Schön zerbrechlich: Zelluloid feiert in Frankfurt den Film ohne Kamera

Len Lyes Filme sind Entdeckungen – und das seit 75 Jahren. Mit der Hand zeichnete er um 1935 auf das Material, er stempelte die Oberfl äche, kolorierte sie in den wildesten Popfarben und setzte sie zu Latin- Klängen in Bewegung. All das lange vor Erfi ndung der Pop-Art, geschweige denn des Videoclips, als dessen Pionier er gilt. So steht Lye ganz zu Recht gleich am Anfang der Ausstellung „Zelluloid. Film ohne Kamera“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Noch immer verwenden viele Künstler die Technik, die Lye begründete und die danach vor allem der Kanadier Norman McLaren weltbekannt machen sollte: den hand-made fi lm. Seine kleinen Dramen aus Linien und Punkten begeisterten schon den jungen Truffaut: Man brauchte kein Studio, um einen Kinosaal in Bann zu halten. Und noch nicht mal eine Kamera.
Viele, wenn auch nicht alle der ausgewählten Werke laufen durch 16-Millimeter-Projektoren. Mehr als in den meisten anderen Schauen zeitbasierter Kunst bekommt man dadurch ein Gefühl für die zerbrechliche Schönheit des Mediums im Vergleich zu digitalen Bildträgern. Etwa bei der Französin Cécile Fontaine, die in Handarbeit die belichtete Emulsion gefundener Filme abkratzt und neu aufklebt. Oder bei der US-Künstlerin Jennifer Reeves, die sämtliche der 7200 Einzelsequenzen von „Fear of Blushing“ zittern lässt wie die Gänsehaut, die der Betrachter bekommen kann. Stan Brakhage, der in seinem Klassiker „Mothlight“ 1963 den Flügeln toter Insekten neues Leben einhauchte, indem er sie, auf Zelluloid geklebt, 24- fach in der Sekunde durch das Vorführgerät flattern ließ, wurde eine kleine Kathedrale gebaut: So kann man sich noch einmal in das Schaffen des 2003 gestorbenen Amerikaners vertiefen, des besten Malers, den der Film hervorgebracht hat.
Leider erhält nicht alles einen derart angemessenen Auftritt. Fast verloren und viel zu leise erscheint zum Beispiel Len Lyes Meisterstück „Free Radicals“ im Museumsraum. Der „absolute Film“ der experimentellen Avantgarde trug seinen Namen nicht von ungefähr, als Durchgangsstation war er nie gemeint. Dennoch überwiegt die Freude an dieser einzigartigen Sammlung teils wenig bekannter Kunstwerke. Jedes einzelne hat hier seinen Platz verdient.