Ausstellung bei Efremidis

Kunst als Homestory

Die Ausstellung "Reverie" in Berlin untersucht das tagebuchartige, skizzenhafte Arbeiten. Die meisten der Werke sind 2020 entstanden - und thematisieren so ganz beiläufig das Kunstschaffen in Zeiten der Corona-Isolation

2014 nahm die Künstlerin Dorothy Iannone an Tenzing Barshees Gruppenausstellung "Revelry" teil, in der es um das tagebuchartige Arbeiten und um künstlerische Auseinandersetzung mit dem Selbst in einer multireferenziell vernetzten Welt ging. Für die erste von dem Kurator und Autor verantwortete Ausstellung in der Berliner Galerie Efremidis machte Iannone aus "Revelry" (Offenbarung) "Reverie" (Träumerei) und lud dazu ein, die von Barshee gestellten Fragen im Schlaglicht der Covid-19-Krise erneut zu betrachten. "Während der Pandemie und der staatlich angeordneten Isolation verschmelzen privates und öffentliches Leben zu einer einzigen verzögerten, störanfälligen Erfahrung", schreibt die Künstlerin im Pressetext.

Fast alle Werke der Ausstellung sind im Zuge jener translokalen Erfahrung der Isolation entstanden, inmitten einer entmutigenden Monotonie von ungewisser Dauer. Man spürt es deutlich an jener verletzlichen Aufrichtigkeit, die während des Lockdowns auch die sozialen Medien dominierte. Jade Kuriki Olivo, als anonyme Künstlerin lange ausschließlich bekannt unter dem Pseudonym Puppies Puppies, lädt dazu ein, sich neben ihrem kargen Bett niederzulassen und ihren frei herausgeredeten Erzählungen von ihrer Geschlechtsangleichung und ihrer Einsamkeit in der Isolation zuzuhören. Über der von einem Chicken-Burger, einer Poppers-Flasche und einem weggeworfenen Kondom gesäumte Ein-Personen-Matratze, einer queeren Rezessions-Spielart von Tracey Emins "My Bed", hängt Josip Novosels Porträt eines lasziv breitbeinig dasitzenden oberkörperfreien Mannes mit Gesichtsmaske.

In anderen Malereien Novosels entlädt sich die umstandsbedingt unstillbare Sehnsucht nach kollektiver Geschlechtlichkeit in fragmentierten Orgien voller behaarter Beine, Bärte und Zungenpiercings. Robert Escaleras 24 kleinformatige Zeichnungen scheinen vertraute postkoitale Momente festzuhalten, es könnte sich bei ihnen jedoch genauso gut um Reproduktionen von Dating-App-Profilbildern handeln. Intimität wird hier als zwangsläufig unerfülltes performatives Versprechen gezeigt. 

Blick ins WG-Zimmer

Immer wieder thematisieren die Werke in "Reverie" direkt ihre limitierten Entstehungsumstände. In Ketuta Alexi-Meskhishvilis "Self-portrait in a Convex Mirror" spiegelt sich das spärliche "WG-Zimmer-cum-Studio", hier das Bett, gegenüber der Schreibtisch mit Blick aus dem Fenster, im Fernsehen eine Nachrichtensendung. "Every month, there are costs", klingt es dazu aus Luzie Meyers Soundinstallation "Because such is the case". Hervorgehobene Prekarität: Die Welt steht still, aber die Miete will trotzdem weiter bezahlt werden.

"Reverie" ist eine Ausstellung für jene aktuelle Zeit, in der wir auf der Straße oder dem Soft Opening behutsam wieder aufeinander treffen und auf die Frage "wie geht es dir?" plötzlich ehrlichere Antworten bekommen. Die gezeigten Werke mögen in der Isolation entstanden sein, doch die Ausstellung besteht auf den materiellen, institutionellen, realen Raum. Um Ann Cottens schriftliche Schilderungen unangenehmer Momente zu lesen, muss man eine Leiter erklimmen, Mathias Altmanns Skulptur aus Elektroschrott und gefundenen Objekten holt das Außen des Ernst-Reuter-Platzes durch seine verspiegelten Elemente in den Galerieraum hinein und an den Außenfenstern der Galerie fragt ein Textbeitrag von Pippin Wigglesworth & Jannis Paetzold nach der Kraft des Publizierens.

"Schreibt man, um zu schreiben, oder schreibt man, um gelesen zu werden?" fragt Iannone im Ausstellungstext. In der Isolation entstand Kunst primär für und mit sich selbst. Trotzdem gibt die "Reverie" auf die Frage keine eindeutige Antwort. Stattdessen zeigt sie, wie die Kunst, die die Abgeschiedenheit hervorgebracht hat, im besten Falle aussehen kann: introspektiv und schambefreit skizzenhaft.