Tobias Rehberger in Frankfurt

Raumfüllende Irritationen

Am erstaunlichsten ist, wie lange ein Werk neu aussehen kann, so richtig frisch und gerade jetzt genau richtig. Tobias Rehberger macht seit zwanzig Jahren Kunst, und auch die ältesten Arbeiten in der großen Einzelausstellung in der Frankfurter Kunsthalle Schirn sind so: frisch und genau richtig. Das ist auch deshalb interessant zu erwähnen, weil Rehbergers Karriere exakt mit jener Zeit zusammenfällt, in der Gegenwartskunst von einer kleinen, hochspezialisierten Nische zu einem Massenphänomen wurde und auch affirmative, kreischbunte Ranschmeiße hervorbrachte. Kunst, der man ihre ästhteische Kurzlebigkeit vielleicht jeweils nicht gleich angesehen hatte, deren Entstehungszeit heute aber offensichtlich ist. Nicht viel davon hat überlebt.

Bei der Rezeption von Rehbergers Kunst stand vielleicht genau diese Befürchtung insgeheim im Raum: dass seine Skulpturen möglicherweise ein bisschen zu zeitgeistig seien, ein wenig zu poppig und hedonistisch, um die ganz große Kunstgeschichte zu schreiben. Heute, bei der Eröffnung von „Home and away and outside“, zeigt sich, dass nichts davon stimmt. Rehbergers Oeuvre ist seit zwei Jahrzehnten unverändert aktuell, und das schaffen nur ganz Wenige.

Beharrlich befragt der Professor und Prorektor der Frankfurter Städelschule Kunst nach ihrer Funktion, und das ist natürlich überhaupt nicht Frankfurter Schule, das ist Anti-Adorno, vielleicht sogar das einzige Tabu, das in der bildenden Kunst überhaupt gilt: dass sie nicht offiziell nützlich sein darf (es sei denn, sie ist ausdrücklich irgendwie sozial apostrophiert).

Rehberger macht zum Beispiel Skulpturen, die zugleich Wanduhren sind, genauer, ausgerechnet Kuckucksuhren, denn der 1966 in Süddeutschland geborene Künstler weiß auch einen guten Witz zu schätzen, und angenehmerweise bleiben seine Pointen nie innerhalb der Kunst selbst stecken. Als „osmotisch“ bezeichnet Marcus Steinweg in einem Katalogbeitrag das Verhältnis von Kunst zu Nichtkunst in Rehbergers Werk, was besonders wegen der vitalen, pulsierenden Eigenschaften von Rehbergers Kunst zutrifft. Pulsierend wie eine Lautsprechermembran, die einen charakteristischen Michael-Jackson-Schrei ausstößt, um die Uhrzeit anzuzeigen.

Totale Überwältigung

Der erste Raum in der Schirn ist eine totale Überwältigung: Boden und Wände sind in optisch höchst verwirrendem Schwarz-Weiß-Muster gehalten, die Wände und auch die im Raum stehenden Skulpturen sind teilweise verspiegelt, alles greift ineinander, changiert zwischen zwei- und dreidimensional, und wer nicht aufpasst, stolpert über die ebenfalls gemusterten Sitzbänke. Hier wird auch das Ausstellen selbst ausgestellt, aber auf unterhaltsamste Weise: Die Skulpturen haben Fehler, eine hat ein Leck und tropft den Boden voll, eine andere verströmt Wasserdampf aus einer Öffnung, manches sieht unzureichend mit Alufolie verkleidet aus, Gaffer-Tape soll Sprünge im Spiegel verdecken oder auch nicht.

Der Anblick von Fehlbohrungen in einem kleinen Pressspan-Brett verursacht Stiche in jedem Heimwerker-Herz, Bildelemente tauchen auf oder verschwinden, je nach Standpunkt, und zusammengeknülltes neonfarbenes Klebeband am Boden gehört genauso zum Gesamtbild wie der pünktlich alle Viertelstunde sich meldende Kuckuck, der natürlich keiner ist, sondern eine rote Kugel, die aus einem bunten Rondo hervorkommt. Hier schimmert ein bisschen Martin Kippenberger durch, bei dem Rehberger in Frankfurt studiert hat, oder auch Georg Herold, wenngleich Rehberger nicht so 80er-Jahre-angriffslustig ist, aber lustig eben schon.

In der Sache allerdings, in seinen Überlegungen zu Kunst und Funtkion, ist der Künstler ernsthaft: Die Idee ist hier weniger, Kunst durch den Kakao zu ziehen, als Objekte zu schaffen, die etwas bieten, aber auch etwas verlangen. Vom museumskonservatorischen Standpunkt aus ist so eine tropfende oder dampfende Skulptur jedenfalls schon mal ziemlich anspruchsvoll.

Andere Objekte wiederum verlangen frische Schnittblumen, zum Beispiel zehn rosafarbene Rosen, langstielig. Bereits 1994 fing Rehberger an, befreundete Künstler zu porträtieren, und zwar als Vase. Er fragte, ohne sein Vorhaben zu offenbaren, nach deren Lieblingsblumen und erschuf dann die entsprechenden zur Person passenden Gefäße. Wolfgang Tillmans zum Beispiel ist eine elegant-protestantisch aussehnde, orange glasierte Tonvase mit den besagten Rosen. 1998 waren das Ensemble auf der ersten Berlin-Biennale zu sehen, und es ist einer jener schönen Rehberger-Momente, sie im zweiten Raum der Ausstellung wiederzusehen und festzustellen, dass diese spezielle ästhetische Auffassung des Künstlers, aber auch der soziale, vernetzende Aspekt immer noch so dermaßen zu heute passt.

„Tobi or not Tobi?“ - eine rhetorische Frage

Das gilt für die gesamte Schau, die keine Retrospektive sein kann, aber die den Rehberger-Kosmos exemplarisch abbildet und gleichzeitig überhaupt nicht didaktisch ist. Der Ausstellungsparcours führt über Stufen und Rampen auf verschiedenen Ebenen, in denen Sockel und Gehäuse verschmelzen. Die neueste Arbeit hängt in drei Metern Höhe in der Rotunde im Außenraum der Schirn, eine Skulptur aus Stahl und Leuchtmitteln, wie ein dekonstruiertes Werbeschild, aufgeklappt und leicht defekt. Sie wirft einen Schatten auf eine weiße Fläche, der das Wort „Regret“ ergibt.

Wenn schon bereuen, dann cool gestaltet wie ein Logo. „Tobi or not Tobi“ heißt eine der Schirn-Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung, und das ist eine rhetorische Frage.

„Tobias Rehberger: Home and Away and Outside“, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, 21. Februar bis 11. Mai, Eröffnung am 20. Februar um 18.30 Uhr