Redekünstler Martin Kippenberger und Liam Gillick in Hörbüchern der Brigade Commerz

„Kippenberger, das, was du so erzählst, das solltest du malen“, riet Meuser einmal seinem Kollegen. Sankt Martin, das Redewunder: wie er Leute unterhalten und verunsichern konnte, vermeintlich den Faden verlor, um über viele Ecken, später am Abend, ihn nur fester zu knüpfen, wie er Anekdoten vortrug und sie in überraschende Zusammenhänge stellte. Ließen sich solche Fähigkeiten wirklich künstlerisch umsetzen?
Martin Kippenberger traute sich und malte Witze und Widersprüche mit ins Bild: „Dann hab’ ich richtig losgelegt, das war ein klares Argument“, berichtet er in einem Interview, das neben anderen vor Kurzem auf einer CD erschienen ist. Ein neu gegründeter Kleinstverlag mit dem kämpferischen Namen Brigade Commerz hat es sich zur Aufgabe gemacht, Tondokumente von Künstlern herauszugeben. Er veröffentlicht eigens geführte sowie in Archiven gefundene Gespräche, Vorträge und Monologe. Neben den Kippenberger-Aufnahmen erschienen bereits Audiobücher mit Material von Otto Dix und Liam Gillick, eine Platte mit Jake und Dinos Chapman ist in Arbeit.


Kippenbergers Begegnungen mit Diedrich Diederichsen oder Jutta Koether sind ein fulminanter Start. „Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden“, die berühmt gewordene Absage an den Leidenszwang ist noch einmal zu hören – und doch kommt auch in diesen Aufzeichnungen aus den 90er-Jahren eine Verlorenheit zum Ausdruck, gegen die der 1997 Verstorbene heldenhaft anredet. Aufschlussreich – legt man danach die Gillick-CD ein. Ähnlich wie bei Kippenberger bezieht seine Kunst einige Kraft aus der Sprache. Doch der Brite, der in diesem Jahr den deutschen Pavillon der Venedig-Biennale bespielt, überführt den rhetorischen Aufwand in vergleichsweise bescheidene Ergebnisse. Nach langen Romanen, Rezitationen, Belehrungen steht am Ende doch nur ein Raumteiler oder ein Plastikbaldachin in der Ausstellung.
Auch Gillick ist eloquent und bewegt sich in lehrbuchreifer Dialektik vorwärts, das beweist die Aufzeichnung seines Vortrags, den er neulich im Hamburger Bahnhof in Berlin hielt, das belegt ein Interview, das die Brigade Commerz am nächs­ten Tag mit ihm führte. Doch bald stellt sich dieses Gefühl ein, das man aus dem Neuen Testament kennt: wieder nur das Gleichnis verstanden und nicht die Sache, auf die es sich im Grunde bezieht. „Ich halte die Dinge gern im Unklaren“, sagt Gillick. Während seines Berliner Referats übersprang er auch gleich ein paar Seiten, weil er sich – vor lauter Unklarheit? – selbst gelangweilt habe, wie er gestand.
Die Verwirrung hält man bei Martin Kippenberger gern aus, hier darf mitgetanzt und -gestolpert werden. Liam Gillick hin­gegen steht neben der Tanzfläche und doziert über das Geschehen. Und wenn er da nicht langsam zum Punkt kommt, ist man schon wieder an der Bar, das nächste Getränk holen.
 

Martin Kippenberger: „I was born under a wand’rin star“.

Brigade Commerz, Audio-CD, 55:30 min, 19,80 Euro.

Liam Gillick: „An idea just out of reach“.

Brigade Commerz, Audio-CD, 51 min, 19,80 Euro