Man hatte es sich zwar nicht extra vorgenommen, aber weinen wollte man eigentlich nicht angesichts der Neun-Kanal-Videoinstallation des isländischen Künstlers. Man wusste wohl, dass "The Visitors" vom leitenden Kritiker des "Guardian" zum "besten Kunstwerk des 21. Jahrhunderts" gekürt wurde, doch in den ersten Minuten dieses über eine Stunde dauernden Spektakels ist man durchaus auch abgestoßen von dem Pathos und der offensiven Romantik, die das genau richtig abgewetzte Haus in Upstate New York verströmt, wie auch von der verknarzten Hippie-Ästhetik, die fast alle der neun Musiker performen, ganz besonders Kjartansson selbst, mit Ukulele in der Badewanne, und die isländischen Schwestern der Band Múm, mit ihrer ausgestellten Versunken- und Versponnenheit.
Kjartanssons Arbeiten halten sich stets durch eine eigenartige Mischung aus dem Seriellen, dem Romantischen und der scheinbar endlosen Dauer am Laufen. Genauso funktioniert es auch hier: Die befreundeten Musiker sitzen einzeln in Zimmern, spielen Instrumente, singen und sind dabei über Kopfhörer verbunden, spielen also live miteinander, singen immer wieder dasselbe, dazu ein Chor draußen auf der Veranda.
Irgendwann zündet ein Großväterchen eine antike Kanone, Nebelrauch zieht durch die in der Abenddämmerung feucht daliegende Landschaft der USA. Und man selbst bewegt sich durch den dunklen Museumsraum und hört und geht und guckt und schließt die Augen, und manchmal ist fast schon Stille. Doch dann beginnen sie wieder mit der Vertonung dieses ultrapoetischen Gedichts von Kjartanssons Exfrau Ásdís Sif Gunnarsdóttir, und man kann wirklich nicht anders, ganz weich wird es im Herzen, in der Seele, ob der Tatsache, ein Mensch zu sein. Dass es Artgenossen gibt, dass viele Dinge ganz furchtbar traurig sind und manche sehr, sehr schön.
Das, was immerfort am seidenen Faden hängt
All das liegt irgendwo in uns vergraben, und selten bekommt Kunst es hin, es so breit und klar an die Oberfläche zu spülen: die einzigartige Euphorie der Existenz, Heiligkeit, Gemeinschaft, Schönheit, viele Worte gibt es für das, was immerfort am seidenen Faden hängt.
Man müsste einen langen Aufsatz schreiben, um es genau zu erklären, aber dass diese Arbeit einen so trifft, hat wohl mit der Idee des Kinos und mit Gospelmusik zu tun und damit, dass man hier eine sehr elementare Erfahrung durch seine eigene Bewegung im Raum mitsteuert, indem man entweder mehr Klavier, Gitarre oder Chor hört.
"The Visitors" kehrt, nachdem es Menschen auf der ganzen Welt zu Tränen gerührt hat, zurück ins Migros Museum, für das dieses Wunderwerk vor über zehn Jahren produziert wurde. Es ist hervorragend aufgehoben in der aktuellen Ausstellungsreihe mit dem Namen "Acts of Friendship".