Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy

"Restitutionen ermöglichen eine bessere Zukunft"

Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, Professorin am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin
Foto: picture alliance/Soeren Stache/dpa

Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, Professorin am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin

Bénédicte Savoy lässt Museumschefs in Deutschland keine Ruhepause. Die Kunsthistorikerin pocht auf die Notwendigkeit von Rückgaben von Kunstschätzen aus kolonialen Zeiten. Ein Problem ihrer Gegner: Savoy stützt sich auf akribisch recherchierte Fakten

Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy sieht in der Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Zeiten eine Basis für neue Kooperationen deutscher Museen mit Institutionen etwa in Afrika. "Restitution ermöglichen eine bessere Zukunft, eine neue Qualität der Beziehungen", sagt die in Berlin und Paris lehrende Professorin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zusammen mit dem senegalesischen Sozialwissenschaftler Felwine Sarr hatte Savoy 2018 für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Bericht vorgelegt, der die Diskussion um Restitutionen international anheizte.

Die häufig ins Spiel gebrachte Möglichkeit von Leihgaben ist aus Sicht der 48-Jährigen keine Option. "Wie gehen Museen weltweit miteinander um? Wenn der Louvre etwas vom Vatikan haben will, sagt er: Kannst du mir deinen Leonardo ausleihen? Dann kriegst du in zwei Jahren unseren Raffael", erläutert Savoy. "Man muss eine Sammlung haben, um überhaupt unter diesen Playern zu sein." Kolleginnen und Kollegen in Afrika sagten ihr, solange sie nichts anzubieten hätten, würden sie nicht ernst genommen. "Restitution muss sein, damit diese Museen einen Grundstock haben, mit dem sie einsteigen können in diese Leihgaben. Ansonsten werden immer Paris, London, Berlin entscheiden."

Savoy sieht bisher ein Monopol westlicher Museen. "Diese Staaten müssen die Möglichkeit haben, ihr eigenes Kulturerbe zirkulieren zu lassen, damit es zum Austausch kommt: Du kriegst meine super Dogon Maske, wir kriegen dafür einen Kirchner. Das geht nicht, solange die einen alles haben und die anderen so gut wie nichts."

Es dauert zu lang

Auch Forderungen nach Zeit und Ruhe für Verhandlungen mit den Herkunftsstaaten über Rückgaben will die Wissenschaftlerin nicht gelten lassen. "Die erste Bitte aus Nigeria um einige wenige Dauerleihgaben erreichte Europa 1972, das ist 49 Jahre her und wir hatten 49 Jahre Ruhe."

"Jetzt, wo das Vertrauen zu Museen zerrüttet ist, an Ruhe und Besonnenheit zu appellieren, ist nicht besonders geschickt", konstatiert Savoy. "Zu sagen, wir wollen keine Emotionalität, wir wollen das hinter den Kulissen machen, unter Profis und so weiter - das war schon die Strategie vor 50 Jahren. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass es zu keiner Veränderung führt. Es dauert zu lang."

In Deutschland dreht sich die Diskussion aktuell vor allem um die Benin-Bronzen. Viele Museen haben diese überwiegend bei einem britischen Raubzug erbeuteten Objekte in ihren Beständen - manche Experten sprechen von Hehlerware. Im Berliner Humboldt Forum sollen sie eine zentrale Rolle einnehmen. Das Ethnologische Museum verfügt über rund 530 historische Objekte aus dem Königreich Benin, darunter etwa 440 Bronzen.

Geschichte einer postkolonialen Niederlage

"Die Debatte um das Humboldt Forum hat der Offenlegung historisch belegter Fakten gut getan", sagt Savoy, die 2017 im Streit aus dem Expertenrat des Kulturzentrums ausgestiegen war. "Mein Problem war die Intransparenz der Provenienz. Das Humboldt Forum muss die Besucherinnen und Besucher wissen lassen, was ausgestellt wird", sagt sie. "Da ist sehr viel passiert", räumt sie ein. "Mit diesem Wissen kommen Entscheidungen zusammen wie ein Prozess." Inzwischen werden selbst in der zuständigen Stiftung Preußischer Kulturbesitz Restitutionen nicht mehr ausgeschlossen.

Savoy hat sich in ihrem neuen Buch "Afrikas Kampf um seine Kunst" mit der "Geschichte einer postkolonialen Niederlage" befasst. In dem Band schildert sie eindrucksvoll, die in den 60er Jahren beginnenden vergeblichen Bemühungen afrikanischer Staaten und Völker um Restitution von Kunstwerken, die während der Kolonialzeit in Museen in aller Welt gelangt waren.

Nur historische Fakten, "also echte harte Fakten" könnten voranbringen, beschreibt Savoy ihre Motivation. "Sehr lange beruhte die Meinungsbildung auch in der Zivilgesellschaft auf einem unklaren Wissenssockel. In dem Augenblick, wo man diese Fakten freilegt und transparent macht, bewegt sich auch die Meinungsbildung den Fakten entsprechend." Nur so könne überhaupt etwas entschieden werden.

Am Ende laut und frei

Im Vergleich der Debatten damals und heute sieht die Wissenschaftlerin große Gemeinsamkeiten. Savoy spricht von "einer Art Röntgenaufnahme", die alte Strategien gezeigt hätten: "Zeit gewinnen, retardierende Maßnahmen treffen, Intransparenz, unterschwelliger Rassismus." Diese Strukturen seien gleich geblieben.

Ein "riesiger Unterschied" sei, dass aus Fakten etwa der Provenienz kein Hehl mehr gemacht werden könne. "Es war damals möglich, dieses Wissen zu blockieren." Das verhinderten heute zum größten Teil technische Infrastrukturen. "Wir kommen jetzt an die Informationen. Auch wenn die Museen sie nicht selber gegeben haben, gibt es andere Wege, um sie zu rekonstruieren."

Savoy beschreibt den Prozess als notwendig. "Wir haben es mit Verdrängtem zu tun. Aber Geschichte kann man nicht verdrängen. Sie ist um uns, diese Kunstwerke und Objekte, die massenweise in Europa sind, sind um die Straßenecke." Komme etwas Verdrängtes hoch, erschüttere das. "Aber wenn es aufgearbeitet wird, wie jetzt, endlich, langsam, mit vielen Widerständen, dann fühlt man sich am Ende lauterer und freier."

Es gibt keinen Satz, der nicht genau belegt ist

Die Wissenschaftlerin verweist auf ihre Vorkämpfer. "Mich bewegt, dass einige Zeitzeugen immer noch leben, die in den 70ern und 80ern eine Rolle gespielt haben und es gegen den perfiden Widerstand der Museen nicht geschafft haben", sagt Savoy. "Das ist ein ganz altes Thema. Wir sollten das auf gar keinen Fall unseren Kindern überlassen. Dieses Thema sollten wir jetzt Erwachsenen abschließen."

Gegner bezeichnen Savoy mitunter als Aktivistin. "Das ist einfach eine Identitätszuweisung, die man macht, wenn man jemanden diskreditieren möchte", kontert sie. "Mich verletzt das überhaupt nicht. Ich bin eine akribische Fußnoten-Wissenschaftlerin. Es gibt keinen Satz, der nicht sehr genau belegt ist. Das ist historisch-wissenschaftliche Arbeit", sagt sie zu ihrem Buch.

Das macht es für die Gegenseite nicht leichter. "Wovor manche Leute Angst haben, ist die komplett transparente Freilegung historisch belegter Fakten. Aber das ist mein Job. Ich kann nicht anders", sagt Savoy. "Nicht meine Person macht Angst, sondern dass diese Wahrheiten rauskommen."