Interview mit Arcade-Fire-Gitarrist

"Das Leise kann eine Art von Rebellion sein"

Im Planetarium Hamburg inszeniert der Arcade-Fire-Gitarrist Richard Reed Parry eine Musikperformance, bei der man sich in ein surreales Universum aus Ton und Bildern fallen lässt. Ein Gespräch über Natur, Kunst und das Gegenteil von lauter Rockmusik     

Richard Reed Parry sagt ständig Dinge, die beneidenswert ausgeglichen klingen. "Alles, was ich musikalisch tue, fühlt sich sehr wahrhaftig an, ob es nun berühmt ist oder nicht", erzählt er am Telefon, durch das man den Flughafenlärm aus Montreal hört. Als Multi-Instrumentalist der Art-Rock-Band Arcade Fire trägt er flamboyante Uniformen und hämmert schon mal ekstatisch auf Trommeln ein. Als Solo-Musiker widmet er sich den leiseren Tönen und inszeniert im Hamburger Planetarium nun ein Multimedia-Konzert mit betörenden Naturaufnahmen als 360-Grad Projektion.

"Quiet River Of Dust" ist ein meditatives Album, das in Montreal zum ersten Mal als immersive Performance aufgeführt wurde. Am Wochenende findet die Europa-Premiere in Hamburg statt.

Richard Reed Parry, wann haben Sie das letzte Mal bewusst in den Nachthimmel geschaut?

Oh, erst gestern und vorgestern. Einmal in Montreal, wo man wegen der Lichtverschmutzung natürlich nicht so viel sieht, und einmal auf dem Land. Es war ein wunderschöner Himmel nach dem Regen. Noch wolkig, aber dazwischen klar. Ich schaue ständig nach oben.  

Klingt nach Universumsverbundenheit. Dann ist ein Planetarium ja nicht der abwegigste Ort für ein Konzert von Ihnen...

Nein, überhaupt nicht. Als ich zum ersten Mal die Kuppel der "Societé des Arts Technologique" in Montreal gesehen habe, wusste ich sofort, dass ich dort meine Musik aufführen wollte. Viel mehr als in einem Theater oder einem Rock-Club. Es ist dieser unglaubliche Raum ohne Sitze, in dem man einfach auf dem Boden liegt und 360-Grad-Projektionen sieht. Ein Planetarium der neuen Schule sozusagen, in dem man immersive Kunst erleben kann. Die Musik meines Albums "Quiet River of Dust" will in einer fließenden Welt gehört werden, die einen einhüllt. Das passt sehr gut zum Raumerlebnis eines Planetariums.   

Die Visuals sehen aus wie ein frischluftgesunder und naturverbundener Hippie-Trip. Sind die Bilder auch von Ihnen?

Ja, man hat mir eine 360°-Kamera in die Hand gedrückt und ich habe einfach mit dem Filmen begonnen. Ursprünglich dachte ich, dass die meisten Bilder Animationen sein würden, aber je mehr ich aufgenommen habe, desto magischere Dinge habe ich entdeckt. Und dann ist die Person, die die Animation machen sollte, ausgestiegen, sie hat sich mit der 360°-Projektion nicht wohl gefühlt. Zu dem Zeitpunkt war ich dann schon sehr glücklich mit den Ergebnissen meiner Experimente. Mit der 360°-Kamera kann man sehr schöne und sehr surreale Dinge machen. Für mich war das ein neuer künstlerischer Blickwinkel und er hat perfekt zur Musik gepasst, die Bilder erweitern die Klänge. Ich bin einfach sechs Monate lang meiner Intuition gefolgt.

Ihr Album "Quiet River of Dust" soll von Spaziergängen in Japan inspiriert sein. Wie klingen die? 

Ganz so einfach ist es nicht. Ich war gerade in Japan, als ich anfing, diese Songs zu schreiben, aber sie sind nicht im engeren Sinne thematisch. Es war wie eine spirituelle Begegnung mit der Landschaft. Daraus wurde ein Motiv, das dann ein Song wurde. In der Natur zu sein kann für mich sehr beseelend sein. Aber es bringt einen auch mit dem heavy stuff in Verbindung. Es ist hart, einen Baum anzuschauen, der aus dem Dreck wächst, und zu wissen, dass der Körper, in dem man wohnt, sich in genau dieselben Partikel auflösen wird. Es geht um die intensive Erfahrung in einem beglückenden und Angst einflößenden Moment. Die Erde wird sich öffnen und dich verschlucken. Du wirst ins Meer gespült und steigst zu den Wolken auf, und dann kommen die Partikel wieder als Regen herunter. Alles geht ohne uns weiter. 

Interessiert es Sie, dass das Planetarium ein Ort ist, an dem die Erfahrung des Universums künstlich inszeniert wird?

Ich verstehe, dass das wie ein Widerspruch wirken kann, aber große Konzerte wirklich draußen in der Natur sind wegen der Technik fast unmöglich. So gern ich das machen würde. In diesem Raum geht es sehr stark um die eigene Erfahrung, wenn man auf dem Rücken liegt und sich treiben lässt. Diese Erfahrung ist ja nicht künstlich. Man wird von einer eigenen Welt umschlossen. 

Bei Ihrem Projekt "Music For Heart And Breath" spielt jeder Musiker im Takt seines Herzens. Das klingt mehr nach Konzeptkunst als nach klassischem Komponieren.  

