"Dau"-Projekt in Paris

Rabbiner und Sexologen als Beistand

Statt Mauer nun Theaterlogen und ein Museum: Das in Berlin gescheiterte Kunstevent "Dau" startet in Paris. Es führt zurück in die Stalin-Ära

Sadomaso-Peitschen an der Wand, in den Regalen Pornovideos und in der Ecke eine aufblasbare Puppe: "Sex-Kino" heißt der Raum, der zu dem Riesenprojekt "Dau" des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky gehört. Auch die von Silberfolien verdeckten Kabinen gehören dazu, in denen Rabbiner, Priester und Sexologen den Besuchern Beistand auf die Zeitreise zurück in die Sowjetunion der Jahre 1938 bis 1968 leisten sollen.

"Dau" ist der Spitzname des russischen Physik-Nobelpreisträger Lew Landau (1908–1968), mit dem das Projekt vor mehr als zehn Jahren seinen Ursprung nahm. Ursprünglich wollte Khrzhanovsky einen klassischen Film über Landau drehen, doch dann entdeckte er hinter der Person nicht nur einen großen Forscher, sondern einen Mann, der auch privat extrem gelebt hat, wie Martine d'Anglejan-Chatillon, die "Dau"-Produktionsleiterin, am Mittwoch bei der Presse-Vorstellung in Paris sagte.   

Wie extrem der Magnetismus-Spezialist Landau war, sollen die 13 Langfilme zeigen, die Khrzhanovsky aus rund 700 Stunden-Material gedreht hat. Dabei hat der 43-Jährige zwischen 2009 und 2011 rund 400 Menschen in einer Rekonstruktion des streng geheimen "Instituts für Physikalische Probleme der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften" in der Ukraine zusammenleben lassen. Gefilmt hat er sie Tag und Nacht.

In Berlin war das Riesenprojekt, an dem Khrzhanovsky mehr als zehn Jahre gearbeitet hat, an fehlenden Genehmigungen gescheitert. In der deutschen Metropole wollte der Regisseur auch einen 800 Meter langen originalgetreuen Nachbau der Mauer. In Paris findet "Dau" neben dem Centre Pompidou in den städtischen Theaterhäusern Théâtre du Châtelet und Théâtre de la Ville statt. Beide liegen sich am zentralen Platz Châtelet gegenüber und werden derzeit renoviert.

Tabus schien es keine gegeben zu haben. Denn von Sexszenen, Misshandlungen, brutaler Gewalt bis zur Macht der Ekstase ist in den 13 Filmen alles dabei. Landau sei ein Mensch gewesen, der in allen Bereichen seine Grenze gesucht habe, auch im spirituellen, erklärte die Produktionschefin. Deshalb seien bei dem Projekt auch Rabbiner, Schamanen und Priester dabei. Der Filmemacher selbst, Sohn des russischen Regisseurs Andrei Khrzhanovsky, blieb während der Präsentation unsichtbar.

Die Reise führt konkret erst einmal durch Logen und Büros der beiden städtischen Theaterhäuser, die im Dekor der Sowjetunion gestaltet sind: rot gestrichene Wände, Stalinporträts, sowjetische Pässe, die auf Arbeitstischen liegen, und Gefängnisbetten.

Im Centre Pompidou wird die Rekonstruktion des Appartements eines Wissenschaftlers zur Sowjetzeit zu sehen sein, denn bei "Dau" geht es viel um Experimente. Nicht nur wissenschaftlicher Art. Wie die Produktionschefin erklärte, will Khrzhanovsky mit dem Projekt die Besucher die Grenzen der Freiheit, der Emotionen und der Verantwortung erleben lassen.

An dem Projekt nehmen zahlreiche Künstler mit Performances teil, darunter Brian Eno, britischer Musiker und Klangkünstler. Er sei vor rund eineinhalb Jahren in "Dau" eingestiegen, sagte der 70-Jährige am Mittwoch. Dabei ginge es ihm darum, eine Musik zu komponieren, die sich mit dem Thema Raum und Klang auseinandersetze. "Dau" sei das verrückteste und größte Projekt, das ihm je untergekommen sei. Auch andere Künstler und Kulturschaffende zeigten sich von dem Projekt begeistert. Zu den Unterstützern gehören US-Regisseur Peter Sellars und Performance-Künstlerin Marina Abramović.