WM-Flitzer

Pussy grabbed back

Foto: dpa
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Eine Sicherheitskraft (r) versucht zwei Flitzer auf dem Spielfeld zu stoppen

Pussy Riots Störung des WM-Finales war eine mustergültige Intervention: Der pointierte Protest schreibt sich von selbst weiter

"Der Polizist kommt ins Spiel" nannte die Aktivistengruppe Pussy Riot ihre Aktion im WM-Finale gestern Abend. Vier Mitgliedern, drei Frauen und einem Mann, gelang es, am Anfang der zweiten Halbzeit in Polizeiuniformen aufs Spielfeld zu laufen, bis sie sich von Ordnern ohne Widerstand zu leisten vom Platz tragen ließen. Während Flitzer bei Sportveranstaltungen meist wenig zu sagen und wenig anhaben, hatte Pussy Riot mit der Aktion eine Botschaft, die sich schon durch die Wahl der Kleidung ausdrückte.

"Der irdische Polizist, der jeden Tag in das Spiel eingreift und keine Regeln befolgt, zerstört unsere Welt", erklärt die Gruppe in einem Video, das kurz danach veröffentlicht wurde.

In der Unterscheidung zwischen dem "himmlischen Polizisten" und dem "irdischen Polizisten" bezieht sich Pussy Riot auf ein Werk des Dichters Dmitri Alexandrowitsch Prigow, der einen idealen Polizisten entwirft, der die Werte einer friedlichen und menschenfreundlichen Gesellschaft verkörpert. "Der Himmlische Polizist beschützt schlafende Babys, während der Irdische Polizist politische Gefangene nimmt und Menschen inhaftiert, die Social-Media-Posts sharen oder liken."

Mit der kurzen pointierten Aktion erinnerte die Gruppe während der für Russlands Image glänzend laufenden WM auf deren Höhepunkt daran, dass sie in einem Land stattfindet, in dem man für das Teilen, Kommentieren oder Liken von kritischen Social-Media-Inhalten ins Gefängnis kommen kann. Drei der Pussy-Riot-Gründerinnen saßen teilweise mehrjährige Haftstrafen ab für das "Punk-Gebet", einer Performance auf dem Altar einer Moskauer Kirche.

"Der Polizist kommt ins Spiel" ist nicht nur ein Wortspiel, sondern die Beschreibung der alltäglichen, willkürlichen Bedingungen in Russland. "Er kann jederzeit in Dein Leben einbrechen", sagen die Mitglieder in ihrem Video.

In Polizeiuniform aufs Spielfeld zu rennen, verkörperte das für jeden Zuschauer nachvollziehbar. Pussy Riot machten das Unvorhersehbare, Bestürzende einer staatlichen Allmacht, die über allen Regeln steht, erlebbar. In ihrer anschließenden Stellungnahme verknüpfen sie geschickt die staatliche Selbstdarstellung während der WM von Russland als weltoffene, freundliche Nation mit ihren eigenen Idealen.  "Die WM ist großartig", sagen sie in ihrem Video. "Sie hat gezeigt, wie die Polizisten in Russland sein können."

Der Auftritt war darum viel wirkungsvoller als jede direkte Kritik an Wladimir Putin, der selbst im Stadion saß. Das Abklatschen einer Aktivistin mit einem der größten WM-Sympathieträger, Kylian Mbappé, lieferte außerdem eins der besten Bilder dieser WM und war in den wenigen Sekunden, die zur Verfügung standen, auch eine strategische Meisterleistung.

Als Performance betrachtet war der Einsatz ein Geniestreich. Sie schreibt sich selbst weiter, denn die Aktivisten wurden festgenommen und sind bislang noch immer in Polizeigewahrsam. Wann eine gerichtliche Anhörung stattfinden soll, steht noch nicht fest. Die im Kunstkontext entstandene Gruppe teilte auf Facebook mit, dass die Behörden ihrem Anwalt den Zugang zu den Aktivisten verweigerten. Es wird offenbar geprüft, ob ein Strafverfahren eingeleitet werden kann. Es gibt zunächst nur eine Stellungnahme über zu erwartende Bußgelder, doch im mutmaßlichen Mitschnitt des Verhörs von zwei an der Aktion Beteiligten spricht die Polizei für sich. Als die Aktivisten angeben, die Uniformen hätten sie gemietet, äußert der bei den Aufnahmen nicht sichtbarer Fragesteller sein Bedauern darüber, dass nicht mehr das Jahr 37 sei. Stalins Zeit, die Ära der Massenfestnahmen, Deportationen und Hinrichtungen.

UPDATE: Ein Moskauer Gericht hat drei der Flitzer zu 15 Tagen Arrest verurteilt