Porträt Jonathan Horowitz: Der diskrete Demokrat

 

 

Der Himmel über Köln ist weißgrau. Vom Rhein weht kalte Luft herüber. Der Blick fällt auf die neogotischen Türme des Doms und eine Reihe von Baustellen. Ein schüchterner Mann mit grauen Haaren, klassisch geschnittenem Gesicht und einer gefütterten Cordjacke steht auf einem Balkon des Museums Ludwig und unterhält sich mit dem kettenrauchenden Museumsdirektor Kasper König. Thema ist die Montur einer Solaranlage, die eine Videoinstallation des unter Jetlag leidenden Künstlers mit Strom versorgen soll.
Jonathan Horowitz hat beschlossen, dass seine Arbeit ihre Energie selbst erzeugen muss, nachdem er erfahren hat, das Museum sei das Gebäude mit dem höchs­ten Energieverbrauch der Stadt. Die Idee zur noch unbenannten Arbeit ist ihm beim Anblick des Kölner Doms gekommen. Es soll um eine Gegenüberstellung von Erderwärmung und christlicher Apokalypse gehen. Der Umweltaktivist Al Gore wird gegen den schauspielernden Fanatiker Mel Gibson ausgespielt werden, der an das baldige Ende der Welt glaubt. Unsere voyeuris­tische Lust an Katastrophenfilmen wird mit der tatsächlichen Umweltka­tastrophe kontrastiert.
Köln ist nur eine Reisestation des 42-jährigen New Yorkers. Denn Horowitz ist gerade dabei, zu einem der gefragtesten amerikanischen Gegenwartskünstler zu werden. Schon im vergangenen Jahr war er in Gruppenausstellungen in ganz Europa zu sehen, von London über Paris bis Kopenhagen. Ende Februar ist seine siebenmonatige Werkschau „And/Or“ im New Yorker P.S.1 angelaufen.
Dass Jonathan Horowitz in New York längst ein Star ist, würde man bei seinem zurückhaltenden Auftreten zunächst gar nicht vermuten. Das auffälligste Merkmal an Horowitz ist seine Art zu reden. Oft kommt er ins Stocken, manchmal muss er zwei, drei Anläufe nehmen, bis er etwas sagen kann. Das kompensiert er mit einer Direktheit, die wirkt, als hätte er zu einer nur ihm eigenen Ökonomie des Sprechens gefunden. Ohne etwas groß auszuschmücken, viel theoretisch auszuführen oder sich selbst inszenieren zu wollen, sagt er Dinge, die nachdenklich stimmen. Im vergangenen Herbst hatte er aus seiner Show „Obama ’08“ in der New Yorker Galerie Gavin Brown’s Enterprise ein kathartisches Fest für den neuen Präsidenten gemacht. Auf die Frage, ob Amerika nach der euphorischen Wahl überhaupt noch politische Kunst brauche, antwortet er: „O ja! Obama hat nicht die Macht, die Welt über Nacht in jeder Hinsicht zu verändern.“ Ganz so, als wollte er sagen: Die Kunst schon.
Eine ähnliche, zwischen unterschwelliger Ironie und rührendem Ernst changierende Direktheit zeichnet auch seine künstlerische Arbeit aus. Horowitz hat die Fähigkeit, in einer luziden Bildsprache komplexe Ideen zu umreißen und Analysen unserer Gegenwartskultur zu liefern. Das kann so einfach sein, wie zwei vergrößerte Bikini­fotos des von der amerikanischen Presse mal vergötterten, mal gehassten Teeniestars Lindsay Lohan nebeneinanderzuhängen: eines vor und eines nach ihrer Brustver­größerung („Lindsay“, 2006). Oder wie das „Cocaine Kate“-Titelblatt des britischen Boulevardblatts „Daily Mirror“, das Horowitz auf einen echten Spiegel druckte. Darauf kann man dann statt Kate Moss sein eigenes, klatschaffines Selbst betrachten oder wie das Model ein paar Lines ziehen („Daily Mirror“, 2006).
Eine der emblematischsten Arbeiten des Künstlers ist ein funktionstüchtiger Getränkeautomat, der sowohl mit dem Logo von Pepsi als auch mit dem von Coca-Cola wirbt. Rot und blau. Die beiden verfeindeten, den Weltmarkt beherrschenden Brausehersteller teilen nicht zufällig die Ikonografie der Demokraten und Republikaner in den USA. „In Amerika haben wir die beiden Parteien, die auf einen Zyniker so wirken, als seien sie kaum voneinander unterscheidbar“, erklärt Horowitz seine „Coke and/or Pepsi Machine“ (2007–2008). „Und man könnte sagen, dass es die einzig mögliche Form der Opposition wäre, gegen beide zu sein. Ich habe aber immer geglaubt, dass es wichtig ist, innerhalb des Systems zu arbeiten.“

