Rocky to go

Bianca und Sylvester vor der weißen Wand, Farrah hängen blonde Strähnen ins Halbprofil, Senator Edward Kennedy behält sein Jackett an – es sind schnelle Porträts. Für jemanden wie Andy Warhol war diese Technik wie geschaffen. Fotografie ohne Wartezeit, kein modernes Bild allerdings, eher das Gegenteil.
Polaroid-Fotos hatten einen weißen breiten Rand und hielten die Abmessungen des Mittelformats, waren Unikate und überlebten nicht lange. Und doch: Was für ein Spaß, diese beschleunigte Entwicklung, die aus dem unbestechlichen Auge der Linse einen nur um 30 bis 90 Sekunden Entwicklungszeit verzögerten Spiegel macht. Die Erfindung von Edwin Land, der sie so gut fand, dass er sie Ende der 40er-Jahre zum Patent anmeldete, wurde geliebt; kurz nachdem 1963 mit Polacolor auch Farbfilmkassetten eingespannt werden konnten, besaß jeder zweite amerikanische Haushalt so einen Kasten.
Und weil die Fotografen und die Künstler seine Idee so liebten, zeigte Land sich großzügig: Sein „Polaroid’s Artist Support Program“ versorgte Talente mit Kameras und frischem Material und verleibte sich im Gegenzug einige Resultate ein. Ob Andy Warhol höchstselbst grimassiert, Jim Dine sein Gesicht Anfang der 70er zum „Selected Self-Portrait“ in die Linse hält, Patti Smith vor Robert Mapplethorpe im Blumenhängerchen mit rotem Kissensamt schmust oder Lucas Samaras vor dem Trocknen noch schnell in der Entwicklerpaste herumrührt – Polaroid war mehr als Technik: Es inspirierte.
Eigentlich erstaunlich, dass erst jetzt eine Auswahl von 1200 Aufnahmen aus der mehr als 16 000 Werke umfassenden Sammlung des Firmenarchivs gezeigt wird. Den Katalog dazu, „Photographs from the Polaroid Collection“, hat das Auktionshaus Sotheby’s veröffentlicht.
Und das Kleingedruckte verrät, warum die Kollektion mit Preisen ausgezeichnet wurde: „Being sold by order of the United States Bankruptcy Court for the District of Minnesota“– verkauft im Auftrag der Konkursverwaltung.
Zu den 1200 Losen, deren Wert auf bis zu 11,5 Millionen Dollar geschätzt wird, gehören neben Arbeiten von Künstlern wie Robert Rauschenberg oder David Hockney auch Klassiker der US-Fotografie wie Dorothea Langes Ikone der „Migrant Mother“ (geschätzt auf 60 000 bis 80 000 Dollar). Außerdem werden viele Fotografien von Ansel Adams angeboten, nicht nur Schnappschüsse in selbstverständlich schwarz-weißer Polaroid-Technik wie „Rock in Snow“ (1956) oder „Ice Breaking upon High Sierra Lake“ (1968), die zwischen 5000 und 9000 Dollar kosten sollen, sondern auch halbmeterbreite Meisterwerke wie das auf 300 000 bis 500 000 Dollar geschätzte „Winter Sunrise, Sierra Nevada, from Lone Pine“ (1944). Polaroid ist bankrott, nicht nur, weil die Digitalkamera ohnehin noch schneller die Resultate präsentiert und schon im Juni des Jahres 2008 die letzten Filmpäckchen in Enschede vom Band fielen. Sondern auch, weil der jetzige Besitzer, der Konzern von Tom Petters, Anleger um insgesamt 3,5 Milliarden Dollar prellte. Nun wird alles zu Dollars, was Polaroid gehört – und mit einem Mal ist die Kunst nur noch ein Posten auf der Habenseite der Bilanz. Einer, der im Gegensatz zu den abgeschriebenen Maschinenparks und abgewirschafteten Fabrikgebäuden sogar noch wertvoller geworden ist. Was die Sache nicht leichter macht für diejenigen, die den Zusammenhalt dieser Sammlung gerne konservieren würden. Sie ist zu kostbar geworden, als dass sich im Jahr zwei nach dem Crash ein Museum oder ein Archiv den Ankauf leisten könnte. Und auch eine Initiative von Künstlern, die vor Gericht argumentierten, sie hätten ihre Arbeiten niemals einem privaten Sammler im Tausch Fotomaterial gegen Werk überlassen, war nicht erfolgreich. Sie hätten ihre Ansprüche früher anmelden müssen, war die Antwort. Die Künstler dürften vor allem daran interessiert sein, das eigene Werk über den Tag hinaus in gesicherten Verhältnissen zu wissen, in einem besonderen Archiv wie Polaroid, das noch in Jahrzehnten Ausstellungen bestückt, in einem Museum, das die Werke nicht verkaufen muss, bei einem Sammler, der seine Kollektion eines Tages in einem öffentlichen Haus platzieren kann.
Dass Chuck Close nun den Verkauf „kriminell“ nennt – der von ihm unter anderem ein besonders drastisches Selbstporträt im Wert von 50 000 bis 70 000 Dollar umfasst –, ist nur noch eine Fußnote der Verhandlungen, die sich um eine Sammlung drehen, die auf einem technischen Kontext gründet – ein Novum, das clever in ein verkaufsförderndes Argument umgewandelt wurde. Hier wird schließlich

Die Frage bleibt, wie sich Künstler absichern können, wenn sie ihr Werk nicht in Galerien, bei Kunstmessen und Vernissagen abgeben, sondern es für die gute, ewige Sache spenden, für Museen, Archive, Kataloge, Unternehmen jenseits der spekulativen Märkte

kein OEuvre, keine Sammlerpersönlichkeit, kein Schloss geräumt, sondern eine Zusammenstellung, zu der Künstler die Beiträge in einem, so gesehen, originellen Wettstreit beisteuerten. Der hat nun offiziell sein letztes Datum: Am 21. und 22. Juni fällt im New Yorker Auktionssaal der Hammer.
Über diesen Tag hinaus bleibt aber die Frage, wie sich Künstler absichern können, wenn sie ihr Werk nicht in Galerien, bei Kunstmessen und Vernissagen abgeben, sondern an aufrichtige Freunde, an Künstlerkollegen und Mitarbeiter, an Verleger und Kuratoren. Oder auch dort, wo sie nicht nur großzügig sind, sondern mit Versprechen eingeladen werden. Wenn sie für die gute, ewige Sache spenden, für Museen, Archive, Kataloge, Unternehmen jenseits der spekulativen Märkte.
Der Unterschied zu anderen Pleiten und ihren Verkäufen ist das Vertrauen, das Künstler der Sammlung entgegenbrachten; wie sie fühlen sich auch Künstler von Bernhard Johannes Blume bis Sigmar Polke getäuscht, die dem Hamburger Akademiedirektor und Sammler Carl Vogel und seiner Frau Carin schöne Stücke zum Freundschaftspreis überließen (oder gar schenkten), um deren Museumsgründung auszustatten: Die kranke Sammlerin übertrug ihren Besitz einer dubiosen Stiftung, die seither ungeniert Werke verkauft. Doch die Künstler wissen sehr wohl, dass sie mehr verschenken als bemalte Leinwand, die schnelle Skizze, den Schnappschuss. Dass auf den Boom der Crash folgt, schadet der Kunst. Gerade weil sie kostbar ist, unberührbar, dauerhafter als die Verhältnisse der Wirtschaft und der Verträge.

Sotheby‘s, New York, 21. und 22. Juni