Marina Abramović trifft Joseph Beuys

Wie man dem Hasen heute die Bilder erklärt

Auf Schloss Moyland werden gerade die Kunst-Giganten Joseph Beuys und Marina Abramović aufeinander losgelassen. Außerdem interpretieren junge Künstler ihre Werke - wirkliche Konkurrenz zu den Klassikerin ist aber nicht in Sicht

Die Aktion "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" ist genau 60 Jahre her. Joseph Beuys, den Kopf mit Honig und Gold bedeckt, spazierte mit einem solchen Tier auf dem Arm durch die Düsseldorfer Galerie Schmela und brachte ihm die Werke nahe. Da war Marina Abramović 19 Jahre alt und studierte Kunst. 

In den 1970er-Jahren wurde Performance zu ihrem Ausdrucksmittel, ein Genre, dessen Grenzen sie bis zum Äußersten austestete. Wenn sie etwa auf der Biennale von Venedig während des Balkankriegs vier Tage lang einen Berg blutiger Knochen schrubbte oder ihrem einstigen Partner Ulay über die Chinesische Mauer entgegenlief. Begegnet sind sich die beiden Wegbereiter der zeitgenössischen Kunst schon früh. Fotos zeigen die junge Marina Abramović mit Joseph Beuys in Belgrad. 2005 ehrte sie ihn im Guggenheim-Museum mit ihrer Interpretation der Hasen-Performance. 

Das niederrheinische Museum Schloss Moyland konfrontiert das schillernde Duo nun in seiner in Schwarz getauchten großen Halle erneut miteinander: nämlich in der Ausstellung "Marina Abramović & MAI im Dialog mit Joseph Beuys". Man bekommt Filmstills und Zeichnungen präsentiert, ein Video-Interview mit Abramović, ein Hasengrab von Beuys, einen Zeitstrahl mit Begegnungen der beiden und die Hasen-Performances in großer Projektion und verschiedener Ausführung. Als Zugabe zu diesem dokumentarischen Ansatz gibt es bis zum 10. August die Ergebnisse einer Zusammenarbeit mit dem Marina-Abramović-Institut (MAI) zu sehen.

Baden unter den Enten

13 junge Künstlerinnen und Künstler aus Kanada, der Türkei oder Ghana haben sich im Rahmen eines Residenzprogramms mit der Moyländer Beuys-Sammlung und dem Archiv auseinandergesetzt - und dabei ausgesuchte Werke in Rauminstallationen und im Park aktualisiert. Kirsten Becken fällt die Aufgabe zu, diese zu dokumentieren und daraus einen Film zu machen. Eşref Yıldırım etwa lässt sich im Burggraben von Beuys' Aktion mit dem wilden Kojoten anregen, indem er sich mit einem Netz und Pflanzen bedeckt, um anschließend zur Verwirrung der Enten mitten unter ihnen zu baden. Nach eigener Aussage eine Strategie, um sich vom Anthropozän zu distanzieren. 

Isaac Chong Wai legt den Fokus auf die Methoden von Abramović und die Bewegungsstudien von Beuys, indem er einen Tänzer eine Wand entlanglaufen lässt. Cristiana Cott Negoescu hat sich eine Werkstatt aufgebaut und führt unter Rückgriff auf Beuys' Kunstdefinition als Arbeit bis zu acht Stunden am Tag monotone Tätigkeiten aus, die von der Logik einer Lottomaschine bestimmt werden.

Wie gut, dass man sich diesem Entfremdungsmarathon schadlos entziehen kann. Francesco Marzano verwandelt über Mikrofone seinen eigenen und den Atem der Besucher zu einer akustischen Skulptur, inklusive einer Prise achtsamer Entschleunigung und spirituellem In-Sich-Gehen. Michelle Samba hat weggeworfene Museumspapiere mit ihrem Blut gestempelt, und Virginia Mastrogiannaki greift auf die europäische Verfassung und die Reden von Anacharsis Cloots zurück: einem französischen Revolutionär des 18. Jahrhunderts, der von Beuys verehrt wurde. 

Die Königin der Schmerzen bekommt keine Konkurrenz

Gleichzeitig bekommt man die an Raum und Zeit gebundenen Performances nicht unbedingt alle zu Gesicht, denn die Künstlerinnen und Künstler wechseln sich wochenweise ab. Dennoch besteht ihr Reiz vor allem darin, nach den mehr oder weniger expliziten Berührungspunkten der zwei Vorbilder zu fahnden, die sich in den mitunter etwas skurrilen Verbeugungen spiegeln. 

Je mehr man von ihnen gesehen hat, desto mehr muten sie wie Variationen einer in ihrem Baukasten etwas zu klassisch geratenen Doppel-Helix an. Wirklich weh tut keine von ihnen. Die Königin der Schmerzen muss jedenfalls keine nennenswerte Konkurrenz fürchten.