Die Kopenhagener Modewoche hatte lange das Image, klein und lokal zu sein. Jetzt ist sie gewachsen und lockt internationale Presse und Modemenschen genauso an wie die Dänen. Wie alle Fashion Weeks, außer vielleicht die in Paris und Mailand, hat sie zu kämpfen. Ihre größten Marken, wie etwa Ganni, wandern ab und zeigen jetzt in der französischen Hauptstadt. Finanzierungen sind auch im reichen Norden knapp.
Und doch wurden 44 Schauen und Präsentationen gezeigt, über 70 internationale Gäste eingeflogen und neue Formate wie Installationen und Talks etabliert. Außerdem arbeiten die Organisatoren nun noch enger mit der Modemesse CIFF (Copenhagen International Fashion Fair) zusammen, mit der sie neue Talente fördern sowie Showplatzierungen und Mentoring anbieten.
Gemeinschaft und Loyalität sind in Kopenhagen wichtig. Cecilie Bahnsen, ein großer Name der dänischen Mode, zeigte ihre aktuelle Jubiläumsshow in der Heimatstadt der Marke – statt wie seit 2022 üblich in Paris.
Modenschau außerhalb der Modenschau
Doch auch wer nicht zu den zahlreichen Events eingeladen ist, sieht unendlich viel Mode vor den Veranstaltungsorten, auf den Straßen und sogar im Supermarkt. Kopenhagen ist vermutlich die am meisten für ihren Geschmack bewunderte Stadt der Welt. Viele Street-Style-Blogs wurden hier geboren, und die für ihren Stil verehrten Influencerinnen Jeanette Madsen und Thora Valdimarsdottir führen heute eines der erfolgreichsten dänischen Labels: Rotate by Birger Christensen.
Wie als Verlängerung der Laufsteg-Schauen, wie eine Demokratisierung, die Mode für alle sichtbar macht, tragen die Menschen überall sehenswerte Outfits. Dazu gehören heute vor allem Flip-Flops. Der Schuh der Kopenhagener Modewoche ist ganz klar die Gummischlappe. Sie wird zu Looks kombiniert, die offensichtlich für die Fotografen inszeniert sind. Modedesigner setzen sie ein, Journalisten ebenso - und gefühlt jede zweite Person im Stadtzentrum.
Wenn es nicht die sportlichen Havaiana-Treter sind, dann geht trotzdem fast jeder andere Schuh durch den Zehenzwischenraum. Auffallend oft sieht man auch Keilabsätze, die die Sandale vielleicht eines Tages ablösen werden. Die Skandinavier wissen es oft zuerst – und setzen Trends.
Der legendäre "Scandi-Style“
Der sogenannte "Scandi-Style“ ist legendär. Zu einem internationalen Trendbegriff wurde er in den 2010er-Jahren, doch sein Ursprung geht weit zurück. Die Mode und generelle Ästhetik in Dänemark, Schweden und Norwegen ist stark vom funktionalen, minimalistischen Ansatz des skandinavischen Designs geprägt. Charakteristika des Bauhaus und der Mid-Century-Modern-Bewegung erkennt man an allen Ecken.
Und auch das nordische Klima spielt eine Rolle. Klare, funktionale Silhouetten, organische Formen, gedeckte Erdtöne und warme, natürliche Materialien machen sie aus. Labels wie Acne Studios, Filippa K, By Malene Birger oder Tiger of Sweden machten die Welt auf diese Art von Mode aufmerksam - neutrale Farbpaletten, hohe Qualität und reduzierte Schnitte standen im Fokus. Understatement wurde zu einem wichtigen Begriff, müheloses Schick-Sein, modern und zeitlos zugleich.
Später wurde der "Scandi-Style" in internationalen Mode- und Lifestyle-Medien etabliert - vor allem durch Publikums-Fotografie während der Modewochen, aber auch durch sogenannte "Influencer-Brands". Dazu gehören Anine Bing und Toteme, die in den 2010er-Jahren geboren wurden. Mittlerweile gibt es einige große Firmen, die ihre Designs an dieser eleganten Schlichtheit orientieren und an die breite Masse verkaufen: wie Arket oder Cos, die beide zum schwedischen H&M-Konzern gehören.
