Künstlerdokus auf der Berlinale

Schaffe oder stirb!

Ein Mann, eine Frau, ein Hund, sie verstecken sich in einem Haus am Kaspischen Meer: „Pardé” ist ein Spielfilm und auch keiner. Jafar Panahi hat ihn trotz Berufsverbots gedreht, und der iranische Regisseur konnte  nicht anders, als sich irgendwann in die Handlung zu mischen, mit seinen Figuren zu diskutieren, ihr Schicksal mit seinem abzugleichen. Im Ausnahmezustand, scheint es, verwirren sich Realität und Fiktion. Alles ist denkbar, nur das Aufhören nicht, das Mundtotsein. Gut möglich, dass „Pardé” den Goldenen Bären bekommt, allein sein Zustandekommen ist eine Sensation. Und auf der Berlinale ist das politische Statement traditionell wichtiger als der ganz große künstlerische Wurf. Ohnehin gab es im bisherigen Wettbewerb keinen (und das müssen wir kurz vor Schluss konstatieren).

Die isolierte, am Produzieren gehinderte oder scheiternde Künstlerfigur ist ein festivalübergreifendes Thema. Bären-Mitstreiterin „Camille Claudel 1915” (unsere Kritik) zeigt die Bildhauerin am Ende ihrer künstlerischen Kräfte.

Im Panorama läuft „Roland Klick – The Heart is a Hungry Hunter”, die Dokumentation über einen der profiliertesten deutschen Spielfilmregisseur. Klick, der Meisterwerke wie „Deadlock” (1970) oder „Supermarkt” (1973) drehte, der sich während der Vorbereitung von „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo” mit Bernd Eichinger überwarf und die Regie an Uli Edel abgeben musste, wurde weitgehend von den Kollegen des Neuen Deutschen Films ausgegrenzt, gab die Regie in den 90er-Jahren auf und engagiert sich seither vor allem als Filmhochschullehrer. Statt Selbstmitleid ist der 73-Jährige noch voller – auf neue Ziele gelenkte – Energie, wie Sandra Prechtels sehenswerte Dokumentation beweist. Fast wäre sie nicht fertiggestellt worden, denn Klick war zwischenzeitlich entsetzt über das Zerrbild seiner selbst, das er kommen sah, beschwerte sich mit Erfolg und sah bei der Berlinale-Uraufführung zufrieden aus.

Mitra Farahani hat es sich mit ihrer Künstlerdoku „Fifi Howls from Happiness” – ebenfalls Teil des Panorama-Programms – insofern einfacher gemacht, als sie sich voll und ganz auf die Vorstellungen des 78-jährigen Bahman Mohassess einstellte. Ihrem herausragenden Filmporträt eines bedeutenden iranischen, wenn auch weithin vergessenen Künstlers sieht man das dialogische Prinzip durchweg an, es prägt die Struktur. „Haben Sie schon die richtige Musik ausgewählt”, fragt der alte Mann – Prompter Musikeinsatz, die ersten Takte von Mozarts Requiem. Die Filmemacherin begleitet einen Todkranken bis zuletzt, und Mohassess hat nichts dagegen. An guten Tagen ist sein rauer Humor ungebrochen. „Kunst machen ist wie pinkeln,” sagt er einmal, „es erleichtert einfach.” Mohassess wird zum Regisseur in eigener Sache, auch, wenn er bei der Filmemacherin Eis bestellt: „Für mich eine Kugel Vanilleeis, Sie nehmen Zitrone!”

1931 am Kaspischen Meer geboren, hat Mohassess eine beachtliche Karriere im Iran gemacht. Nach dem Sturz Mossadeghs – der sich für Demokratie eingesetzt hatte – hatte der Künstler das Land verlassen, kehrte aber 1963 in den Iran zurück. Im Film erzählt er von Meinungsverschiedenheiten mit dem Schah über einer öffentlichen Skulptur, die Mohassess von der Herrscherfamilie schuf. „Demokratie ist so faul wie Diktatur. Die Idee der Gleichheit ist eine Lüge”, poltert der Künstler, und auch hinsichtlich der Homosexualität hat der schwule Künstler ungewöhnliche Ansichten. Er schwärmt von Zeiten, da schwuler Sex geheim praktiziert wurde, geheimnisvoll und komplex gewesen sei – Carravaggio! Cocteau! –, während die Jungs heute Schwul-na-und-Stempel auf der Stirn trügen. Das sei langweilig.

Bahmann Mohassess war seit den 70ern von der Bildfläche verschwunden, Mitra Farahani (1975 in Teheran geboren, in Paris zuhause) spürte den Künstler in einem Hotel in Rom auf, die Zimmerwände voll von den Resten seines Werks, eines mitunter an Pablo Picasso, manchmal an Francis Bacon erinnernden Schaffens, das durchaus eigene Züge trägt. „Fifi heult vor Glück” lautet der sarkastische Titel eines Gemäldes, das eine Figur mit krass durchlöchertem Kopf zeigt, vermutlich heult hier nur der Wind. Außer einer Handvoll Malereien und Kleinskulpturen existieren noch bösartige Collagen, doch das meiste hat Mohassess zerstört. Eine schnelle Montagesequenz mit Reproduktionen gerät zur Vernichtungsrevue, die Off-Stimme des Künstlers benennt in kurzen Statements das Schicksal der jeweiligen Arbeit. Für Mohassess waren die Werke seine Kinder. Als ihr Henker klingt er nicht traurig. Farahani bezieht Mohassess Unerbittlichkeit mit Frenhofers Willen zum Scheitern in Balzacs Novelle „Das unbekannte Meisterwerk”.

Zum klassischen Künstlerporträt gehört der arbeitende Schöpfer. Farahani macht zwei Künstler und Mohassess-Connaisseure aus Dubai ausfindig, die für angemessene Bezahlung ein großes Ölbild in Auftrag geben. Mohassess verlässt, obwohl er es eigentlich nicht wollte, sein Hotelzimmer, kauft Farben, motzt über schlechte Rotpigmente, lässt sich ein Atelier einrichten. Bevor er einen Pinselstrich setzten kann, erleidet er einen Blutsturz, ganz unvermittelt, im Beisein der Filmemacherin. Die letzten Worte, das letzte Röcheln des Künstlers, sind auf der Tonspur zu hören. Die posthume Veröffentlichung entspricht seinem Wunsch. Will man einem Sterbenden zuhören? Ein grenzwertiger Moment – in einem komischen, bewegenden, dramatischen Porträt, das ohne Frage einen neuen Maßstab im Genre des Künstlerfilms setzt.

Alle Termine zu den genannten Filmen finden Sie unter www.berlinale.de