Gruppenschau in Karlsruhe

Es steckt ein Code in allen Dingen

Was hält die Welt in ihrem Innersten zusammen? Vielleicht ein Code. Darum dreht sich die Ausstellung "Open Codes. Leben in digitalen Welten" in Karlsruhe. Gemeint ist dabei aber mehr als der Code, der benutzt wird, um mit Computern zu kommunizieren

Worin überall Code steckt, lässt sich gleich am Eingang erleben. Über dem Orakel von Delphi stand einst die Aufforderung "Erkenne dich selbst", in Karlsruhe sind die Besucher vor sieben Spiegeln dazu aufgefordert. Oder, besser gesagt, die Erkenntnis übernimmt Kinect, eine Gesichtserkennungssoftware. Eine Kamera scannt die Besucher, und die Spiegel, die in Wirklichkeit große Bildschirme sind, spucken mit beunruhigender Genauigkeit Informationen zu Größe, Alter und Geschlecht aus. Wenn der Algorithmus die sichtbaren Elemente analysiert hat, geht er über zum Unsichtbaren, nämlich dem genetischen Quellcode. Gut, das ist reine Fiktion, das kann die Software noch nicht. Aber die digitale Gesichtserkennung ist bereits im Einsatz, nicht nur im neuesten iPhone, sondern auch im öffentlichen Raum. Eines wird klar: Codes sind uns näher, als wir denken.

Bei den über 120 Arbeiten in der Aus­stellung ist es oft schwer, Spekulation und Dokumentation zu unterscheiden, vor allem, wenn sich die Gegenwart schon anfühlt wie Science-Fiction. Genau damit arbeitet Simon Denny, dessen Installation "Blockchain Future States" etwas abgewandelt auf der letzten Berlin Biennale zu sehen war: Wie sähe eine Welt aus, in der Kryptowährungen die Macht an den globalen Finanzmärkten übernehmen? Überhaupt, in der Wirtschaft sind Fragen nach den Auswirkungen von Algorithmen schon längst angekommen, wenn auch nur als Spekulation. Helen Knowles zeigt in ihrer Videoinstallation "Trial of the Superdepthunterbot" einen Prozess, in dem ein Bot vor Gericht steht, der Schuldner in den Suizid getrieben hat. Dieses Szenario scheint weit weg, aber: Die Frage nach der Schuldfähigkeit von Computerprogrammen stellt sich spätestens, seit es lernfähige Algorithmen gibt, die an der Börse handeln oder Autos lenken.

Das alles wird nicht vor weißen Wänden gezeigt. Stattdessen sehen die Lichthöfe im ZKM aus wie ein großer Coworking Space, mit Tischtennisplatten, Obst und Softdrinks. Einladend soll es hier sein, ein multifunktionaler Raum, angelehnt an die Produktionsstätten der Wissensökonomie. Der egalitäre Geist von Start-ups soll in die Ausstellung gebracht werden, und das Biotop dafür ist ein Raum, in dem sich Künstler, Coder und Besucher zu Hause fühlen.

Die Schau soll auf 3300 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigen, dass Codes nicht nur digital sind, und dass die Idee dahinter schon viel älter ist als digitale Technologie. Gottfried Wilhelm Leibniz dachte sich 1697 ein System aus, für das es damals, am Anfang der Aufklärung, eigentlich noch gar keinen Nutzen gab. Mit Nullen und Einsen codierte er alle anderen Zahlen, und der Binärcode war geboren. Inzwischen ist viel passiert: Morsecode wurde erfunden, in Kriegen wurden Botschaften mit immer komplexeren Maschinen ver- und entschlüsselt. Die Biologie kennt den genetischen Code, in der Gesellschaftswissenschaft hat jedes soziale System seinen Code: Er bewegt unsere Welt im Verborgenen.