Ramponiert und ungeniert

Mindestens fünf Werke, vielleicht 30, vielleicht mehr: gefälscht. Einige davon für Millionenpreise versteigert; Auktionshäuser und Fachleute, die nicht genau genug hingeschaut haben; drei Verhaftete, darunter der mutmaßliche Fälscher – und eine Branche in heller Aufregung: Die Fakten zu den Fälschungen aus einer „Sammlung Jägers“, die es nie gegeben hat, sind bekannt.

Was bislang kaum diskutiert wird: Welche Schlüsse zieht der Markt aus dem Desaster? Gelten die hergebrachten Grundsätze eines verlässlichen Handels noch? Was erfordert die Zukunft? Der Betrugsskandal trifft nicht nur das Auktionshaus Lempertz in Köln, sondern die Branche insgesamt. Wer am Ende schuldig gesprochen wird, ist dabei nicht unbedingt die wichtigste Frage. Es geht ja nicht nur um eine einzelne angebliche „Sammlung Jägers“. Tatsächlich handelt es sich hier um zwei Provenienzen, derer sich die Fälscherbande bedient hat: zum einen die „Sammlung Jägers“, zum anderen die „Sammlung Knops“. Nach Angaben der Ermittler haben sich mittlerweile etwa 30 Gemälde aufspüren oder nachweisen lassen, die höchstwahrscheinlich aus diesen beiden Quellen stammen. Zusätzlich zu den drei verhafteten Personen sind zwei weitere noch auf freiem Fuß – wegen angeblich fehlender Verdunklungsgefahr.

Aus juristischer Sicht wird es vor allem, da sind sich nicht nur die Experten einig, um die Klärung der zu beachtenden Sorgfaltspfl ichten gehen. Seit den berühmten Jawlensky- und Bodenseeauktion-Entscheidungen des Bundesgerichtshofs von 1975 und 1980 sowie der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zu Carl Schuch 1994 ist die Linie gezogen: Ein Auktionator haftet allein in den Fällen, in denen er seine Pfl ichten zur sorgfältigen Überprüfung der Ware verletzt hat. Allerdings konnte der Versteigerer sich bislang zumeist mit Billigung der Gerichte in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen auf grobe Verletzungen seiner Sorgfaltspfl icht beschränken.

Hatte der Verkäufer zudem eine Expertise eines anerkannten Sachverständigen eingeholt, war er ohnehin aus dem Schneider. Das galt nur nicht in den Fällen, in denen der Händler oder Auktionator sich die Ergebnisse der Expertise explizit zu eigen gemacht hatte. In solchen Fällen gibt er zu erkennen, dass er auch persönlich für diese Ergebnisse haften will. Seit einigen Jahren aber lassen die Gerichte die Haftung bereits bei einfacher Fahrlässigkeit eingreifen – Folge einer Tendenz auch in anderen Rechtsbereichen, den Verbraucherschutz insgesamt zu stärken und der Verantwortung des Einzelnen weniger Gewicht einzuräumen.

Wo konkret eine Sorgfaltspfl ichtverletzung eingetreten ist, muss – entgegen der landläufi gen Meinung – nicht nur mit Blick auf die Versteigerer (und zwar auf alle großen) geklärt werden, sondern auch, indem man zahlreiche Händler sowie Experten im In- und Ausland berücksichtigt. Die Kunstmärkte sind derart miteinander verwoben, dass es einen Schuldigen in dieser Angelegenheit nicht geben kann. Das Wissen eines Einzelnen setzt sich aus den Teilerkenntnissen zahlreicher weiterer, nicht selten über einen längeren Zeitraum zusammen.

Womit wir bei einem zweiten wichtigen Punkt sind: Natürlich drehen und wenden sich zahlreiche Experten, die bislang – teils schriftlich, teils mündlich – für die Echtheit der betreffenden Gemälde eingetreten sind. Nicht zuletzt wohl auch, weil in diesen Fällen der Ruf beschädigt werden könnte. Die Branche weiß: Auch anerkannte Experten machen Fehler. Gravierend im aktuellen Fall scheinen allerdings mögliche Irrtümer des Max-Ernst-Kenners Werner Spies gewesen zu sein, der nachweislich sechs Gemälde aus der ominösen Quelle bescheinigt hat – er soll sie sich, wie zu erfahren war, nicht von der Rückseite angesehen haben. Spies betont freilich, die betreffenden Werke seien meisterlich gearbeitet.

Nun wird dem französischen Beispiel folgend auch in Deutschland gefordert, eine berufl iche Haftpfl ichtversicherung für Experten einzuführen, die die möglichen, aus Expertisen erwachsenden Schadensersatzansprüche abdeckt. Ob die Idee trägt, ist allerdings zweifelhaft. Man muss nämlich grundlegend unterscheiden zwischen einem auf objektiv nachprüfbaren Kriterien beruhenden, naturwissenschaftlichen Gutachten – und einer kunsthistorischen Expertise, die ohne subjektiven Eindruck gar nicht entstehen kann. Eine Haftung kann aber nur für fehlerhafte objektive Fakten erfolgen – subjektive Meinungen bleiben außen vor.

