Reinszenierung

Schweizer Künstlerduo bastelt Ikonen der Fotogeschichte nach

Die Schweizer Künstler Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger stellen in ihrem Atelier mit Witz und Materialaufwand Szenen aus der Fotogeschichte nach

Beim ersten Blättern durch den Bildband "Double-Take. Eine wahre Geschichte der Fotografie" des Künstlerduos Cortis und Sonderegger ist man ein wenig verwirrt: Wo sind denn hier die fertigen Fotos?  Die Bilder im Buch zeigen Atelieransichten und Tische, auf denen in Miniaturversion unterschiedliche Szenen dargestellt sind, die man kennt: der Schatten an der Wand aus dem Film "Nosferatu" oder Edwin Aldrins Fußspuren auf dem Mond.

Die beiden Schweizer Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger, beide um die 40 Jahre alt, basteln Szenen aus der Fotografie- und Menschheitsgeschichte nach. Allerdings geht es nicht darum, die Bilder eins zu eins zu kopieren. Stattdessen zeigt die Fotoserie "Double Take", die die zwei Künstler über drei Jahre aufgenommen haben, das Staging der abgebildeten Szenen im Atelier – mitsamt der Hilfsmittel: Stative, scheinbar achtlos stehengelassene Tesafilmrollen, Pappe, Pinsel, Pinzetten. Die Atelieransichten umrahmen die Szenen und dokumentieren ihre Rückübersetzung in die Dreidimensionalität.

Durch die Erweiterung der Fotos um einen sie umgebenden Raum wird man sich der Grenzen bewusst, die einer Szene durch den Rahmen der Fotografie auferlegt werden: Ein subjektiv von Fotografen festgelegter Ausschnitt ist immer auch eine Form der Inszenierung.

Als Vorlagen hat das Künstlerduo Bilder ausgewählt, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Sie bilden nicht nur Geschichte ab, sondern moderieren sie auch, indem sie Teil eines Kanons werden. In den Beschreibungstexten zu den jeweils nachgestellten Fotografien gehen die Künstler auch auf die Umstände der Aufnahmen ein. Viele der Ursprungsbilder sind auf eine gewisse Weise selbst inszeniert worden: Da ist zum Beispiel das Foto von "Nessie", auf dem der Schatten des Ungeheuers von Loch Ness zu sehen sein soll, oder das oben genannte Foto eines Fußabdrucks, das bei der ersten Mondlandung entstand und um dessen Echtheit sich die Welt bis heute streitet. Auch wenn auf dem Bild nicht die Astronauten selbst zu sehen sind, steht der Fußabdruck bildlich für den "großen Schritt für die Menschheit", der als Phrase längst Teil unseres Sprachgebrauchs geworden ist, und wird zu einem Zeichen, zur Referenz.

Indem sie die Symbolkraft der Bilder aufgreifen, stellen die Künstler indirekt auch die Frage nach ihrer Authentizität: Macht nicht vor allem die ästhetische Wirkung ihren historischen Wert aus? Florian Ebner, der ein Vorwort zu dem Bildband geschrieben hat, sieht die Authentizität der Bilder in der Augenzeugenschaft des Fotografen. Ist eine Aufnahme, die das Gewicht des Moments, des Ereignisses, greifbar macht, nicht vielleicht  viel authentischer als eine, die den Anspruch der Objektivität hat?

Die Idee von "Double Take" ist simpel, die Umsetzung Kleinstarbeit. Bei jedem Umschlagen der Seiten fragt man sich, welche "Ikone" wohl als nächstes umgesetzt wird – und mit welchen Mitteln. Beinahe wirkt es, als seien die Originalfotos in ein Bild des Ateliers eingesetzt: ein umgekehrtes Tromp-d’Oeil. Man gleicht die Reinszenierungen mit den im Kopf gespeicherten Abbildern der historischen Fotos ab. Jedes Umschlagen der Seiten verspricht einen Irritationsmoment, der aus dem Bruch der Szene mit der Umgebung herrührt – und mit jedem neuen Bild wird die Erwartung erfüllt.

Gerade bei den schwarz-weißen Szenen ist der Kontrast zu dem farbigen, oft etwas unordentlichen Atelier besonders stark – als habe man mit einem Photoshop-Tool einen Schwarz-Weiß-Filter über bestimmte Teile des Bildes gelegt. Auch die Miniaturanfertigungen ganzer Landschaften, wie beispielsweise von Gebirgszügen oder Schlachtfeldern, neben denen im Vergleich riesige Zangen und Scheren herumliegen, wirken wie aus dem Bild gefallen – oder darin hineingeschnitten. Die dargestellten Szenen und die Umgebung des Ateliers bilden einen Bruch, den man versteht und doch nicht begreift.

Neuinterpretationen von als relevant erachteten Bildern sind nichts Neues, und wie Florian Ebner im Vorwort des Katalogs betont, macht die Auseinandersetzung mit einem Bild – nicht nur die ständige mediale Wiederholung des Originals sondern auch seine "Parodie", seine Dekonstruktion – dieses erst zur Ikone. Im Fall Cortis/Sonderegger geschieht die Dekonstruktion durch den Bruch, durch Einbettung der Szenen in den dreidimensionalen Atelierraum.

Im Interview am Ende des Bildbands nennen die beiden Fotografen ein anderes Schweizer Künstlerduo, nämlich Fischli/Weiss, als ihr Vorbild, und das sieht man auch an dem Witz, mit dem die zwei an die großen, wichtigen Fotografien aus der Geschichte herangehen. Selbstverständlich sind ihre Reenactments zum gewissen Teil auch eine Parodie auf die Dramatik der Bildikonen, vor allem sind sie aber eine Hommage an jene Bilder, die durch ihre ikonografische Kraft so tief in unsere Kulturgeschichte eingeschrieben sind.