Liebe auf der Berlinale

Was die Diebe mit den Engeln verbindet

Die Liebe im Kino funktioniert nur dann, wenn es Hürden zu überwinden gilt. Das trifft auf Nicolette Krebitz' Berlinale-Wettbewerbsbeitrag "A-E-I-O-U" genauso zu wie auf die tollen Screwball-Komödien aus der Retrospektive "No Angels"

Anna, eine 60-jährige Schauspielerin auf dem absteigenden Ast, soll mit einem ebenso nicht mehr taufrischen Kollegen eine Hörspiel-Liebesszene aufnehmen. Die Regisseurin will dem "jungen Pärchen", das sie mimen sollen, auf die Sprünge helfen und rät: "Bewegt euch doch mal ein bisschen". Stichwort für den Schauspieler, die Kollegin anzufassen: Angeekelt und wütend marschiert Anna aus dem Studio.

In "A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe" erzählt die Berliner Filmemacherin Nicolette Krebitz, wie es dann aber doch noch klappt mit der Leidenschaft. Weil sie das Geld braucht, betätigt sich Anna als Sprachcoach für den 17-jährigen Adrian, den sie für eine Hauptrolle in einem Schultheaterstück fitmachen soll. Obwohl - oder gerade weil - Anna in Adrian den Dieb wiedererkennt, der ihr kürzlich vor der Charlottenburger Paris Bar die Handtasche entrissen hat, funkt es zwischen den beiden. In Nizza, wohin das Paar nach der erfolgreichen Schultheaterpremiere verschlägt, pfeifen sie auf alle Konventionen, beklauen Touristen und tollen nachts im Mittelmeer, worauf sich Anna nackt von ihrem jugendlichen Liebhaber durch die Gassen von Nizza ins Hotel tragen lässt. Ein intelligentes Drehbuch, das Klassiker wie "Frühstück bei Tiffany" oder "Außer Atem" unangestrengt zitiert, Krebitz' lockere Inszenierungskunst, Sophie Rois' souveräne Diven-Kratzbürstigkeit und der vielversprechende Newcomer Milan Herms als liebesverrückter Adrian machen die amour fou zum Kinovergnügen.

Die Liebe im Kino funktioniert nur dann gut, wenn es Hürden zu überwinden gilt. Bei Anna und Adrian ist es der Altersunterschied, der die reife Frau zögern lässt. Lauter ungleiche Paare servierten auch die Screwball-Comedies der 1930er- und 40er-Jahre ihrem Publikum. Aus diesem Genre der hitzigen wie witzigen Gefechte zwischen Männern und Frauen stammen die Filme der Berlinale-Retrospektive "No Angels", die Corona-bedingt vom letzten auf dieses Jahr verschoben wurde. 27 restaurierte Spielfilme aus den Jahren 1932 bis 1943 sind zu erleben, einige der tollsten Hollywoodkomödien sind dabei.

Spielend fertig werden mit Löwen und Cary Grant

Der Mae-West-Klassiker "I’m No Angel" von 1933 hat die Überschrift inspiriert. Die Femme fatale aus Brooklyn verkörpert darin eine Varietékünstlerin, die ihren Kopf regelmäßig in Raubkatzenmäuler legt und mit Salonlöwen wie Cary Grant ebenso spielend fertig wird. West schrieb den Großteil des Drehbuchs selbst. Ihre Sprüche wie "When I'm good I'm very good. But when I'm bad I'm better" dürften mit dazu beigetragen haben, dass der Film 1934 aus dem Verkehr gezogen wurde, als der sittenstrenge "Hays Code" in Kraft trat, der die kommende Ära prägte. Heimliche Guerilla-Girls, Feministinnen und ihre Regisseure (darunter der schwule "Frauenversteher" George Cukor) mussten sich einiges einfallen lassen, um durch die Hintertür doch noch frischen Wind durch angestaubte Drehbücher zu blasen - damit Hollywood sie nicht als Aufmüpfige exkommunizierte.
 
