Neues Galerienviertel in Dubai

Scheichs, Wolkenkratzer und Galerien

Dubai entwickelt sich zum Marktplatz für zeitgenössische Kunst im Nahen Osten

Das höchste Gebäude der Welt, die größte Shoppingmall, die längste fahrerlose Metro: Dubai ist die Stadt der Superlative. Nur im Bereich der bildenden Kunst klappt es für das Emirat bisher nicht mit den Rekorden. Noch vor zehn Jahren gab es fast keine Galerien – erst  recht nicht für zeitgenössische Kunst. Das viele Geld, das aus Öl- und Finanzgeschäften fließt, geben die Emiratis lieber für Autos oder Luxusmarken aus. Abdelmonem bin Eisa Alserkal will daran etwas ändern.

Alserkal stammt aus einer einflussreichen Dubaier Familie, hat in den USA studiert, Geld mit Immobilien gemacht. Wenn er von Galerienvierteln in New York, London oder Hongkong schwärmt, irritieren sein traditionelles weites Gewand und das weiße Tuch auf dem Kopf ein wenig. Aber dieser Mann mit den wachen braunen Augen und dem kurzen Bart hat sich nichts Geringeres vorgenommen, als Dubai zum Kunststandort von internationalem Rang zu machen. Kein einfaches Vorhaben.

Im Industriegebiet Al Qouz entsteht ein Galerienviertel

Der Familie Alserkal gehören Werkstätten und Lagerhallen im Industriegebiet Al Qouz, mit dem Auto zwanzig Minuten entfernt von Dubais Innenstadt, in der sich die Wolkenkratzer drängeln. Hier draußen ist die Bebauung flach, aus Wellblech und Beton. Früher wurde hier Marmor verarbeitet, später Autos repariert – bis Alserkal 2007 entschied, aus dem viereinhalb Hektar großen Areal eine Kunst- und Kulturdestination zu machen: die Alskeral Avenue. "Eine Investition in Dubais Zukunft", nennt es der Gründer.

Inzwischen sind vierzehn Galerien eingezogen, ein kleines Theater, ein Laden für Vintage-Möbel. Im zentralen A4Space, in dem die Besucher nach einem Galerienrundgang ausruhen können, gibt es Bio-Cappuccino aus Pappbechern, hippe Chillout-Ecken mit Sitzsäcken und bunte Post-Its an den Wänden. Der Look hat wirklich nichts mit protzigen Dubai-Klischees zu tun, eher etwas mit Hipster-Berlin. Aber: Kann auch die Qualität der gezeigten Kunst mit Berliner Standards mithalten?

Sie kann – zumindest in einigen der Galerien. Die Ausstellungen, die Grey Noise, die Third Line Gallery, oder die Ayyam Gallery präsentieren, zeigen starke Werke von Künstlern des Nahen und Mittleren Ostens. Die Arbeiten von Charbel-Joseph H. Boutros aus dem Libanon zum Beispiel: Nacht für Nacht hält er mit schwarzer Sprühfarbe auf Papier fest, von wann bis wann er geschlafen hat. "No Light In White Light / Night Cartography" heißt die Serie, die der Künstler bis zu seinem Tod täglich fortsetzen will. Lala Rukh aus Pakistan hat für "Heartscape" das EKG ihrer sterbenden Mutter ausgedruckt und den Graph mit Rechtecken aus belichtetem Fotopapier kombiniert. Von Mittelgrau werden die abstrakten Farbflächen immer dunkler, bis der Graph des EKG keinen Ausschlag mehr anzeigt.

Persönlich und beklemmend – so lässt sich auch die Kunst des Syrers Tammam Azzam beschreiben. Die Ayyam Gallery widmet ihm gerade eine Soloshow. In schwarz-weißen Acrylgemälden hält er die Zerstörung in seinem Heimatland fest: zerbombte Häuser, leere Straßenzüge. Dagegen strahlen die geometrischen Arbeiten der Iranerin Monir Shahroudy Farmanfarmaian in der Third Line Gallery Freude aus – am Spiel mit dem Ornament und am Leben selbst. Vergangenes Jahr widmete das Guggenheim in New York der 91-Jährigen eine Retrospektive. Farmanfarmaians aus feinen Mosaikstückchen zusammengesetzten Spiegel stehen in der langen Tradition persischen Kunsthandwerks.

Das Lockmittel der Alserkal Avenue: günstige Mieten

Alserkal ist es mit seinem Galerienviertel gelungen, der wachsenden Dubaier Kunsthändlerszene ein Zentrum zu geben, Kräfte zu bündeln, Kooperationen unter den Galerien anzuregen. Er lockt mit günstigen Mietpreisen, von denen Galeristen in anderen Großstädten nur träumen können. Damit zieht Alserkal jetzt auch internationale Händler an: Leila Heller, die seit mehr als drei Jahrzehnten erfolgreich Künstler des arabischen Raums in New York vertritt, hat im November eine Dubaier Filiale eröffnet.

Stephane Custot, der in seiner Londoner Galerie Robert Indiana oder Pablo Picasso zeigt, zieht im März nach. Beide Händler profitieren in Dubai von Raummaßen, die sie sich in ihren Haupthäusern nie leisten könnten. Bei einer Deckenhöhe von neun Metern bespielt Heller 1400 Quadratmeter, Custot immerhin 700 Quadratmeter. Viel Platz für monumentale Arbeiten.

Die Dubaier haben das Geld für Kunst – aber haben sie auch das Interesse?

Weniger monumental ist bisher das Kaufinteresse für zeitgenössische Kunst in Dubai. Vor zehn Jahren begannen die ersten Galerien, unter ihnen die Third Line Gallery, ein Publikum aufzubauen – vorrangig für Kunst aus dem arabischen Raum. Jetzt hofft Stephane Custot, dass die Dubaier reif sind für Kunst aus dem Westen. Doch er gibt zu: "Dubai ist ein Abenteuer." Mit Führungen und Panel-Diskussionen will er das Publikum an abstrakte amerikanische Künstler wie Josef Albers oder Frank Stella heranführen.

Aber Dubai hat noch ein weiteres Problem: Die Stadt ist so teuer, dass hier kaum Künstler leben. Weder Wohnung noch Atelier kann sich jemand mit kleinem Einkommen einfach leisten. Gleichzeitig fehlt den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Kunstakademie. Das muss sich ändern, wenn aus dem wachsenden Marktplatz Dubai ein echter Kunststandort werden soll. Alserkal will mit einem Residency-Programm für Künstler, das im nächsten Jahr starten soll, seinen Teil dazu beitragen.