktionsfähigkeit Nebensache sei.

Alternativen zur traditionellen Architekturpraxis

Peter Eisenman wurde am 11. August 1932 als Sohn jüdischer Eltern in Newark, New Jersey, geboren. Seine frühe Karriere war zunächst in der akademischen Welt verankert. Sein Architekturstudium schloss er an der Cornell University und der Columbia University ab. Ein Professor riet ihm nach England zu gehen, "um intelligenter zu werden", so promovierte Eisenman 1963 an der Cambridge University. 1967 war er Mitgründer und erster Direktor (bis 1982) des Institute for Architecture and Urban Studies. Rem Koolhaas, Rafael Moneo, Bernard Tschumi, Frank O. Gehry und Caroline Bos zählten zu den Mitgliedern des Thinktanks, in dem Alternativen zu traditionellen Formen der Lehre und Architekturpraxis gesucht wurden.

In den 1960er- und 1970er-Jahren stand das Reflektieren, Schreiben und Diskutieren über Baukunst für ihn im Mittelpunkt. An Hochschulen wie Princeton, Cambridge und der New Yorker Cooper Union war er in dieser Zeit als Dozent tätig. Als er sich im nachfolgenden Jahrzehnt verstärkt der praktischen Architektur zuwandte, ließ er sich weiterhin von der Theorie leiten. Als Hauptvertreter der dekonstruktivistischen Architekturbewegung – neben Gehry, Zaha Hadid, Koolhaas, Daniel Libeskind, Tschumi und Coop Himmelb(l)au – wurde Eisenman stark vom französischen Philosophen Jacques Derrida beeinflusst, mit dem er auch eng befreundet war.

Durch Derridas Schriften entwickelte Eisenman ein Interesse daran, Struktur und Bedeutung zu trennen. Eine Säule muss dementsprechend nicht mehr als vertikale Stütze betrachtet werden, ein Dach nicht mehr unbedingt als Schutz dienen. Gebäude wurden zu reinen Manifestationen von Ideen. Purer Dekonstruktivismus war Derridas und Eisenmans gemeinsamer Entwurf für den Parc de la Villette in Paris von 1986, der aber nicht realisiert wurde. Für den Einfluss philosophischer Konzepte in die Architektur steht auch die von Eisenman verantwortete (und unvollendete) Kulturstadt Galicia in Santiago de Compostela, an der bis 2012 gebaut wurde. Darin führte er verschiedene Raster zusammen – etwa das Straßengitter der Innenstadt, die Topografie der Region und die Gestalt einer Jakobsmuschel – die er am Computer zu einer Matrix verschmelzen ließ. Eisenman sprach von einer "post-semiotischen Sensibilität" und einem Ganzen, das sich aus einer Reihe von Spuren zusammenfüge.

Der Ort macht das Werk

Er habe keine Handschrift, hat Eisenman immer wieder erklärt. "Ich könnte in Santiago, Berlin oder Phoenix nicht dasselbe Gebäude machen. Deshalb habe ich keinen Stil", sagte der Architekt. In Berlin realisierte er 1986 einen Wohnungsbau am Checkpoint Charlie, dessen Pläne er zwei Jahre zuvor im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in Berlin vorgestellt hatte. Vor allem aber das 2005 ebenfalls in Berlin eröffnete Denkmal für die ermordeten Juden Europas machte Eisenman in Deutschland bekannt.

"Ich glaube, es ist ein bisschen zu ästhethisch", sagte der Architekt selbstkritisch in einem "Spiegel"-Interview, das er kurz nach der Eröffnung führte. Andere Aspekte hielt er für gelungen: "Erst gestern habe ich zum ersten Mal gesehen, wie Menschen hinein gelaufen sind, und es ist erstaunlich, wie diese Köpfe verschwinden – als würden sie in Wasser abtauchen. Primo Levi spricht in seinem Buch über Auschwitz von einem ähnlichen Bild. Er schreibt, dass die Gefangenen nicht mehr lebendig, aber auch nicht tot waren. Sei waren vielmehr in eine Art persönliche Hölle herabgestiegen."

Sechs Jahre lang hatte Eisenman an dem aus 2711 Stelen gefügten Mahnmal gearbeitet. Gefragt, ob er froh sei, dass die Arbeit getan war, antwortete der Architekt: "Nein. Sicher nicht. Das ist, als würde man sagen, man sei froh zu sterben. Ich höre nicht gern auf. Ich bin jemand, der gerne anfängt." Dem großen Architekten Peter Eisenman, der heute 90 Jahre alt wird, sind noch viele Projekte zu wünschen.