West, Russell und Lombard erlebten ihren Karriere-Peak im Hollywood der 1930er, aber ihre Images unterschieden sich sehr. "Mae West schlüpft nie in fremde Rollen", charakterisiert Rainer Rother, Leiter der Deutschen Kinemathek und Kurator dieser Retro, die Drag-Queen-Wegbereiterin, deren "ikonisch gestaltete (Show-)Persona jede von ihr mitverfassten und von ihr verkörperten Rollen" prägte. Karriere in Hollywood machte sie erst mit 39 und obwohl sie nicht unbedingt dem gängigen Schönheitsideal entsprach.
 
Mae West trug in Filmen wie "Belle of the Nineties" oder "My little Chickadee" (mit Knollennase W. C. Fields) überbordende wie fantasievoll drapierte Kleider, die fast wie ein Panzer wirkten. Und während Carole Lombard, die gern neurotische Frauen spielte, durch glänzend-fließende Stoffe und tiefe Ausschnitte am Rücken auf fragile Weise sexy wirkte, trug Rosalind Russell häufig Business-Kostüme. "Was sie trägt", schreibt Rother im großartigen Buch zur Filmreihe, "ist modern und angepasst an das Erscheinungsbild der (meist selbstständigen) berufstätigen Frau, die sie fast immer verkörpert. Es ist ein Look, der Kompetenz signalisiert und vor allem alltagstauglich ist."

Einen Frauentyp, der nicht gedenkt, mit der Heirat den Beruf aufzugeben
 
Russell, nicht ganz so berühmt wie Lombard und West, hatte die längste Hollywoodkarriere. Sie zeigt nicht nur in ihrem bekanntesten Film, Howard Hawks’ "His Girl Friday", als körperlich Aktivste. Legendär ihr Hechtsprung, mit dem sie als Reporterin Hildy einen fliehenden Informanten zu Fall bringt. Auch in George Cukors rein weiblich besetzter Ensemblekomödie "The Women" (1939) zeigte der toughe Star aus Connecticut sein Slapstick-Talent. Ein Film ohne Männer – die Wahl des außergewöhnlichen Films mit weiteren Leinwandgöttinen wie Joan Crawford und Paulette Goddard bringt die Frage auf, welche Spielräume es für Frauen von Format in der damaligen Filmindustrie gab. Russell jedenfalls verkörperte einen Frauentyp, der nicht gedenkt, mit der Heirat den Beruf aufzugeben.
 
Anders ihre beiden Kolleginnen musste Carole Lombard sich in ihren Filmen, in denen das Verhältnis Mann-Frau eher den Standards entsprach, ihre Spielräume erst suchen. Als Darstellerin war sie eine Frühvollendete, die mit 33 bei einem Flugzeugabsturz starb und einen untröstlichen Witwer namens Clark Gable zurückließ. Lombard war im Vergleich zu ihren Kolleginnen wohl diejenige Schauspielerin, die am unzufriedensten in der Komödienschublade war und ins dramatische Fach strebte.

Ausgerechnet mit ihrem Freund Alfred Hitchcock drehte sie "Mr. & Mrs. Smith". Die einzige Screwball-Comedy des Thrillerkönigs ist ebenso in Berlin zu sehen wie Ernst Lubitschs Meisterwerk "Sein oder Nichtsein", eine schwarze Komödie vor dem Hintergrund des Nazi-Überfalls auf Polen – Lombards letzter Film. Eine fantastische Wiederentdeckung ist "Mein Mann Godfrey", in dem Lombard an der Seite ihres Exmanns William Powell eine verwöhnte höhere Tochter spielt, die sich in einen Obdachlosen verliebt. Die New Yorker Erbin Irene (Lombard) verhilft Godfrey (Powell) zu einer Stelle als Butler in ihrer ziemlich degenerierten Familie, die schließlich ausgerechnet von dem armen Schlucker vor dem finanziellen Ruin bewahrt wird. Ein fast surrealer, gnadenlos komischer Film in einem Filmprogramm, in dem das ABC der Liebe auf höchst amüsante Weise durchbuchstabiert wird.