In der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D.C. reihen sich die einschüchternden Gebäude im Stil des greek revival aneinander. Zwischen ihnen stehen die Bronzen der Nationalhelden zu Pferd auf ihren Sockeln. Diese Statuen und ihre heroischen Erzählungen inspirierten nicht nur Aktivisten, sondern auch viele Künstler zu Antworten, die Reibung erzeugen.
Titus Kaphars Kunstwerk "Monumental Inversions, George Washington" (2017) nimmt in der Ausstellung "The Shape of Power. Stories of Race and American Sculpture" im Smithsonian American Art Museum eine zentrale Stellung ein. In eine helle Holzplatte ist in Rußschwarz die Negativform eines Pferdes mit Reiter eingebrannt, Elemente aus geblasenem Glas liegen ausgebreitet zu Füßen des invertierten Herrschaftsdenkmals.
Die Materialien dieser Version zeichnen in ihrer Zerbrechlichkeit ein anderes Bild als die auf Ewigkeit ausgelegten Bronzedenkmäler. Kaphar zerlegt die Statue des Gründungsvaters Washington in seine Einzelteile, lenkt den Blick in einen verkohlten Rückstand statt auf eine glänzend glatte Oberfläche, die endlosen Ruhm und Wohlstand verspricht. Indem der Künstler das Denkmal Washingtons rekonstruiert und gleichzeitig zerlegt, stellt er mittels der Skulptur ihre eigene Substanz infrage.
Vorwürfe der Ideologie
Karen Lemmey, Kuratorin für Skulptur am Museum, und ihr Team hinterfragen in der Ausstellung jene Erzählungen von Macht und Herrschenden der Vereinigten Staaten, die die intakten Reiterstandbilder draußen im Stadtraum verkörpern. Ihre These: Skulpturen, von der Münze bis zum Heldendenkmal, spielen in den USA eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Idee von race.
Die Eröffnung der Ausstellung fand zwei Tage nach Trumps zweitem Wahlsieg im November 2024 statt, und die Schau gewann während ihrer Laufzeit gewaltig an Aufmerksamkeit. In einer im März veröffentlichten "Durchführungsverordnung" des amtierenden Präsidenten fordert dieser eine "Wiederherstellung von Wahrheit und Vernunft in der amerikanischen Geschichte" (Originaltitel: "Restoring Truth and Sanity to American History"). Der Smithsonian Insitution, dem nach eigener Aussage weltgrößten Museums-, Bildungs- und Forschungskomplex, wird darin eine race-zentrierte Ideologie vorgehalten. "Shape of Power" wird exemplarisch für das "Hetzen" gegen vermeintlich westliche Werte hervorgehoben.
Tatsächlich werden in der Schau sowohl von künstlerischer als auch kuratorischer Seite deutliche Bilder und Worte gefunden, die rassistische Stereotypen aufzeigen oder sich gegen hegemoniale Machtstrukturen auflehnen. Aber ist es schon Provokation, wenn ein Werk "Squaw" heißt?
Die Schicksale verdrängen den Körper
Indigene Frauen in den USA und Kanada sind viel stärker von Gewalt, Entführungen und Mord betroffen als andere demografische Gruppen. Shan Goshorn hat die Namen und nations von 306 Opfern sowie die Aussagen ihrer Familien über den Verlust in ihr Werk aufgenommen.
Der Begriff squaw entwickelte sich im englischen und französischen Sprachgebrauch zu einer sexualisierenden Beleidigung indigener Frauen. Goshorn verwebt unzählige dünne, mit Namen und Zeugnissen beschriebene Papierschnipsel nach der Technik des Korbflechtens. Das so entstandene Gefäß ergibt die Form eines weiblichen Oberkörpers, nach westlicher Schönheitsnorm geformt. Nimmt man sich Zeit für das Entziffern der Textfragmente, verdrängen individuelle Schicksale die Erscheinung des weiblichen Torsos aus der vordergründigen Wahrnehmung.