Horowitz wurde 1966 in New York geboren. Die subkulturelle Revolution der späten 60er-Jahre und den Vietnamkrieg – die prägenden politischen Erfahrungen der Generation seiner Eltern – nahm er nur am Rande wahr. Als er vier war, zog seine Familie nach Minneapolis im Norden der USA. Schon mit 16 kehrte er alleine nach New York zurück, um seine Universitätsausbildung an der renommierten New School of Social Research zu beginnen. Mehrere Jahre Philosophie- und Filmstudium an der Wesleyan University in Connecticut und der New York University folgten. Seine Eltern engagierten sich lokal in der demokratischen Partei. Seine Mutter war eine engagierte Vegetarierin und sein Vater ein Gynäkologe, der auch Abtreibungen vornahm, wie Horowitz erzählt – in den Vereinigten Staaten damals wie heute ein nicht ungefährlicher Akt politischen Farbebekennens.
Als Künstler muss er nicht zwangsläufig mit dem Label „politisch“ versehen werden. Für Kasper König etwa haben seine Videos und Installationen „eine politische Grundhaltung“, aber vor allem sei Horowitz jemand, „der ausgesprochen sensibel und intelligent auf den Zeitgeist reagiert“. Allerdings ist nicht zu übersehen, wie stark seine Arbeit von einem linksliberalen Glauben an die amerikanische Demokratie geprägt, wie er typisch für seine Elterngeneration ist. Nur hat er ihr Engagement einem popkulturellen Update unterworfen.
Der künstlerische Durchbruch gelang Horowitz mit „The Body Song“ (1997), einer Arbeit, für die er Michael Jacksons Musikvideo „Earth Song“ als Vorlage verwendete. Darin rettet der Barde eine sich im ökologischen Kollaps befindende Welt quasi im Alleingang. Horowitz stellte die Logik des Videos auf den Kopf, indem er unter Zuhilfenahme von ein paar kleinen Schnitten das Band rückwärtslaufen ließ. Mit frappierend emotionalem Effekt neigt sich in seiner Version die Erde ihrem apokalyptischen Ende zu – beängstigend nah an der Realität.
Das Material für das Video hatte er seinem Arbeitgeber Columbia Records entwendet, berichtet der Künstler lachend, wo er für ein paar Tage im Monat als Cutter tätig war. Nach seinem „Body Song“ konnte er seinen Nebenjob getrost an den Nagel hängen. Galerien wie Green Naftali in New York, Sadie Coles HQ in London, Yvon Lambert in Paris und Barbara Weiss in Berlin begannen, ihm Einzelausstellungen zu widmen. Seine Arbeiten wurden in Sammlungen wie der von Ingvild Goetz, des Schweizer Migros Museums oder des Centre Pompidou aufgenommen.
Die Installationen und Videos von Horowitz bestehen zumeist aus Fotos, die er aus dem Internet heruntergeladen hat, oder Bildmaterial aus TV-Dokumentationen, Sitcoms, Musikvideos und Kinofilmen. Zusammengenommen ergeben sie eine subtil dramatisierte Form von Appropriation-Art. „Als ich anfing, Videokunst zu machen“, sagt er, „hatte ich den Eindruck, dass alles, was man sich vorstellen kann, schon einmal gefilmt wurde. Es wäre einfach verschwenderisch und unnötig gewesen, die Ereignisse noch einmal aufzunehmen. Ich dachte, es sei praktisch, das noch einmal zu benutzen, was schon existiert.“ Dabei entstand eine moralische Chronik der Ereignisse seiner Zeit, die alles andere als moralistisch wirkt.
„Horowitz zitiert, collagiert, montiert und manipuliert die Oberflächen seiner Medienvorlagen zu einer vielschichtigen Ablagerung von Erinnerung und Vorstellung“, sagt Klaus Biesenbach, der die Werkschau des Künstlers im P.S.1 kuratiert hat. „Seine jetzige Ausstellung beschreibt die zentralen populären Themen einer ganzen Generation.“ Eine Chronik, die die Form von Witzen annehmen kann, von trockenen Kommentaren oder elaborierten Essays. Auch vor Aktivismus schreckt Horowitz nicht zurück. Für seine eleganten „Three Rainbow Flags for Jasper in the Style of the Artist’s Boyfriend“ (2005) paraphrasierte er Jasper Johns’ Bild der amerikanischen Flagge mit Regenbogenpailletten im Stil seines Lebensgefährten. Gemeint ist nicht Robert Rauschenberg, der langjährige Partner von Johns, sondern Horowitz’ eigener Partner, der Popkünstler Rob Pruitt, mit dem er seit 1994 zusammenlebt und sich ein Haus in Montauk, an der Ostspitze von Long Island teilt. Ob in Johns’ Biografie oder im Privatleben des Künstlers: Das Persönliche ist immer auch das Politische.
