Selbstbeweihräucherung einer Hoffotografin

 

Personen auf Fotos von Annie Leibovitz lächeln nicht. Dabei hätten die meisten von ihnen Grund genug dazu. Die bekannteste Fotografin Amerikas versteht sich darauf, die Reichen, Schönen und Mächtigen der Welt für die luxuriösen Hochglanztitelseiten von „Rolling Stone“, „Vanity Fair“ und „Vogue“ abzulichten.

 

Sie ist das Gegenmodell zum Paparazzo: Sie verfügt über Budgets, über die sich mittelgroße Independent-Filmproduktionen freuen würden, über ein gigantisches Team von Assistenten, Technikern, Beleuchtern und Haare- und Make-up-Künstlern und über einen nahezu unbeschränkten Zugang zu Stars und Originalschauplätzen wie dem Buckingham Palace. Ihre Fotos wirken niemals trivial. Oft liegt ihnen ein konzeptueller Einfall zugrunde, und sie strahlen handwerkliches Know-how aus. Dass die Porträtierten nie lächeln, ist in diesem Sinne eine wohlkalkulierte Strategie. Nicht nur, weil sie so natürlicher aussehen, sondern auch, weil damit die Seriosität der Fotos unterstrichen wird.
Der neue quasiautobiografische Fotoband „Annie Leibovitz At Work“ unterstreicht die Ernsthaftigkeit, mit der Leibovitz ihrem Projekt als Fotografin nachgeht. Den eigenen, lose chronologisch angeordneten Lieblingsfotos hat sie anekdotische Textvignetten zur Seite gestellt, in denen sie ihren Assoziationen freien Lauf lässt und sich an die Entstehungsgeschichten der Fotos erinnert.  Viele der Geschichten kommen da zur Sprache, die Leibovitz schon in ihren vorigen beiden Büchern, zahlreichen Interviews und der Dokumentation des amerikanischen Fernsehsenders PBS hat verlautbaren lassen. Die kurze Phase der Kokainabhängigkeit in den 70er-Jahren, nachdem sie die Rolling Stones auf einer Amerikatournee begleitet hatte, wird wieder aufgebrüht. Die Geschichte des letzten, nur Stunden vor seinem Tod aufgenommenen Fotos von John Lennon darf nicht fehlen. Und auch der mediokre Skandal um das „Vanity Fair“-Coverbild der nackten, hochschwangeren Demi Moore, die nur ein paar Diamanten trug, nicht. Fast alle abgebildeten Fotos kennt man schon aus den beiden vorherigen Leibovitz-Bildbänden und aus der Wanderausstellung „A Photographer’s Life“, die im Februar nach Berlin kommt. Neu sind ein ehrfürchtiger Bericht über eine Fotosession mit der britischen Queen und einige Gedanken zur technischen Ausrüs­tung  sowie zu den fotografischen Vorbildern ihrer Arbeit. Die beiden Fotografen, die Annie Leibovitz dabei wiederholt anführt, sind  Richard Avedon und Irving Penn. Beide waren wie sie selbst vor allem Societyfotografen. Doch vergleicht man ihr Werk mit dem von Leibovitz, wird deutlich, dass die New Yorkerin dem stilis­tischen Anspruch und der ausgeprägten Bildsprache der Foto­ikonen zwar nahekommt, sie aber nicht erreicht.


Dass Leibovitz eine strenge Verwalterin ihres eigenen Image ist, wird trotz des unprätentiösen Tons des Begleittextes in jeder Zeile offensichtlich. Über das feierliche Gruppenfoto der Bush-Regierung, das die Fotografin 2002 für „Vanity Fair“ gemacht hat, erfährt man zum Beispiel lediglich, dass sie die Kamera Mamiya RZ 67 benutzt hat und Bushs damaliger Stabschef Andrew Card plötzlich auch mit aufs Bild wollte. Über Gedanken, die sich mit der Reklamewirkung dieses Covers für die Regierung und ihre Irakkriegspläne auseinandersetzen, liest man nichts. Der anekdotische Stil des Buchs umschifft auch die Thematisierung einiger bekannter Konflikte. Mehrere Generationen New Yorker Fotoassistenten etwa sind schreiend aus dem Leibovitz-Atelier gelaufen, und die Fotografin hat eine Reihe ehemaliger Freunde vergrault, weil sie aus eigenem Interesse die Krankheits- und Sterbefotos ihrer Lebensgefährtin Susan Sontag veröffentlichte, gegen deren Willen und den ihres Sohnes. Leibovitz hat den Band zudem nicht selbst verfasst. Eine kleine Notiz am Ende des Buchs klärt darüber auf, dass die Texte auf Gesprächen mit Sharon DeLano beruhen. DeLano, eine enge Freundin von Leibovitz und Sontag, ist eine erfahrene Journalistin, die früher für den „New Yorker“ gearbeitet hat. Es ist vor allem ihrer Versiertheit zu verdanken, dass die inhaltlich dünne und manchmal pseudokritische Selbstbeweihräucherung nicht komplett zur Hagiografie verkommt.


Auch die Queen lächelt nicht in ihren Leibovitz-Fotos. Die voriges Jahr mit großem Aufwand inszenierten Bilder der Königin im Buckingham Palace stellen die Kulmination des leibovitzschen Werkes dar und legen seine Essenz geradezu bloß. Die Umstellung auf Digitalfotografie hatte der Arbeit der Fotografin bisher nicht gut getan und ihren Hang zu Dämmerlicht und Statik verstärkt. Die neueren Porträts wirken oft unreal, disneyfiziert und unmenschlich glatt retouchiert. Doch hier trägt das Digitale erste Blüten. Die Farbgebung ist weich und offensichtlich an die der alten Meister angelehnt. Der Faltenwurf des königlichen Kleides, das Diamantdiadem und das opulente Interieur des Palastes spielen vorsichtig mit den Paletten eines Goya oder eines Caravaggio.
Und vielleicht ist das auch die Rolle, in der sich Annie Leibovitz am wohlsten fühlt: die einer Hoffotografin und Erbin ehemaliger Hofmaler, der es nicht um Originalität, sondern um das Repräsentative geht. Ob es sich bei dem Hof um die Showbühne der Rolling Stones, die Hügel Hollywoods, die Celebrityszene New Yorks oder den Buckingham Palace handelt, scheint dabei nur eine Frage des Zeitgeists. Dabei wäre es schön gewesen, die Queen zum Lächeln zu bringen. Jemand wie Richard Avedon hätte das sicherlich auch geschafft.
 

„Annie Leibovitz At Work“, herausgegeben von
Sharon DeLano. Schirmer/Mosel München.
240 Seiten. 46 Euro.
Ausstellung: „A Photographer’s Life 1995–2005“,
C/O Berlin – The Cultural Forum for Photography.
21. Februar bis 17. Mai