Ist Berlin uncool? Das wird in bestimmten Milieus der Hauptstadt gerade wieder heißer diskutiert als die Frage, wo es das beste Sauerteigbrot gibt. Es sind vor allem die in den vergangenen zehn, 20 Jahren aus dem Ausland zugereisten Kulturschaffenden, die sogenannten "Expats", die derzeit in die uralte Tradition des Klagens über Berlin einstimmen. Vor allem im Kunstbetrieb haben Migranten in Berlin Großes geleistet, ohne ihre Mithilfe wäre Berlin nicht viele Jahre lang das Zentrum neuen Kunstschaffens in Europa, wenn nicht gar auf der Welt gewesen.
Das scheint vorbei zu sein. Während der gerade zu Ende gegangenen Berlin Art Week war auf den Ausstellungseröffnungen und den Empfängen immer wieder vom Abhauen die Rede. Das Programm für die bezahlbare Anmietung von Ateliers soll im kommenden Doppelhaushalt weiter heruntergefahren werden, hört man. Für den Preis der Nationalgalerie werden in Zukunft nicht mehr vier junge Künstlerinnen und Künstler zur Ausstellung eingeladen, wurde am Freitag bekannt, sondern nur noch ein in Berlin bereits etablierter Künstler mit "internationaler Strahlkraft" ausgewählt.
Das Kunstmagazin "Spike" erklärte Berlin gerade für "post-cool" und lud am Sonntagabend in den großen, ausverkauften Kinosaal der Julia Stoschek Foundation zu einer Podiumsdiskussion über eben dieses Thema. Das Gespräch wurde selbstverständlich auf Englisch geführt. Und verlief anders als erwartet.
Noch immer Brachen und Lücken für Neues
"Fine!", freute sich nämlich Matthias Lilienthal, geborener Berliner und designierter Intendant der Berliner Volksbühne, über die neue Uncoolness: "Ich sehe das als Chance!" Selbstverständlich habe er eine gewisse Stagnation in den vergangenen Jahren wahrgenommen, Mitte ähnle inzwischen München, wo Lilienthal mehrere Jahre arbeitete. Und die finanzielle Situation der öffentlichen Kulturhäuser in der Stadt sei tatsächlich "deep shit". Aber wenn die aufgeschreckten Kulturinstitutionen jetzt endlich mal zusammenarbeiten würden, die Berliner Unternehmen und die Reichen schon im eigenen Interesse deutlich spendabler wären, dann könne es im post-coolen Berlin vielleicht einen neuen Aufschwung geben.
Axel Wieder, Direktor der Berlin Biennale, verglich die Gegend um den Hackeschen Markt nicht mit München, sondern gleich mit den langweiligeren Straßenzügen von Pforzheim. Doch er wollte ebenfalls nicht zu viel klagen, betonte vielmehr, dass es noch immer Brachen in der Stadt gebe, Lücken für Neues, Ruinen, die über 30 Jahre nach der Wende noch nicht aufgeräumt worden seien. Auch die Künstlerin Henrike Naumann, die den deutschen Pavillon auf der Venedig Biennale im kommenden Jahr bespielen wird, verweigerte das Berlin-Bashing, berichtete stattdessen davon, wie sie hier ganz unabhängig von kommerziellen Galerien arbeiten könne.
So musste der Moderator der Diskussion, Pablo Larios, Kunstkritiker des New Yorker Magazins "Artforum", die Aufgabe der Kritik übernehmen. Erst vor wenigen Tagen hat dieser einen Verriss der Berlin Biennale geliefert und dabei das Kulturleben der Stadt als in einer tiefen Krise steckend beschrieben. Berlin sei nicht nur teurer geworden und habe eine kaputte Infrastruktur, die Stadt sei überdies fremdenfeindlich. Die Kulturinstitutionen würden sich nicht wirklich für die Zugereisten interessieren. Die hiesige Bürokratie sei für Menschen, die des Deutschen nicht mächtig sind, quasi undurchdringbar. Und dann sei da der repressive Umgang mit den Protesten gegen den Gaza-Krieg. Stimmen aus dem Publikum unterstützten Larios' Sicht, Zensur wurde beklagt, es gab Applaus auf der einen Seite, entnervtes Stöhnen von der anderen. In den USA und anderswo sei die Kunstfreiheit ja wohl derzeit sehr viel stärker bedroht, zischte es.
Auseinanderstrebende Erwartungen
Axel Wieder versuchte vorsichtig zu erklären, dass es offensichtlich unterschiedliche Wahrnehmungen der gegenwärtigen Debatten gebe, auseinanderstrebende Erwartungen an das Handeln von Ausstellungsmacherinnen und Theaterintendanten. Vielleicht würde es den Zugereisten tatsächlich helfen, sich etwas mehr auf die hiesigen historischen Diskurse einzulassen und, sorry, auch mal die Feuilletons zu lesen. Es gibt ja Übersetzungsprogramme. Und womöglich müssten die Berliner Kulturpolitiker öfter mal in den Buchhandlungen und Ausstellungsräumen der Migrantinnen vorbeischauen, um sich deren Sicht anzuhören.
Auch wenn die Kritik der Eingewanderten angesichts der Problemlagen hier und anderswo nicht nur auf den aus Spandau stammenden Bürgermeister teilweise gaga wirken muss: Berlin wird etwas fehlen, wenn die Hundertschaften der Künstlerinnen und Musiker, Schriftstellerinnen und Filmemacher weiterziehen nach Lissabon oder Wien oder Bogotá. Um sich die steigenden Mieten zu finanzieren, haben die hier im Nebenjob nämlich so manches geschaffen, was zuvor fehlte. Das beste Sauerteigbrot der Stadt zum Beispiel.