Neuer Gucci-Kreativdirektor De Sarno

Tradition statt Trend

Nach dem Weggang von Überdesigner Alessandro Michele hat Gucci einen neuen Kreativchef. Sabato De Sarno kommt die schwierige Aufgabe zu, das zunehmend verspielte Label zur klassischen, konsumierbaren Eleganz zurückzuführen 

Wie eine Geister-Kollektion ohne Fahrer, in diesem Fall jedoch ohne Creative Director, war Guccis Herbst-2023-Menswear im Januar über den Laufsteg in Mailand geschlittert. Die erste Kollektion ohne Alessandro Michele, der das italienische Modehaus im November verlassen hatte, schien wie ein improvisierter Stunt, um die Abwesenheit einer kreativen Leitung zu überbrücken. Ein Freestyle, der "die Individualität der vielseitigen Kreativen und Handwerker des Hauses Gucci widerspiegeln", sollten die 48 Looks ausdrücken, die letztlich etwas arg zusammengewürfelt daherkamen.

Doch auch ohne einen offiziellen Schöpfer-Chef einer Marke werden Kollektionen fertiggestellt, immer wieder, in vielen Modehäusern. Denn neben dem die übergreifende visuelle Sprache bestimmenden Creative Director arbeiten unzählige Designer, Fashion-Direktorinnen und Stylisten an der Damen- und Herrenbekleidung, den Accessoires, Schuhen, dem Schmuck und der Haute Couture. Sie übersetzen die Konzepte, arbeiten sie in ihre Kollektionen ein und halten den Laden letztlich am Laufen - wie auch Guccis Beispiel offenbarte.

Einer von ihnen, den stillen Schaffenden im Hintergrund, war bisher Sabato De Sarno. Der in Neapel aufgewachsene Designer begann seine Karriere 2005 bei Prada, wechselte später zu Dolce & Gabbana und ist aktuell bei Valentino als Fashion Director tätig. Somit hat er drei der renommiertesten italienischen Modehäuser durchlaufen. Einen Namen in der Modewelt machte sich De Sarno gerade in seiner letzten Rolle bei Valentino, wo er unter Creative Director Pierpaolo Picciolis Spitze die kreative Leitung der Damen- und Herrenbekleidung übernahm. Während Sabatos Jahren bei der italienischen Luxusmarke, erklomm diese den dritten Platz der Rangliste in "Lysts" heißesten Modemarken, und das unverkennbare "PP"-Pink (Pierpaolo-Piccioli-Pink), das sich im Sommer 2022 zum neuen Schwarz verwandelte, wurde erschaffen.

Schier unausfüllbare Fußstapfen

Brancheninsider und Modebegeisterte also mögen seinem Namen schon begegnet sein, dem allgemeinen Publikum jedoch war Sabato De Sarno bis zum 28. Januar 2023 wohl eher unbekannt. Doch an eben jenem Samstag, was auch sein Vorname im Italienischen bedeutet, wurde der 39-Jährige zu Guccis neuem Creative Director ernannt und wird somit in die schier unausfüllbaren Fußstapfen von Alessandro Michele treten. "Er wird unsere Kreativteams mit einer unverwechselbaren Vision leiten, die dazu beitragen wird, dieses aufregende nächste Kapitel zu schreiben, die modische Autorität des Hauses zu stärken und gleichzeitig von seinem reichen Erbe zu profitieren", kündigte Marco Bizzarri, Vorstandsvorsitzender von Gucci, in einer Presseerklärung an.

Wird die neue kreative Leitung eines Modehauses vorgestellt, geschieht dies fast immer mit einem ernst dreinblickenden Schwarz-Weiß-Porträt eines mitteljungen Mannes – es ist tatsächlich meist ein Mann –, auf dessen Schultern von nun an ein historisches Erbe lastet. Auf ihm ruhen Millionen von Augenpaaren, die es nicht erwarten können, die Neuware unter die Lupe und auseinander zu nehmen. Und eventuell zu zerreißen. So auch bei Sabato De Sarno.