Es gibt kaum noch Grenzen
Zu den hochwertigen Basics kamen bald farbenfrohe, verspielte Marken, die gerade in den sozialen Medien besonders gut ankamen. Modehäuser wie Ganni, Cecilie Bahnsen oder auch Stine Goya arbeiten mit der beliebten Oversized-Silhouette, gepaart mit vielen Lagen Material oder Mustermixen. Diese beiden Stilrichtungen existieren nebeneinander, bis heute. Mal ist die eine, mal die andere lauter.
Dann sind da natürlich noch die Ästhetik-Influencer wie die Schwedin Matilda Djerf, die die skandinavische Klarheit mit niedlichem "Mädchen vom Land"-Flair kombiniert. Es gibt kaum noch Grenzen. Wie definiert sich denn dann der skandinavische Stil heute?
Hier muss man sicher unterscheiden: zwischen dem, was unmittelbar bei den Mode-Präsentationen passiert, und dem, was die Menschen tatsächlich tragen. Denn wahrer skandinavischer Stil ist vor allem alltagstauglich. "Der 'Scandi-Style' ist insgesamt von Praktikabilität geprägt - bedingt durch das kalte Klima und die weitverbreitete Nutzung des Fahrrads", erklärte etwa Designerin Alectra Rothschild der "Vogue". Und auch die dänischen Designer-Zwillinge Amalie und Cecilie Moosgaard stimmen dem zu: "Wir fahren jeden Morgen mit dem Rad zur Arbeit - deshalb behalten wir beim Anziehen stets eine praktische Einstellung bei." Egal ob knallig oder klassisch, diese Eigenschaft scheint unausweichlich.
Alles schreit: schlechter Geschmack
Der skandinavische Stil, der während der Modewoche seltener fotografiert wurde als die grellen, gestellten Looks, brachte Tendenzen zum Vorschein, die schon teilweise durch das Comeback des Y2K-Stils der frühen 2000er anklangen. Und vieles davon schreit im ersten Moment: schlechter Geschmack.
So waren in Kopenhagen zu entdecken: Dreiviertel-Jogginghosen zu Flip-Flop-Lederstiefeln zu Kunstfell-Leoparden-Mantel, geschmückt mit flauschiger Riesentasche und Rave-Sonnenbrille. Schwarze Sweatpants zu Plateau-Crocs und Kapuzenjacke. Weite blaue Bleich-Jeans, in Stiefel gestopft, dazu ein schwarzer Lederblazer und darunter ein Kapuzenpullover. Beanie-Mütze über neonfarbener Kappe, dazu grelle Tasche und Sneaker. Extra schlecht blondiertes Haar, sodass es in Richtung Kupfer tendiert. Hohe Schuhe, aber in dem Stil, in dem sie Menschen zu einem klassischen Konzert tragen, die sich sonst nie "aufbrezeln". Ausgewaschene Baumwoll-Oberteile.
Wer weiß, welche Elemente sich daraus bald in der internationalen Garderobe festsetzen. Es klingt seltsam, aber keine dieser Beobachtungen empfindet man als hässlich. Viel mehr beeindruckt, wer am überzeugendsten so aussieht, als würde es ihn am wenigsten interessieren. Am besten gekleidet sind diejenigen, denen man ihre Klamottenwahl sofort abnimmt. Wo es kein Verkleiden ist, sondern ein tatsächlicher Look - von der Straße.
Leute machen Kleider
Und das ist vielleicht eine universelle Formel. Die Pariser Frauen manchen es vor. Dort spielt Nonchalance die Hauptrolle. Das oben beschriebene Repertoire würden sie vermutlich nicht anfassen, aber sie haben ihre eigene Version des Outfits, das ihnen nicht nachzuahmen ist: Repetto-Ballerinas, Jeans und eine Lederjacke, ein Streifentop, oder eine geraffte Bluse. Ist man in Paris geboren, trägt man diese Stücke in einer Manier, die jedes Designerteil in den Schatten stellt. Gleiches gilt für Italienerinnen, die an ihren samtenen Schühchen und ihrem eleganten, ungezwungenen Spiel mit der Hitze in Leinen-Looks zu erkennen sind.
Wie es momentan oft diskutiert wird, kommt guter Stil auch durch die Kleiderwahl für sein eigenes Leben. Es geht um Funktionalität und darum, die Auswirkungen seiner textilen Entscheidung auf den Tag mitzudenken, den man bestreiten wird. Egal, woher man kommt und woran man sich orientiert: Wer diese Faustregel beherzigt, ist dem originalen "Scandi-Style“ schon ein wenig näher. Und ein Fahrrad wäre sicher nicht schlecht.