Ausstellung über digitalen Kolonialismus

Die dunklen Wolken über der Cloud

Unsere Gegenwart ist von rasantem Technik-Fortschritt geprägt, doch die globale Vernetzung hat einen hohen Preis. Eine Ausstellung in München zeigt nun eindrücklich den Zusammenhang von Kommunikation und Ausbeutung

Im Jahr 1850 wurde das erste Tiefseekabel verlegt. Es verband das Vereinigte Königreich mit Frankreich - und bildete den Anfang einer neuen, die Weltgeschichte prägenden Form der Vernetzung. Von nun an sollte es möglich sein, Informationen über tausende Kilometer Entfernungen in Echtzeit auszutauschen. Das Zeitalter der Kommunikation begann; und mit ihm eine grundlegende Transformation von Politik, Handel und dem gesellschaftlichen Zusammenleben. 

Heute ist die gesamte Welt vernetzt, und ihr Wissen ist in Clouds ausgelagert. Die technische Evolution scheint keine Grenzen zu kennen. Speichermedien werden kleiner, die Rechenleistung wird stärker und die Technik ausgefeilter. Die Erfindung sogenannter künstlicher Intelligenz (KI), die in der Lage ist, komplexeste Aufgaben wie durch Zauberhand in Bruchteilen von Sekunden zu bewältigen, erweist sich als beeindruckender Höhepunkt dieser Entwicklung.

Doch diese Fortschrittserzählung ist trügerisch. Wie die neue Architekturausstellung "City in the Cloud. Data on the Ground" in der Pinakothek der Moderne in München zeigt, hat die technologische Hochleistungsära auch ihre Schattenseiten. Mit dokumentarischen Fotostrecken, historischem Bildmaterial und ausführlichen Begleittexten legt die Schau auf eindrückliche Weise eine Ambivalenz im Siegeszug des medialen Ausbaus offen - vom Tiefseekabel bis zu ChatGPT. Ganz im Sinne von Adorno und Horkheimers Grundthese in der "Dialektik der Aufklärung" macht sie deutlich, dass jeder vermeintliche Fortschritt mit einer neuen Form des Rückschritts einherging.

Baumrodung für Tiefseekabel

Wie die Ausstellung in einer historischen Strecke zeigt, wird diese Bewegung bereits an der Geschichte der ersten Unterseekabel deutlich. Auf einer politischen Ebene vereinfachten sie zwar die Kommunikation zwischen den westlichen Ländern und waren damit wichtiges Medium für einen kosmopolitischen Austausch, jedoch garantierte die schnelle Verbindung gleichzeitig eine bessere Kontrolle der Kolonialreiche, wodurch unterdrückende Machtverhältnisse aufrechterhalten und ausgebaut werden konnten.

Auch auf einer ökologischen Ebene hinterließ der Entstehungsprozess moderner Kommunikation seine Spuren. Zur Herstellung der Kabel bedurfte es eines Beschichtungsmaterials, das man aus dem Saft der Guttaperchabäume gewann. Um an den seltenen Rohstoff zu gelangen, wurden besonders in Malaysia neue Gebiete kolonialisiert, deren Wälder gerodet und damit die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung vernichtet. 

Die Verflechtung des kommunikativen Fortschritts und der Ausbeutung sowohl natürlicher als auch menschlicher Ressourcen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Bis heute wird der technologische Fortschritt auf dem Rücken ökonomisch schwacher Länder und deren Natur ausgetragen. Wie eine Fotoreihe von Giulia Bruno zeigt, baut unser Austausch auch in Zeiten der Clouds auf einer materiellen Grundlage und konkreten Räumlichkeiten auf.