Für seinen Werkkomplex „Go Vegan!“ (2002) ging Jonathan Horowitz ähnlich offensiv vor. In monatelanger Kleinarbeit lud er sich die attraktivsten Fotos von 200 Celebrity-Vegetariern aus dem Netz herunter und installierte herzerwärmende Frontalansichten von Hühnern, Schweinen und Rindern zusammen mit Schlachthausbildern. Er druck­te ein Zitat von Albert Einstein auf eine Kantinenwand im Kunsthaus Bern, in dem der Physiker darlegt, dass eine kollektive fleischlose Ernährung eine Grundvoraussetzung für das Überleben unseres Planeten sei. Ironisch glorifizierend platzierte er einen weißen Tofuwürfel auf einem Podest im White Cube der New Yorker Galerie Greene Naftali. „Vegetarische Ernährung“, sagt der Künstler, „gilt als dieses frivoles Thema. Eigentlich wird sie immer nur als das unernste politische Anliegen von Teenagern dargestellt. Dabei ist es in jeder Hinsicht ein sehr wichtiges politisches Thema. Von Ethikfragen bis zum Klimaschutz. Lange erschien es mir sinnlos oder unehrlich, kein Fleisch zu essen. Es gibt so viel Grausamkeit auf der Welt. Das Schlachten von Tieren schien wie ein kleines Übel. Aber wenn man schon den Impuls hat, etwas nicht zu tun, weil man überzeugt ist, dass es falsch ist, sollte man ihm folgen.“
Wie feinsinnig und bestimmt Horowitz das Spannungsfeld zwischen Pop und Politik auslotet, überrascht bei jeder seiner Arbeiten aufs Neue. Erst verführt er den Betrachter mit spiegelglatten Oberflächen. Zugleich gibt er ihm das Gefühl, vor einer Erklärung seiner Alltagskultur zu stehen, die haargenau ins Schwarze trifft, aber trotzdem ungreifbar, ambivalent bleibt. Er zeigt Verbindungen zwischen der Vermarktung von Elvis Presley als prototypischem Kriegshelden und den grauenhaft nekrophilen Fotos amerikanischer Soldaten im Irakkrieg auf („People Like War Movies“, 2007).
Ein Foto der heulenden Paris Hilton auf ihrer Fahrt ins Gefängnis kombiniert er mit der Aufnahme des vietnamesischen Mädchens Phan Thị Kim Phúc, das schreiend vor einem Napalmangriff flieht („Vietnam, Paris, Iraq“, 2007). Beide Bilder stammen vom südostasiatischen Fotoreporter Nick Út, der erkannt zu haben scheint, dass sich die Öffentlichkeit 35 Jahre nach seinem ikonischen Vietnambild lieber mit zusammenbrechenden Celebrities ablenkt, als sich mit Fotos aus dem Irak zu befassen.
Wenn man mit Horowitz-Fans spricht, sind diese meistens verblüfft, dass der Künstler so lange ein Geheimtipp geblieben ist. Die Galeristin Barbara Weiss vermutet, dass seine Medienarbeiten wegen des umfassenden Malereibooms der vergangenen Jahre nicht die weite Beachtung fanden, die sie verdienen. Und Klaus Biesenbach erkennt in Horowitz gar einen artist’s artist – einen Künstler, der vor allem von anderen Künstlern und einigen Insidern wahrgenommen wird. In seiner Generation von New Yorker Künstlern gelte er als einer der wichtigsten Denker.
Elizabeth Peyton, die Horowitz mehrere Male porträtiert und einige seiner Foto­arbeiten als Inspiration für ihre Bilder benutzt hat – darunter das berühmte Porträt des jungen Al Gore –, sieht das ähnlich. „Mich beeindruckt“, sagt sie, „wie ernsthaft Jonathan die Welt verändern möchte, wie schlau er ist und wie zutiefst emotional und schön seine Arbeiten sind. Das ist eine so ungewöhnliche Kombination für ‚politische‘ Kunst. Vielleicht, weil Menschen so in ihrer Wut verfangen sind, dass sie vergessen haben zu lieben.“
Treffender könnte man die Kunst von
Jonathan Horowitz kaum beschreiben. Sein Projekt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, geht er mit methodischer Überzeugungskraft und missionarischem Eifer an: Schritt für Schritt und Zuschauer für Zuschauer.

 

Daniel Schreiber

Eine Installation von Jonathan Horowitz ist vom 24. April bis zum 23. August im Kölner Museum Ludwig zu sehen. Die Retrospektive „And/Or“ läuft bis 14. September im P.S.1 in New York. Ein Katalog ist gerade bei JRP Ringier erschienen. 192 Seiten, 40 Euro