Romanverfilmung

Regisseur Schwochow: "Deutschstunde" ist Apokalypse zwischen Ebbe und Flut

 Tobias Moretti (r) als Max Ludwig Nansen und Levi Eisenblätter als Siggi Jepsen in einer Szene des Films "Deutschstunde"
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Ulrich Noethen (r) als Max Ludwig Nansen und Levi Eisenblätter als Siggi Jepsen in einer Szene des Films "Deutschstunde"

Als Filmstudent ist Christian Schwochow über den Erfolgsroman "Deutschstunde" gestolpert. Nun bringt er den Kampf eines Jungen zwischen Pflichterfüllung und Freiheitsdrang ins Kino. Ein Interview

"Deutschstunde" ist ein internationaler Erfolgsroman von Siegfried Lenz. Was hat Sie an dem Stoff fasziniert?

Ich bin erst spät mit Lenz in Berührung gekommen und habe "Deutschstunde" als Filmstudent gelesen. Dadurch, dass ich selber im Norden geboren bin, war mir vieles vertraut: die Beschreibung der Menschen, dieser Charaktere, die Landschaft, dass man Geheimnisse voreinander hat, teilweise miteinander - und keiner redet darüber. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist wie die Geschichte von einem Jungen, der im Zweiten Weltkrieg zwischen zwei Vaterfiguren steht, erzählt wird. Wie er Partei ergreifen muss und daraus eine universelle Geschichte wird über Leben im Krieg, Leben in der Diktatur.

Ihre Mutter Heide Schwochow hat das Drehbuch geschrieben. Wo haben Sie gemeinsam Stoff und Figuren verdichtet?

Für uns ist der Kern die Geschichte des Jungen zwischen den zwei Vaterfiguren, zwischen dem Vater und dem väterlichen Freund. Weil es für ihn einen unlösbaren Konflikt gibt: Wenn er sich für den einen entscheidet, verliert oder verletzt er den anderen. Was er auch tut, es ist immer falsch. Es ist eine große Tragik, dass er diese Obsession für die Bilder, für das Retten der Kunst entwickelt und dann am Ende von beiden dafür ans Messer geliefert wird.

Welche Rolle spielt der kleine Siggi zwischen den zwei Männern bei Ihnen im Vergleich zum Buch?

Ich möchte von einem viel stärker verletzen Siggi erzählen, von einem viel wütenderen, der mit einer anderen Härte auf das zurückschaut, was im Krieg passiert ist. Ich hatte so eine Fantasie, dass Siggi wie ein Vorläufer von denen ist, die später die RAF gegründet haben. Also jemand, der irgendwann seinem Vater nicht nur Fragen stellt, sondern wirklich auf die Barrikaden geht. Also das, was in Deutschland eigentlich viel zu wenig passiert ist: dass man die Vätergeneration wirklich konfrontiert hat. Siggi ist ein Rebell, ein Widerständler. Es sollte auch eine Geschichte von Widerstand werden, was ich auch in der heutigen Zeit sehr wichtig finde.

Die Geschichte spielt hoch im Norden hinterm Deich, mitten im Krieg. Warum verzichten Sie auf Kriegsbilder?

Dieser Ort ist wie das Ende der Welt, wo gar kein Krieg stattfindet, wo keine Panzer rollen, da wird nicht geschossen, da gibt es auch keine Hakenkreuzfahnen, keine Wehrmacht, die aufmarschiert. Wir haben versucht, einen Film zu machen, der nicht explizit den Zweiten Weltkrieg beschreibt, sondern Krieg und Diktatur in einem größeren Sinne. Es gibt eine ganze Menge Bilder, die wir versucht haben zu erzeugen: die Kriegsassoziationen, die Schienen, die ins Watt gehen, die ins Nirgendwo gehen. Ich glaube, dass sich da bestimmte Assoziationen zu Auschwitz aufmachen können. Vielleicht lässt sich noch eine andere Dringlichkeit damit erreichen als mit den Bildern, die wir eben schon häufig gesehen haben. Bei uns gibt es Steine, die mich an Totenköpfe erinnert haben.

Welche Rolle spielt die Natur in Ihrem Film?

Für mich war immer klar, dass ich eine Apokalypse erzählen will. Die Metapher vom Meer, von Ebbe und Flut, die Wiederholung von Geschichte ist mit dieser Landschaft schon ganz toll zu erzählen. Es gibt Wunden, es gibt Narben. Der Sturm kann kommen und deckt die wieder zu. Das Meer kommt und deckt die wieder zu. Und wenn es sich zurückzieht, sind sie aber nicht weg.

Auch wenn Lenz das so nicht gemeint hat, wurde "Deutschstunde" oft als Geschichte des Malers Emil Nolde fehlgedeutet - dessen Bilder galten den Nazis zwar als "entartet", er war aber selbst glühender Nazi, Rassist und Antisemit. Welche Rolle spielt das für Ihren Film?

Selbst wenn Lenz dem Mythos, den Nolde heraufbeschworen hat, sehr geholfen hat, war das für mich keine Geschichte über Nolde. Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, die Anregungen, die sich Lenz geholt und verfremdet hat, wieder zu entfremden, zu konkretisieren und eine Geschichte über Nolde zu erzählen. Mir ging es um etwas ganz anderes: um das Schützen von Kunst, das Verbrennen von Kunst, die Rettung von Kunst. Wenn wir Nolde konkretisiert hätten, wäre das eine Geschichte von einem Kind zwischen zwei Nazis.

Wie gehen Sie mit der Kunst im Film um?

Wir wollten, dass die Farben explodieren auf diesen Bildern. Wir wollten damit auch auf eine einfache Weise zeigen, was Kunst eigentlich ist, welchen Wert Kunst hat. Gerade in so einer Zeit wie der Kriegszeit ist das etwas Tröstliches. Im Film wird ein Bild abgehängt. Was bleibt da in diesem Zimmer? Das ist doch ein Alptraum: Dieser Raum mit diesen niedrigen Decken und überall schwebt der schwere Balken wie etwas, was die Menschen zu erdrücken droht. Die Kunst bringt das Leben. Wenn die Kunst zerstört wird, wird viel mehr als nur ein Gemälde zerstört.

"Deutschstunde" läuft ab dem 3. Oktober im Kino