Bunte Welten, triste Hallen

Bruno wirft einen Blick in den oft verborgen Betriebsraum des Internets. Ihre Bilder zeigen Hallen, die bis unter die Decke mit aufgetürmten Servern, endlosen Kabelschlangen und sauber aneinandergereihten Festplatten gefüllt sind. Die monotone und triste Ästhetik der Fotografien steht dabei im starken Kontrast zu den bunten Welten, die diese Medien speichern

Und wie bei der Herstellung der Unterseekabel bedarf es auch heute besonderer Materialien, um unsere Kommunikation zu verwirklichen. Dabei handelt es sich um seltene Erden wie Lithium, Kupfer und Kobalt. Um sie zu gewinnen, gehen die Unternehmen genauso rücksichtslos vor wie vor 150 Jahren und ignorieren die Gesundheit von Natur und Mensch. 

Die Gier nach Rohstoffen und ihre Folgen dokumentiert die Fotografin Catherine Hyland in einer Serie über den Lithiumabbau in der chilenischen Atacama-Wüste. Zu sehen sind knallgelb leuchtende Seen inmitten einer kargen Wüste, durch die hohe Grundwassernutzung der Konzerne ausgetrocknete Flüsse sowie vollkommen verarmte und heruntergekommene Städte. Schnell wird deutlich: Die Menschen, die hier ihr Geld verdienen und durch ihre Arbeit die Grundlagen für unser heutiges Zusammenleben generieren, arbeiten unter schädlichen und prekären Verhältnissen, ohne an den exorbitanten Gewinnen ihrer Auftraggeber angemessen beteiligt zu werden.

Der Zynismus der "grünen Wende"

Diese Ungleichheit zwischen den Milliardeneinnahmen der Medienunternehmen und den Arbeitern, die die notwendigen Bedingungen für deren Erfolg schaffen, ist strukturell und verläuft von Nord nach Süd und von West nach Ost. Auf der einen Seite stehen die ökonomisch schwachen Länder (oft ehemalige Kolonien), denen nicht nur die Rohstoffe gestohlen, sondern deren Menschen und Landschaften ausgebeutet und zerstört werden. 

Auf der anderen Seite stehen die Tech-Unternehmen und westliche Regierungen, die allein von dieser Art des Wirtschaftens profitieren - und das durch den technologischen Fortschritt erlangte Wissen dazu nutzen, ihre Machtsphären weiter auszubauen. Ingo Dachwitz und Sven Hilbig beschreiben die gegenwärtige Lage deswegen auch als einen "digitalen Kolonialismus". "Auch wenn sich die Werkzeuge des Kolonialismus verändert haben", so die Autoren, "eines ist gleichgeblieben: Er beutet Mensch und Natur aus und kümmert sich nicht um die gesellschaftlichen Folgen vor Ort."

Wie der Theoretiker und Aktivist Godfredo Enes Pereira in der Münchner Ausstellung darlegt, bekommt diese Entwicklung in der Gegenwart eine besonders zynische Dimension. Dann nämlich, wenn sie – wie beim Abbau von Lithium – als Teil einer sogenannten "grünen Wende" dargestellt und legitimiert wird. Dabei wird argumentiert, dass die Lithiumgewinnung als notwendige Bedingung für die Produktion von Elektroautos Teil eines Transformationsprozesses weg von schmutzigen Verbrennern sei.

Eine Umweltzerstörung wird durch eine andere ersetzt

Doch die Massenproduktion als ethischen Ausweg zu vermarkten, erweist sich als kurzsichtig. Denn tatsächlich wird die eine Umweltzerstörung nur durch eine andere ersetzt. Will man den Raubbau an der Natur und die damit verbundene Bedrohung für die Menschen tatsächlich stoppen, so macht Pereira deutlich, muss man das Zusammenleben und die globale Vernetzung als solche überdenken und transformieren. 

Die Ausstellung "City in the Cloud. Data on the Ground" vermittelt einen tiefgründigen Einblick in die Geschichte globaler Kommunikation sowie ihrer gegenwärtigen Organisation und Produktion. Sie wirft ein Licht auf die Orte, die für gewöhnlich im Schatten der Öffentlichkeit bleiben, und legt die politischen, ökologischen und ökonomischen Ausmaße medialer und technologischer Entwicklung eindrucksvoll offen. Daten, so wird deutlich, sind Materialität. Als solche sind sie also Teil einer Wertschöpfungskette, die die Existenz von Natur und Menschen betrifft.