Das kann man so sehen, aber mir ist auch wichtig, dass gute Musik dabei herauskommt, die auch für sich allein stehen kann. Es gibt verschiedene Ebenen. Nicht jeder hat einen Sinn für Kunst und nicht jeder hat ein Ohr für Musik. Aber die meisten haben entweder das eine oder das andere. Es ist ein Kunstwerk, aber es geht auch darum, starke Melodien und Arrangements in einer Art entstehen zu lassen, die so vielleicht noch niemand probiert hat.

Sie haben das Konzept mal rebellisch genannt. Inwiefern? 

Habe ich? Das war wahrscheinlich im Kontext meiner Musik mit Arcade Fire gemeint. Es ist einfach das Gegenteil von lauter Rockmusik, die immer nach außen geht. Eine Rebellion gegen den großen Auftritt. Für "Heart and Breath" habe ich gesagt: ok, lasst und so leise und filigran wie nur irgend möglich spielen. Mit dem Herzschlag besinnt man sich auf das Innere, Elementare. Aber trotzdem kommt noch Musik dabei heraus, etwas was andere hören können.

Ein inneres Universum, das Gestalt annimmt?

Ja, genau. 

Ihre Band Arcade Fire ist ein Pop-Phänomen, das man gern "arty" nennt. Ist das ein Kompliment oder eine Beleidigung?

Ich empfinde es definitiv als Kompliment. Ich finde Musik, die nicht nur Musik, sondern auch Kunst sein will, sehr wertvoll. Es ist toll, wenn ein guter Song nicht nur oberflächlich funktioniert, sondern ein ästhetisches und inhaltliches Konzept dahinter steckt. Wenn das für Leute bei uns funktioniert, umso besser. Und natürlich gehört in der Musikindustrie immer mehr dazu als nur die Musik. Alle unsere Alben versuchen, Kunst zu sein. 

Haben Sie einen Bezug zu dem, was man die "Kunstwelt" nennt?

Ja, ich schaue mir viel bildende Kunst und Performance-Kunst an. Ich sehe auch Musik in diesem Kontext. 

Arcade Fire sind auch eine politische Band. Sind Ihre Naturbezüge in "Quiet River of Dust" eskapistisch, oder steckt da auch ein Kommentar zu Klimawandel und Ökologie-Kämpfen drin?

Es ist unmöglich etwas zu erschaffen, das sich tief auf unsere Umwelt einlässt, ohne diese Themen mitzudenken. Aber obwohl das Klima in einer Krise ist, denke ich nicht, dass unsere einzige Perspektive auf die Natur die der Panik ist. Natur ist auch dazu da, gefeiert zu werden, und sich mit ihr zu verbinden. Sie ist ein Geschenk, in das wir alle hineingeboren werden. Natürlich sind diese Perspektiven durch das Stadtleben und den Kapitalismus verstellt, der uns alle geprägt hat, aber die Welt ist da und wir können sie anders begreifen und erfahren. Das hat einen sehr direkten Effekt, weil man die Fragilität des Ganzen erfährt. Ich glaube, wenn die Menschen an der Spitze der größten Verschmutzer-Konzerne mehr von dieser Erfahrung gemacht hätten, würden sie anders entscheiden. Wenn jeder CEO von Airlines oder Ölfirmen früher jedes Jahr im Sommercamp gewesen wäre, würde das Verhalten sich ändern. Es gibt eine Alternative zum desaströsen Kapitalismus.    

Sie sprechen von direkter Verbindung. Wie funktioniert das als Musiker mit dem Publikum? Wenn vor Arcade Fire 100.000 hüpfende Menschen stehen, weiß man wahrscheinlich, dass etwas passiert. Aber wie funktioniert die Verbindung zum Publikum in einem ruhigeren Rahmen wie in Hamburg, wo jeder in sich selbst steckt?

Man darf die Qualität von Konzerten nicht nach Publikumsreaktionen beurteilen. Man kann in einer riesigen Menge eine Art Erfolg spüren, aber das sollte man nicht mit musikalischem Erfolg verwechseln. Bei den besten Konzerten war vielleicht niemand da, viele meiner Lieblingsmusiker sind heute vergessen. Im Planetarium ist es eine besondere Situation, weil die Leute meistens nicht uns, sondern die Projektion anschauen. Man ist nicht mehr der Aufmerksamkeits-Mittelpunkt vor dem Publikum. Das ist inspirierend, es erlaubt den Dingen, einfach zu passieren. Nach den Konzerten sind viele Menschen zu mir gekommen und haben gesagt, dass es eine transformierende Erfahrung war. Man kann dieses Erlebnis nicht nach den Kritierien eines "normalen Konzerts" beurteilen. Es ist auch für mich etwas sehr Einzigartiges. Es geht um eine tiefe Reise ins innere Planetarium. 

Ihre ganze Karriere ist von Kollaborationen geprägt, das ist bei bildenden Künstlern nicht so selbstverständlich. Haben Künstler größere Egos als Musiker? 

Ich weiß nicht, vielleicht anders ausgeprägt. Für mich als Musiker war das Ziel immer, selbstlos zu sein, und mein Ego im Prozess des Arbeitens zu verlieren. Das Ziel ist immer, etwas zu finden, was über mich selbst hinausgeht, aber das Selbst noch erreichen kann. An guten Tagen klappt das vielleicht.