In einer Vitrine sitzt mit geradem Rücken eine kleine Nachbildung einer Person aus grauem Marmor. Die Rippen zeichnen sich ab, die rechte Hand umklammert den Fußknöchel, zieht das Bein zum Körper, während die linke Hand, zur Faust geballt, das andere halb aufgestellte Bein herunterzudrücken scheint. Der Hals vollführt eine physisch kaum mögliche 180-Grad-Drehung, die Augen fixieren den Himmel. Die in zwei Richtungen verlaufende Körperhaltung der Figur lässt auf enorme Anstrengungen schließen.
"Skulptur, die nicht vom Weißsein ausgeht"
Marion Perkins‘ "Skywatcher" von 1948 ist die einzige erhaltende Figur eines Ensembles, mit dem der afroamerikanische Künstler seine Verbundenheit mit den japanischen Opfern des Atomangriffs durch die USA ausdrückte. Der Angriff löste eine große transnationale Welle der Solidarität aus und wurde als emblematisch für imperiale rassistische Gewalt gegenüber nicht-weißen Menschen erachtet. Perkins wollte einen "universalen skulpturalen Körper" schaffen, wie es in einem Katalogbeitrag zur Ausstellung heißt, der nicht vom Weißsein ausgeht.
Dem "Skywatcher" gegenüber steht eine Holzfigur, betitelt "Kultur". Aaron Goodelman verfolgte mit seiner Skulptur 1939 einen ähnlichen Ansatz wie Perkins. Er suchte eine visuelle Sprache, um zum einen die rassistisch getriebene Gewalt gegen Schwarze Menschen in seiner neuen Heimat, den USA, anzuprangern. Und gleichzeitig wollte er die sich zuspitzende nationalsozialistische Katastrophe, die Vernichtung der Jüdinnen und Juden in Deutschland und Europa, in den Blick der Öffentlichkeit rücken.
Bereits knietief in ihrem Holzsockel versunken, wird die Figur gleichzeitig an den ausgestreckten Armen, die Hände in eisernen Ketten und Fesseln, emporgezogen. Lang und dünn biegt sich der verzerrte Leib, den Ausdruck der ansonsten auf Einfachheit ausgelegten Holzfigur bestimmt ihr besonders tief in das Holz geschnitzte Gesichtsausdruck. Goodelman war 1906 aus Russland vor Antisemitismus und Pogromen in die USA geflohen.
Der kriminalisierende Blick auf "den Anderen"
Die kuratorisch choreografierte Sichtachse in diesem Teil der Ausstellung beschließt eine Arbeit von Isamu Noguchi aus dem Jahr 1943, "My Arizona". Ein Jahr zuvor hatte sich Noguchi freiwillig in ein Internierungslager in dem besagten Bundesstaat begeben, um aus Solidarität mit den Inhaftierten ein Kunst- und Handwerksprogramm zu veranstalten.
Eine executive order der Regierung veranlasste damals die Zwangsumsiedlung von Bewohnerinnen und Bewohnern der Westküste mit japanischer Abstammung. Die karge Wüstenlandschaft aus der Vogelperspektive ruft laut des Wandtextes zum einen die Bedrohung durch die damals neue Kriegsführung aus der Luft ins Bewusstsein. Zum anderen vollziehe sich auch hier ein künstlerischer Umgang mit einem kriminalisierenden Blick der US-amerikanischen Regierung auf 'den Anderen' in der eigenen Gesellschaft: in diesem Fall der japanische Amerikaner, der im Lager zu überwachen ist, während sich die beiden Länder im Zweiten Weltkrieg feindlich gegenüberstanden.
Im Ausstellungsrundgang entwickeln sich durch die Konstellationen der rund 80 Werke zahlreiche Gesprächsfäden. Am besten folgt man ihnen unterstützt durch die Katalogtexte, in denen nicht nur Material, künstlerische Techniken und ästhetische Entscheidungen erläutert werden. Das Konzept von race selbst, seine Entstehung und seine Wirkung auf das Leben in den Vereinigten Staaten wird anhand der Objekte nachvollziehbar. Dabei laufen die Texte der Objektlabel allerdings hin und wieder Gefahr, die Werke auf politische Bekenntnisse zu verkürzen. Eine so nuancierte Ausstellung, in die jahrelange Recherche und die Zusammenarbeit vieler Beteiligter eingeflossen sind, kann ihrem Publikum zutrauen, mit etwas mehr Raum für eigene Reflexion ins Gespräch über die Werke und ihre Wirkung einzusteigen.