Es gilt aber auch: Wer seinen Pfl ichten zur Verifi zierung der angebotenen Ware genügen will, muss alle zu Gebote stehenden Mittel ergreifen. Dabei ist eine naturwissenschaftliche Untersuchung allein der Spitzenstücke praktisch jedoch kaum durchführbar. Auch wenn die Aussage des Doerner Institutes an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen aufgrund dessen hoher fachlicher Qualität letztlich Grundlage des Zweifels an der Echtheit von Heinrich Campendonks „Rotem Bild mit Pferden“ war – letztlich verfügen weder das Doerner Institut noch das Rathgen-Forschungslabor in Berlin über die Kapazitäten, solche Untersuchungen für den Kunsthandel fl ächendeckend anzubieten. Man muss dort jetzt schon ein Dreivierteljahr auf entsprechende Untersuchungsergebnisse warten. So lange kann der Markt natürlich nicht warten. Diese Institute sind außerdem Museumsdienstleister; dem immer rasanteren und teureren Kunsthandel können und wollen sie kaum dienen.

Überdies: Naturwissenschaftliche Untersuchungen bedeuten immer einen Eingriff in das jeweilige Bild – rufen also auch minimale Schäden hervor, die sich natürlich wertmindernd auswirken können. Entsprechende Erfahrungen gibt es bereits auf dem Porzellan- und Keramiksektor.

Hauptproblem der Branche ist dennoch, dass sich zu wenig derartige Institute dem Handel öffnen. Sehr renommiert sind das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft (SIK ISEA) in Zürich oder das KIK/ IRPA, das Königliche Institut für kulturelles Erbe in Brüssel. Vielleicht bemüht sich der Handel ja, zum Beispiel in Fachhochschulen für Restaurierung eigene Institute zu bilden und zu finanzieren.

Anderer Vorschlag: Warum beschäftigt der Markt nicht Privatdetektive? Sie könnten Provenienzen klären, wie in Restitutionsfällen schon geschehen –, das könnte allerdings ebenfalls dauern. Auf jeden Fall kommt auf die Provenienzforscher im Kunsthandel eine größere Bedeutung zu, wenngleich es bei vielen Bildern überhaupt keine Provenienz gibt – was sie im Übrigen nicht unbedingt schlechter macht. Interessant wäre auch die Frage, ob auch künstlerische Nachlässe, so sie denn Folgerecht für veräußerte Werke vereinnahmen, für diese Einnahmen nicht einen eigenen Beitrag hierzu leisten müssen.

Die Erfahrung zeitigt insgesamt ein eher ernüchterndes Resultat: Der Kunsthandel wird Fälschungen nie ganz vermeiden können. Sie kommen periodisch immer wieder vor. In den vergangenen Jahren gelangen aufgrund der steigenden Preise etwa vermehrt Fälschungen aus dem osteuropäischen Raum auf den Markt. Selbst der Kauf oder Filter durch eine Vorinstanz wie beispielsweise ein anderes Auktionshaus, einen versierten Händler oder Experten beziehungsweise Gutachter ist keine Garantie für die Echtheit. Auch der Käufer des Campendonk- Gemäldes hat sich durch einen professionellen Kunstberater führen lassen.

Die Ermittlungen der Polizei und Staatsanwaltschaft sind in diesem Fall noch lange nicht abgeschlossen. Nach Einsicht der aktuellen Ermittlungsergebnisse sollte man aber festhalten, dass der dem beteiligten Auktionshaus Lempertz unterstellte Hauptvorwurf, es hätten keine schriftlichen Unterlagen über die vor den Auktionen eingeholten Expertisen vorgelegen, nach den vorliegenden Dokumenten nicht zuzutreffen scheint. Auch die Expertin und Erstellerin des Pechstein- Werkverzeichnisses selbst dürfte – glaubt man den Ergebnissen des polizeilichen Ermittlungsprotokolls – bis vor einem halben Jahr wohl selbst noch von der Echtheit zumindest des Gemäldes „Liegender Akt mit Katze“ von Max Pechstein ausgegangen sein. Inwieweit aber hier Sorgfaltspfl ichten verletzt wurden, bleibt eine offene Frage.

„Alle Menschen sind klug, die einen vorher, die anderen nachher.“ Hat das Sprichwort nicht recht?

Florian Mercker arbeitet als Rechtsanwalt in München und ist Experte für Kunst- und Stiftungsrecht. Nächsten Monat lesen Sie in Monopol wieder seine Kolumne "Merckers Gesetz"