Wie wird dieser neue Kopf einer so gewichtigen Dynastie, wie es Gucci ist, die hauseigenen Markenzeichen und Klassiker weiter entwickeln und mit seiner eigenen Vision vereinen? Wird er gar einen unvorhersehbaren Hype entfachen, wie etwa Daniel Lee das fast vergessene Bottega Veneta wieder belebt hat? Oder eben Alessandro Michele ein nie da gewesenes Gucciversum kreiert hat, und Guccis Umsatz dabei beinahe verdreifacht?

Luxus muss zeitlos sein

Wie es zu Micheles Weggang spekuliert wurde, wünscht sich der Kering-Konzern, zu dem Gucci gehört, einen Stilwechsel, den der verabschiedete Creative Director nicht zur Genüge durchzusetzen vermochte. Die genderfluiden, träumerisch-nostalgischen, exzentrischen Designs Micheles hatten Gucci zu einem unglaublichen Aufschwung verholfen. Gerade, weil sie die junge Generation Z ansprachen und so dem Label eine neue Zielgruppe erwirtschafteten.

Jedoch schien dieser eigenartige Stil zwischen glitzerndem Märchenwesen und 80er-Jahre-Fan seinen Zenit erreicht zu haben - und nicht ausbaufähig genug, um ihn als die Handschrift des Hauses zu etablieren. Und dies wird Sabato De Sarnos Aufgabe sein: Gucci zu einer zeitlosen Luxusmarke zu transformieren, an der man sich nicht satt sehen kann, die unverändert begehrlich bleibt und schwarze Zahlen schreibt, komme welche Pandemie da wolle.

Schon im November zitierte eine Quelle den Kering-Chef und Kunstmäzen Francois-Henri Pinault, er wolle "den Über-Luxuskonsumenten zurückzugewinnen" - und da ist eben klassische Eleganz gefragt und traditionsreiche Statussymbole. Wie etwa Guccis berühmte "Jackie 1961"-Handtasche, die in den 1950er-Jahren designt und später nach ihrem großen Fan, der First Lady Jackie Kennedy benannt wurde. Eine Kampagne zum Taschen-Revival mit Schauspielerin Dakota Johnson wird seit wenigen Wochen verbreitet und kündigte schleichend die Rückkehr zu Gucci als unsterblichem High-Fashion-Giganten an. Einem, der sich neben den klassischen Luxus-Riesen Hermès und Louis Vuitton an seine Wurzeln erinnern will. Tradition statt Trend.

Bitte kein Rückfall in alte Muster

Es bleibt zu hoffen, dass der frische Wind im Hause Gucci weiterhin für Inklusion und Diversität steht, einen Ort zum Träumen bestehen lässt, das Wundersame wertschätzt und sich mit anderen Kreativen und Künstlern vernetzt, wie Alessandro Michele es vorgelebt hat. Auch, wenn der Stil gezügelt, das Extreme abgeflacht, Innovation mit Konvention verknüpft werden sollen, wäre es kaum auszuhalten, wenn das Modehaus den in den letzten Jahren sozialen Fortschritt zunichte machte und auch in dieser Hinsicht zu den alten Sitten der Modewelt zurückkehrte. Eine fortführende Demokratisierung der Mode jedoch scheint von einem, den alteingesessenen Luxus-Kunden bedienenden Konzern, kaum zu erwarten.

Positiv stimmt hingegen das Statement des neuen Chefs, dessen erste Kollektion im September über den Laufsteg getragen wird. "Ich fühle mich zutiefst geehrt, die Rolle des Creative Director von Gucci zu übernehmen", sagte De Sarno, "Ich bin stolz darauf, einem Haus mit einer so außergewöhnlichen Geschichte und einem so großen Erbe beizutreten, das über die Jahre hinweg Werte, an die ich glaube, willkommen geheißen und hochgehalten hat. Ich bin gerührt und freue mich darauf, meine kreative Vision für die Marke einzubringen."

Und gerade das Detail, dass Sabato De Sarno an seinem Wochentags-Namenszwilling Samstag vorgestellt wurde, wird schon von scharfen Beobachtern gedeutet: Auch dieser kreative Kopf wird seinen ganz eigenen, persönlichen Twist in das "Gucciverse" einfließen lassen, seinen eigenen Rhythmus bestimmen. So, wie es Michele getan hat.